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Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen.« Danach kam im Westen die Währungsreform, Erkenntnisse aus Krieg und Faschismus gingen verloren, die Macht- und Besitzverhältnisse blieben dort bestehen. Nur in der SBZ und in der DDR änderte sich etwas: Sozialismus stand auf der Tagesordnung. Der Westen allerdings wurde attraktiver: schöne Autos, schöne Häuser, schöne Moden, wohlschmeckende Zigaretten, eingängige Schlager, weltoffene Grenzen. Die DDR konnte nicht mithalten. Sicher, alle hatten Arbeit, niemand war obdachlos, Existenzangst gab es nicht, zum Studieren brauchte man kein Geld, Verbrechen waren selten. Aber der Westen glitzerte, und die angeblichen Fehler des Kapitalismus waren nur noch kommunistische Propaganda. 26 Jahre nach der »Wende« glitzert der Kapitalismus weniger verlockend. Viele sehen Privatisierung nicht mehr als Allheilmittel. Schlanker Staat zeigt seine Defizite: Es fehlt an Lehrern, Ärzten, Krankenschwestern und auch an Polizisten. Konzerne geben den Ton an. Politiker werden als Manager deren Handlanger, Lobbyisten machen die Gesetze und bestimmen deren Ausführung. Die schwarze Null wird gepriesen, weil wir angeblich sparen müssen, nicht weil die Kapitalisten wenig oder gar keine Steuern zahlen. Selbst unter Kanzler Kohl mussten sie noch mehr Einkommen-, Erbschafts- und Vermögenssteuer abliefern als heute. Sparen könnte der Staat auch, wenn er Niedriglöhne nicht mehr aufstocken würde; aber dann müssten die Kapitalisten mehr Lohn zahlen, und dazu sind sie keinesfalls bereit. Der Steuerzahler finanziert die billige Lohnarbeit, er subventioniert das Kapital. Flüchtlinge sind den Kapitalisten willkommen, von ihnen versprechen sie sich, den Lohn weiter drücken zu können. So werden Reiche immer reicher, und der soziale Abstand zu ihren »Arbeitnehmern« wird immer größer. Die unabhängigen Medien, das heißt die Medien der Kapitalisten, stellen das ganz anders dar. Sie verkaufen das Volk für dumm: Die Wirtschaft boomt, Deutschland geht es gut, keine düstere Wolke am Horizont. Bürger schimpfen »Lügenpresse«, sie haben Angst um ihre Existenz, Angst vor der Zukunft. So wie es ist, darf es nicht bleiben, das System muss also geändert werden. Wer greift es an? Pegida und AfD! Es ist wie weiland in Weimar. Die jüngsten Landtagswahlen zeigten: Die Linke verliert Stimmen, selbst bei den Arbeitern. Meine Meinung: Die Linken werden nicht als Systemkritiker wahrgenommen, und mir scheint, sie sind es tatsächlich nicht mehr. Die Situation scheint für Sozialisten aussichtslos zu sein. Sie ist es aber nicht. In vielen Teilen der Welt erstarken sozialistische Bewegungen. In den USA siegt bei vielen Vorwahlen der Demokratischen Partei ein Politiker, der sich als Sozialist versteht. In Südeuropa erreichen Syriza und Podemos die Massen. In Lateinamerika tobt ein Kampf der Unterdrückten, die den Sozialismus des 21. Jahrhunderts verkünden. Auch der Papst findet den Kapitalismus nicht gut. Trotz allem kommt Die Linke nicht auf einen grünen Zweig. Womit ist das erklären? Ich denke, die Verlockungen des Parlamentarismus haben sie eingefangen. Sie denkt von Wahl zu Wahl, nicht weiter. Koalitionen locken. Da wird Anpassung gefordert: DDR und Sozialismus sind diskreditiert, Kapitalismus angeblich nicht. Also mitmachen, weitermachen wie bisher. Die Ergebnisse reichen von fünf bis zu zehn Prozent und umgekehrt. Die Zahl der Parteimitglieder schrumpft, die Genossen werden immer älter. Macht nichts. Eine tiefgründige Erforschung der Ursachen unterbleibt. Nur nicht die SPD und die Grünen mit Alternativen verschrecken, nur kein gutes Haar am vergangenen »Unrechtsstaat« lassen. Keine Konsequenzen aus den Niederlagen ziehen. Einfach weiter so wie bisher – mit kleinen taktischen Spielchen. Trotz der wachsenden Unzufriedenheit mit den kapitalistischen Verhältnissen: Systemkritik wird den Rechten überlassen. Ich sage: Die Linke ist nicht links genug. Dagegen spricht scheinbar der Misserfolg der DKP. Sie ist links genug, kommt aber bei Wahlen auch nicht voran – allenfalls in einzelnen Gemeinden, in denen sie lange verwurzelt ist. Ihre Hauptarbeit ist Bildung und Schulung. Aber es reicht nicht mehr, Marx, Engels, Lenin zu studieren. Der Marxismus der DKP muss um die letzten Erkenntnisse der Natur- und Gesellschaftswissenschaften bereichert, muss moderner werden. In meiner Naivität denke ich mir: Was vor Hundert und mehr Jahren richtig war, bedarf nach industrieller Revolution und dem Eintritt ins digitale Zeitalter vielleicht einer Fortschreibung. Viele fühlen es, viele wissen es. Leute auf der Straße sagen es, bestimmt ist die Mehrzahl der Mitglieder der Linkspartei davon überzeugt: Der Kapitalismus muss weg, er ist das Übel. Das ist es, was wir sagen müssen – wie neulich eine Wiener Juristin in der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat: Sie sei der Meinung, »dass an allem wirklich Schlechten der Kapitalismus schuld ist«. Wenn ich abends Krimis sehe, drängt sich diese Einsicht geradezu auf – auch wenn sie nicht ausgesprochen wird. Doch der Zuschauer erkennt es: Der Kapitalismus ist schuld. Serien wie »In aller Freundschaft« zeigen die Folgen der Privatisierung eines Krankenhauses, die Folgen der Bodenspekulation, die Schrecken des Neokolonialismus. Und dann? Wir müssen die besten Dichter, die klügsten Wissenschaftler ins Gespräch ziehen, von ihnen lernen, mit ihnen streiten. Wir brauchen Intellektuelle wie Marx, Heine, Einstein, Barbusse, wie Arnold Zweig, Tucholsky, Ossietzky. Entertainer und Sprücheklopfer brauchen wir nicht. Mit heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen müssen wir den Kapitalismus entlarven, die Missstände in der Gesellschaft benennen, kritisieren: Wir brauchen kein von der Pharmaindustrie bis zur Arztpraxis kommerzialisiertes Gesundheitswesen, wir brauchen eine zeitgemäße Verwaltung, keine Politiker, die viel kosten und nichts zu sagen haben. Vor allem brauchen wir keine Unternehmer, die die Welt nach ihrem Profit gestalten. Und wir brauchen Medien, die von den Kapitalisten unabhängig sind. Unser erster Verbündeter muss die Intelligenz sein. Wer sonst soll unsere Idee zur materiellen Gewalt machen? Die Zeiten haben sich geändert, gewaltig geändert, nichts ist mehr, wie es war, und nichts wird bleiben, wie es ist. Auch die Arbeiterklasse ist nicht mehr die alte, sie hat (jedenfalls in Europa) mehr zu verlieren als ihre Ketten. Wir müssen uns Neues einfallen lassen, ohne die alten Erkenntnisse zu vergessen. Der Neoliberalismus ist im Begriff, unsere Erde zugrunde zu richten. Wer könnte sie retten wenn nicht der Sozialismus? Er wurde besiegt, nicht weil er schlechter, sondern weil er schwächer war als der Kapitalismus. Auch die Fehler und Verbrechen der Stalin-Ära schwächten ihn. Aber die sozialistische Idee ist nicht verbrecherisch, sie ist human. Das wollte ich auf meine alten Tage wenigstens noch einmal gesagt haben. Ich hoffe, die Jungen fechten es besser aus.
Erschienen in Ossietzky 12/2016 |
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