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Keine DeutschenEin gewöhnlicher Wochentag in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen am Rande der Kreisstadt Oranienburg. Wir verbringen drei Stunden auf dem Gelände – zu wenig Zeit für all das, was hier gezeigt wird. Aber zu manchen Fragen würden wir gern mehr erfahren, beispielsweise zu den »Schutzhäftlingen«, den politischen Gegnern der Nazis, und ihrem Lager-Alltag, wie ihn unser Onkel August hier zwei Jahre lang erlitten hat. Das Archiv der Gedenkstätte, bei dem wir vor fünf Wochen angefragt haben, meldete nur einige Zahlen: Geburtsdatum, Haftdauer, Baracken-Nummern. Viele Fragen hätten wir ihm selber stellen müssen. Wir wussten, dass die Nazis ihn im Krieg in die Straf-Division 999 gesteckt und die Briten ihn dann noch lange in Kriegsgefangenschaft gehalten hatten. Als er endlich freikam, war er unfähig zu reden. Aushilfsweise arbeitete er als Pförtner bei der Frankfurter Rundschau. Diese leichte Tätigkeit fiel ihm schwer genug. Die Erniedrigungen und Entbehrungen hatten ihm die Lebenskraft geraubt. Er starb früh. In der Gedenkstätte beobachten wir andere Besucher, die zumeist in Gruppen gekommen sind. Wir wollen wissen, wie sie reagieren. Alle sind sehr ernst bei der Sache. Aber wir können viele nicht verstehen. Einige Jugendliche sprechen Italienisch, andere Spanisch, Englisch, Russisch, einzelne Hebräisch, wenn wir uns nicht täuschen. Und dann wird uns klar: Deutsche sind nicht unter den Besuchern, jedenfalls nicht an diesem Tag. Kein einziger außer uns. Alfred Noll Buchenwald-LexikonBrauchen wir sowas: eine Geschichte des Konzentrationslagers Buchenwald in Form eines Lexikons? Ich schlage das Buch auf, blättere nur kurz und stelle fest: Ja, genau das brauche ich. Der Name des Häftlings Marcel Dassault fällt mir ins Auge. Ein Hinweis belehrt mich, dass er eigentlich Marcel Bloch hieß. Nach der Befreiung nahm er den Decknamen an, den sein Bruder in der Resistance getragen hatte. Er konstruierte dann Kriegsflugzeuge der Marke Dassault (»Mystère«, »Mirage«, »Rafale«). Der Spanier Jorge Semprún hatte unter dem Decknamen Frederico Sànchez am Untergrundkampf gegen das Franco-Regime teilgenommen; später wurde er, auch durch seine Erinnerungen an Buchenwald, ein berühmter Schriftsteller. Der Opernlibrettist Bedrich Löwy hatte unter dem germanisierten Pseudonym Fritz Löhner-Beda Karriere gemacht; von ihm stammt der Text des »Buchenwaldliedes«. Stéphane Hessel, Sohn des deutschen Journalisten Franz Hessel, der schon vor 1933 nach Frankreich emigriert war, geriet 1940 als französischer Offizier in deutsche Gefangenschaft, konnte fliehen und im Untergrund arbeiten, bis er 1944 infolge Verrats verhaftet wurde. Mithäftlinge in Buchenwald verschafften ihm die Identität eines im Lager an Fleckfieber Verstorbenen, so dass er als Michel Boitel überleben konnte. Neben vielen Berühmtheiten (Rudolf Breitscheid, Benedikt Kautsky, Eugen Kogon, Prinzessin Mafalda von Hessen, Jura Soyfer, Herbert Sandberg, Ernst Wiechert) begegnen mir auch Aktivisten des im Lager organisierten Widerstands (beispielsweise Walter Bartel, Emil Carlebach, Albert Kuntz) und, ebenfalls alphabetisch eingeordnet, Sachbegriffe wie Lagergeld, Lagerküche, Lagersprache, Lagerstrafen, Sonderlager, Todesmärsche – alles sorgfältig zusammengetragen, lexikalisch verknappt, mit Bildern und Autographen ergänzt. Sehr nützlich. Arnold Venn Gitta Günther/Gerhard Hoffmann: »Konzentrationslager Buchenwald 1937 bis 1945«, RhinoVerlag, 231 Seiten, 19,95 € Unsere ZuständeSobald wir aus dem Sandkasten gekrabbelt sind, wissen wir nicht mehr, wie man Burgen baut und Tunnel gräbt. Und was wir später bauen, glauben wir, ist nicht mehr aus Sand. * Das, was unser Leben liebenswert macht, sind die tausend kleinen Albernheiten, die wir uns gegenseitig antun. * Ab und zu sollten wir auf unserer Lebensfahrt einmal anhalten. Wer das nicht kann, sitzt in einem rauschenden ICE und kennt nur die Hauptbahnhöfe. Es kommt aber auf die vielen kleinen Stationen an. Wolfgang Eckert Wer spricht von Belarus?Ende April erinnerten Fernsehen und Tagespresse an Tschernobyl. 30 Jahre waren nach der Atomkatastrophe vergangen. Und wie immer sprach man von der Ukraine, Weißrussland wurde am Rande erwähnt. Wenn überhaupt. Tschernobyl liegt auf dem Territorium der Ukraine, aber nur drei Kilometer südlich der Grenze. Weil damals der Wind stark von Süden blies, wurde der radioaktive Staub – eine immer breiter und länger werdende Wolke – nach Belarus getrieben und bedeckte dort bald mehr als ein Fünftel des Staatsgebiets. Über zwei Millionen Einwohner waren und sind davon betroffen. Städte wurden unbewohnbar, Felder, Flüsse, Wälder, Tiere sind auf lange Zeit vergiftet. In Deutschland regte sich vielfältige Solidarität: hauptsächlich medizinische Hilfe und Ferienangebote für Kinder. Aber die Öffentlichkeit erfuhr wenig davon, Berichte über die Folgen der Katastrophe kamen in aller Regel aus der Ukraine, Belarus gewann keine Empathie. Warum? Das Schweigen währt schon lange. Durch Weißrussland marschierte einst die deutsche Eroberungsarmee mit dem Ziel Moskau. Voller Angst und Hass berichteten die Aggressoren ihren Familien über die Tapferkeit der Partisanen und schwiegen über die eigenen Verbrechen: das KZ Trostenez, die rund 900 niedergebrannten Dörfer, die »verbrannte Erde«, die sie beim Rückzug befehlsgemäß hinterließen. Dieses benachteiligte Land (fernab vom Meer gelegen, mit wenigen Bodenschätzen gesegnet, durch den Krieg und die deutsche Besatzung noch viel ärmer geworden, vor allem auch ärmer an Menschen, eine Generation ging großenteils verloren) gehörte ebenso wie Russland und die Ukraine zu den Gründungsmitgliedern der UNO. Es unterstützte seither viele Friedensinitiativen. Von der Bundesrepublik Deutschland wurde es aber bis in die letzten Jahre hinein ähnlich schäbig behandelt wie Serbien und Griechenland, die bis heute für ihren starken Widerstand gegen die faschistische Besatzung bestraft werden. Noch immer leidet der wirtschaftliche und soziale Aufbau nicht nur unter den Folgen des Krieges und der radioaktiven Verseuchung, sondern auch unter dem Embargo, zu dem sich die BRD und deren EU-, OSZE- und NATO-Partner ermächtigt glauben. Als Chef-Aufseher des Westens in Minsk fungierte jahrelang ausgerechnet der vorherige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Hans-Georg Wieck. In Belarus verstand man diese Personalentscheidung als besondere Bosheit, der BND war ja aus dem Nazi-Geheimdienst Fremde Heere Ost hervorgegangen. Jetzt ist Präsident Lukaschenko Gastgeber für die Verhandlungen über eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts. In den tonangebenden deutschen Medien finde ich kaum ernsthaftes Mitdenken und Mitfühlen, eher Spekulieren auf ein Scheitern der Verhandlungen. Man kann nur ahnen, welch starken Druck der Westen ausübt, damit alle an Russland grenzenden Länder zum Aufmarschgebiet der NATO werden. Denn darum geht es. Der damalige Bundesaußenminister Genscher verhieß Anfang 1990: »Uns ist bewusst, dass die Zugehörigkeit eines vereinten Deutschlands zur NATO komplizierte Fragen aufwirft. Für uns steht aber fest: Die NATO wird sich nicht nach Osten ausdehnen.« Gelogen. Schon wenige Wochen später mussten wegen des geplanten Jugoslawien-Krieges Polen, Ungarn und Tschechien der NATO beitreten. Der damalige NATO-Generalsekretär Wörner: »Schon der Fakt, dass wir bereit sind, die NATO-Streitkräfte nicht hinter die Grenzen der DDR zu stationieren, gibt der Sowjetunion feste Sicherheitsgarantien.« Gelogen. Der damalige US-Außenminister Baker: »Das westliche Bündnis wird seinen Einflussbereich nicht einen Inch weiter nach Osten ausdehnen, falls Moskau der Mitgliedschaft des vereinten Deutschland in der NATO zustimmt.« (Zitate nach Karl Grobe im FriedensForum 3/14). Alles gelogen. Bald wurden weitere osteuropäische Länder in die NATO und auch in die EU aufgenommen. Übrigens: Der Vertrag zur Assoziierung der Ukraine an die EU, den Präsident Janukowitsch Anfang 2014 nach gründlichen Verhandlungen nicht unterzeichnen wollte, enthielt einen Passus über militärische Zusammenarbeit. Die Öffentlichkeit erhielt davon keine Kenntnis. Wer spricht schon von den Vorbereitungen zur Eroberung Russlands? Eckart Spoo Ostermarsch und WeihnachtfeierDass sie die jährlichen Ostermärsche Danach befragt, Offenbar gibt es demnach erwünschte Erhard Jöst Walter Kaufmanns LektüreNeues aus der Uckermark. Wussten Sie, dass im uckermärkischen Friedenfelde Pferdewohnwagen mit Bett und Kochecke zu mieten sind, die einen gemächlich durch die Landschaft tragen; dass unweit des Choriner Amtsees ein Kloster zu bewundern ist, ein gotisches Meisterwerk aus alten Zeiten; dass sich in blauen Bungalowbooten, die in Mildenberg in See stechen, das Naturschutzgebiet Schorfheide-Chorin erschließen lässt; dass es nicht bloß in Schottland schmackhaften Whisky gibt, sondern auch im uckermärkischen Mark Landin – traditionell destilliert und in Eichenfässern gereift, soll dieser Whisky jedem Vergleich standhalten; dass sich im Schloss Herrenstein in Gerswalde zwischen Wiesen, Feldern und Weiden herrschaftlich wohnen lässt – Urlaub pur …? Diese und 94 weitere Entdeckungen hat Heidrun Lange in Wort und Bild in einem kleinen, präsentablen Reiseführer festgehalten: Warum in die Ferne schweifen, wenn auch in der Nähe viel zu erleben ist. W. K. Heidrun Lange: »Uckermark. Die 99 besonderen Seiten der Region«, Mitteldeutscher Verlag, 160 Seiten, 9,99 € Zuschrift an die Lokalpresse»Hoffmanns Erzählungen« hat einen würdigen Nachfolger gefunden: Hoffmann heute – die Jubiläumsausgabe von Getränke-Hoffmann – erzählt die Erfolgsgeschichte eines Unternehmens mit inzwischen 314 Filialen und einem Sortiment von 6800 nicht nur flüssigen Artikeln. Exakt 450 Jahre, nachdem der bayrische Herzog Wilhelm IV. das Reinheitsgebot erlassen hatte, eröffnete der Westfale Hubert Hoffmann in Berlin-Neukölln vor 50 Jahren seinen ersten Getränkemarkt und brachte zugleich das herbe »Herren-Pils« auf den Tresen. Die Sonderausstellung »Bier« zum Thema »Braukunst & 500 Jahre deutsches Reinheitsgebot« ist übrigens bis Juli im Technik-Museum Heilbronn zu bewundern. Die Ticketpreise liegen bei acht Euro, für Kinder unter sechs ist der Eintritt frei. Ich finde es gut, dass die Fachleute wenigstens beim Bier schon an die nächste Verbraucher-Generation denken. Apropos Reinheitsgebot. Unsere Kanzlerin hat es, wie die Heilbronner Stimme verkündete, anlässlich der seit 500 Jahren bestehenden Regeln als »deutsche Erfolgsgeschichte« definiert. Und sie konnte sich dabei auf eine Erkenntnis des Reformators Martin Luther beziehen: »Wer kein Bier hat, der hat nichts zu trinken.« Schön, dass es wenigstens auf im Biersektor eine überzeugende deutsche Erfolgs-Story gibt. – Balthasar Schluckspecht (82), Braumeister i. R., 79809 Bierbronnen Wolfgang Helfritsch
Erschienen in Ossietzky 11/2016 |
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