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Seit ihrer Patenschaft für Martin Luther in der Fernsehschau »Unsere Besten« (im ZDF 2003), in der sie ihn auf den zweiten Platz (nach Konrad Adenauer) hinauflobte, gilt sie dem Publikum als die beste Kennerin dieses Mannes und seiner Werke. Seine Kirche, als deren Geburtstag der 31. Oktober 1517, der vermeintliche Tag seines »Thesenanschlags«, gilt, rühmt an ihm seinen sprachgewaltigen Widerstand gegen die alles bestimmende katholische Kirche, seine »Rechtfertigungslehre«, seinen »Freiheitsgedanken«, den die versklavten Bauern auch äußerlich verstanden, und dazu seine Lehre von dem »allgemeinen Priestertum«, die durchaus zu einer demokratischen Entwicklung hätte führen können. Dazu kam es bekanntlich nicht. Spätestens seit seiner Schrift »Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern« gegen die aufständischen Bauern 1525, in der er sie den Fürsten zum Abschlachten freigab, war er darauf bedacht, »Gehorsam gegen die Obrigkeit« zu predigen, und für alle, die davon und von seiner eignen »neuen« Lehre abwichen, ihre Vernichtung zu fordern: für die »Zauberinnen« (»Hexen«), die Wiedertäufer, besonders aber für »die Juden«. Wer seine antijudaistischen Schriften aus den 1530er Jahren bis zu seiner letzten Predigt am 15.2.1546, drei Tage vor seinem Tode, liest, kann sagen: Sie sind keine »Ausrutscher«; hier offenbart sich vielmehr das Wesen seiner Theologie, der Kern seiner Botschaft, hier schlägt das Herz des Reformators Martin Luther. Wer ihn verstehen will, muss diese Schriften lesen, zumindest diese: »Von den Juden und ihren Lügen«. Die Schrift von 1543 ist nun wieder leicht zu haben: Sie ist erstmals in heutigem Deutsch mit Originaltext im Alibri Verlag auf 348 Seiten herausgebracht. Sie sollte in Veranstaltungen zum »Reformationsjahr« immer griffbereit sein und allen angehenden Theologiestudenten an evangelischen Fakultäten zur Überprüfung ihrer Berufsfindung empfohlen werden! Luthers Absicht, das Buch zu schreiben, ist nicht, »die Juden zu bekehren, weil das unmöglich ist« (S. 15), sondern »die Christen zu warnen, sich vor den Juden zu hüten« (ebd.). Obwohl er selbstverständlich weiß: »Gott hat im achten Gebot befohlen, gegenüber dem Nächsten nicht die Unwahrheit zu sagen, nicht zu lügen oder betrügen, weder zu verhöhnen noch zu verspotten, auch Feinde nicht« (S. 229), gilt das Gebot für ihn nicht. Ein Beispiel für viele: Schon 1523 wusste er, dass die gängigen Vorwürfe gegen die Juden, sie betrieben »Ritualmord- und Hostienfrevel«, »Narrenwerk«, also Lügen seien; nun schreibt er: »Ich habe von den Juden viele Geschichten gehört und gelesen, so dass ich mit diesem Urteil Christi übereinstimme, nämlich, dass sie die Brunnen vergiften, heimlich morden und Kinder stehlen« (S. 265), »zerteilen und zerstückeln, um am Blut der Christen heimlich ihr Mütchen zu kühlen« (S. 241). Das nennt er: »Die Wahrheit offenbaren« (S. 221). Er nennt sie »durstige Bluthunde und Mörder« (S. 241), immer wieder »Teufel« und erfindet, meines Wissens als Erster, auch schon rassistische Beschimpfungen: »Dieser trübe Bodensatz, dieser stinkende Abschaum, dieser eingetrocknete Bodensatz, dieser verschimmelte Sauerteig und sumpfige Morast von Judentum ... sind nichts als ein fauler, stinkender, verrotteter Bodensatz vom Blut ihrer Väter« (S. 201). Schließlich fragt er: »Was wollen wir Christen nun anfangen mit diesem verworfenen und verdammten Volk der Juden?« (S. 247). Seine Antwort: »Von unseren obersten Herren, welche Juden unter sich haben, wünsche und erbitte ich mir, dass sie gegen diese elenden Leute eine gnadenlose Barmherzigkeit üben mögen« (S. 291), und er gibt ihnen dann, sozusagen als praktischer Theologe, ein Sieben-Punkte-Programm zur Vernichtung des Judentums an die Hand, s. S. 247 ff.: die Synagogen niederbrennen – ihre Häuser zerstören und sie wie Zigeuner in Ställen wohnen lassen – ihre religiösen Bücher wegnehmen – Lehrverbot für Rabbiner bei Androhung der Todesstrafe – ihren Händlern das freie Geleit und Wegerecht entziehen – Zwangsenteignung – Zwangsarbeit. Nachträglich fällt ihm dann noch ein, mit »aller Unbarmherzigkeit« Massenmord an ihnen zu begehen. »so wie es Mose tat in der Wüste, als er 3000 totschlug« (S. 293). Der Philosoph Karl Jaspers schrieb schon 1958, als zum Beispiel die protestantischen Fakultäten peinlich darauf bedacht waren, dass nichts von Luthers Schandschrift bekannt wurde, auf die sich der Herausgeber des Stürmers, Julius Streicher, vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal ausdrücklich berufen hatte: »Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern«. Und in einem anderen Werk schrieb Jaspers 1962: »Luthers Ratschläge gegen die Juden hat Hitler genau ausgeführt.« Auch das beunruhigte die Kirche nicht, wie ich in meiner Ausbildung erfuhr. Luther, der üble Antisemit, dessen Werk zum Holocaust führte, wird also im kommenden Jahr groß gefeiert; in vielen Veranstaltungen wird er schon jetzt als Vorbild wegen seiner Standhaftigkeit (»Hier stehe ich«) gepriesen. Der Bund und das Land Sachsen-Anhalt fördern das Spektakel mit 100 Millionen Euro, obgleich ausgerechnet Springers Welt 2014 mit Hinweis auf die besprochene Schrift formuliert hatte: »Zu Recht sagt der Nazi-Propagandist Julius Streicher vor dem Nürnberger Militärtribunal: ›Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank‹, wenn er noch lebte. Dorthin gehört er aber auch heute.« Nur ein Angenehmes hat das Jahr 2017 für alle in Deutschland: Für sie wird der 31. Oktober ein bezahlter arbeitsfreier Tag sein ... Martin Luther: »Von den Juden und ihren Lügen. Erstmals in heutigem Deutsch mit Originaltext und Begriffserläuterungen«, hg. von Karl-Heinz Büchner u. a. Alibri Verlag, 348 Seiten, 20 €
Erschienen in Ossietzky 12/2016 |
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