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Arbeit als »Prozess zwischen Mensch und Natur, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert« (Marx) entwickelt sich unter konkreten historisch-gesellschaftlichen Verhältnissen zu einem Prozess der Ausbeutung von Menschen durch Menschen, zum ungleichen Verhältnis zwischen Lohnarbeit einerseits und geraubtem oder geerbtem Eigentum von Produktionsmitteln und der privaten, oft willkürlichen Verfügung darüber andererseits. Nun wollen die Eigentümer der Produktionsmittel, die »Arbeitgeber«, und deren Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die lohnabhängig Beschäftigten täglich länger arbeiten lassen als bisher. Das Arbeitszeitgesetz und der gesetzliche Acht-Stunden-Tag, ein Ergebnis der Novemberrevolution von 1918 und der Niederlage des deutschen Kapitals, seien zu starr, zu wenig flexibel, und die Lebensarbeitszeit solle verlängert werden: »Das Arbeitsleben wird länger gehen müssen, sonst bricht am Ende das System zusammen«, behauptet düster und apokalyptisch der Chef-Lobbyist Ingo Kramer und sagt vorher, dass »wir als Gesellschaft den Belastungen des Arbeitsmarkts immer länger standhalten können«. Das bedeute individuell die »Verpflichtung, seine Leistungsfähigkeit zur Verfügung zu stellen, wenn man später eine staatliche Rente beziehen will«. Diese neue Büchse der Pandora hat Andrea Nahles geöffnet und »Grünbuch Arbeit 4.0« benannt: »Arbeit Weiter Denken«. Den angebotenen Dialog gehen die Arbeitgeber dankbar und mit Effet an, wie an den Ein- und Auslassungen der BDA ablesbar ist. Sie sehen die Chance, ihre alltägliche Macht (Direktionsrecht) über die lohnabhängig Beschäftigten individuell und als große soziale Gruppe (Klasse) auszuweiten. Andrea Nahles wird die Büchse ebenso wenig wieder schließen können wie Pandora. Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und Jutta Krellmann aus der Bundestagsfraktion Die Linke haben mehr kommentiert als protestiert: »Jeder muss die Möglichkeit haben, sich aus der Arbeit auch wirklich in Freizeit auszuklinken«, sagt die DGB-Frau. Fast dem BDA zustimmend äußert sich die IG Metall: Flexible Arbeitsmodelle werden nach Einschätzung des bayerischen IG-Metall-Chefs Jürgen Wechsler auch in der produzierenden Industrie immer wichtiger für die Beschäftigten. Die IG Metall will »Lebensphasenorientierte Arbeitszeit« nach dem Ende der aktuellen Tarifrunde vorantreiben. Jutta Krellmann fordert die Bundesregierung sehr bescheiden auf, sich das Thema Lebens- und Arbeitszeit nicht von den Arbeitgebern aus den Händen nehmen zu lassen: »Die Frage vom digitalen Wandel der Arbeit muss an den schon jetzt bestehenden Problemen der Beschäftigten ansetzen und diese auch in eine breit aufgestellte gesellschaftliche Debatte einbinden. Denn klar ist, dass sich Gesetzesänderungen auf die Arbeitszeiten aller auswirken werden und eben nicht nur auf Beschäftigte in der neuen digitalen Arbeitswelt.« Es ist sichtbar und liegt auf der Hand, dass solche Positionen nicht ausreichen, der ökonomisch unsinnigen und gesellschaftlich schädlichen Ausweitung der Arbeitszeit einen festen Riegel vorzuschieben. Sichtbar ist das auch an den ungleichen Arbeitszeiten – und der damit verbundenen ungleichen Bezahlung – zwischen Ostdeutschland und den nördlichen, westlichen und vor allem südlichen Teilen des Landes. Ein Vierteljahrhundert nach dem Anschluss der DDR an die BRD ist die soziale Einheit längst nicht erreicht. Ostdeutsche Erwerbstätige haben im vergangenen Jahr im Durchschnitt etwa zwei Wochen länger gearbeitet als westdeutsche Arbeitnehmer. Im Osten wurden im Jahr 2015 im Schnitt 1436 Stunden gearbeitet, das waren 77 Stunden mehr als die 1359 in Westdeutschland geleisteten Stunden, wie den Daten des Arbeitskreises Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder zu entnehmen ist. Gewerkschaften allein sind zu schwach, um diese Entwicklung zu stoppen und umzukehren – also brauchen sie Unterstützung von anderen gesellschaftlichen Kräften und aus der Politik. Die Linkspartei hat sich programmatisch festgelegt und will seit Verabschiedung ihres Programms in Erfurt 2011 diese Ziele verfolgen: »Durch die Reform des Arbeitszeitgesetzes soll die höchstzulässige durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden begrenzt werden. Perspektivisch streben wir eine Obergrenze von 35 Stunden, längerfristig von 30 Stunden an.« Soll die Arbeit nicht noch mehr Plage werden, sollen nicht noch mehr Menschen unter Erwerbslosigkeit leiden, sollen die zu uns Geflüchteten nicht als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt benutzt werden, dann ist jetzt mehr denn je eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit und eine faire Verteilung aller Arbeit erforderlich. Einer Gesetzesinitiative wäre im Moment im Parlament wohl kaum Erfolg beschieden, die öffentliche Debatte könnte damit aber erheblich an Fahrt aufnehmen, die angekündigten gewerkschaftlichen Kampagnen würden so politisch und öffentlichkeitswirksam flankiert. Und es wäre der Pflock eingeschlagen, um die Arbeitgeberforderungen nach Verlängerung des Arbeitstages an die kurze Leine zu nehmen.
Erschienen in Ossietzky 11/2016 |
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