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Die folgenden sechs Empfehlungen setzen allerdings ein echtes demokratisches Staatswesen voraus. Umgekehrt bilden sie einen Prüfstein für Demokratie, an der es – bei genauer Untersuchung – nicht nur in Ländern wie der Türkei mangelt. Auch in der Bundesrepublik kann von Demokratie hauptsächlich dem Schein nach gesprochen werden. Da verwundert es nicht, wenn Politiker wie der türkische Präsident Erdoğan und die deutsche Kanzlerin Merkel keine Berührungsängste haben, wie es aktuell beispielsweise in der Frage der Flüchtlingsaustreibung der Fall ist. Erstens: Terroristen einfach zu erschießen (wie es beispielsweise im Januar 2015 in Paris der Fall war) oder sie ohne Gerichtsverhandlung wegzusperren (wie in Guantanamo nach 9/11) ist die falsche Antwort auf den Terror. Für terroristische Attentäter und ihre Handlanger muss dasselbe gelten wie für alle anderen Verbrecher. Ihr menschenverachtendes Tun sollte mit polizeilichen und kriminalistischen Mitteln konsequent aufgedeckt und verfolgt werden. Die Täter müssen rechtsstaatlich abgeurteilt werden und sind streng zu bestraften. Ausnahmen gelten, wie im Strafrecht, bei psychisch kranken Tätern. Im Fall ihrer Selbsttötung (wie am 12. Januar 2016 in Istanbul oder im März 2016 in Brüssel) vollstrecken Terroristen an sich selbst die Höchststrafe, wie sie unser Strafrecht nicht vorsieht: das Todesurteil. Durch Kriege werden Terroristen nicht bestraft und zur Besinnung gebracht, sondern ermutigt und aufgewiegelt. Die Hintermänner und -frauen bleiben im Dunkeln und können ungestört weiterhin verbrecherisch agieren und agitieren. Zweitens: Bestrafung ohne Resozialisierung und Versöhnung wäre zu kurz gegriffen. Die sektenhafte Ideologie des Terrorismus gibt zwar vor, die seelischen Verletzungen, die durch autoritäre Herrscher und Militärdiktatoren sowie durch die früheren Kolonialregime ausgelöst wurden, aufzulösen und eine neue Identität von Person und Kollektiv zu begründen. In gleicher Weise nämlich negieren die terroristischen Handlungsmuster dem Anschein nach – also auf abstrakte Weise, das heißt durch Wiederholung mit anderen Vorzeichen – die Erfahrungen von Kolonialherrschaft und Unterdrückung. Erst eine an den verurteilten Tätern ansetzende Resozialisierungstherapie vermag zu versöhnen und die Verstrickungen aufzulösen, die vom kollektiven Trauma des Kolonialismus, der Fremdherrschaft und autoritärer Repression herrühren. Drittens: Will man sich dem Terrorismus stellen, dann ist es unerlässlich, dass die Staaten des Nordens sich einerseits selbstkritisch der kolonialen Vorgeschichte, Missionierung und militärischen Eroberung der Kolonien im 18. und 19. Jahrhundert vergewissern sowie mehr als bisher über die postkoloniale Ära, über die Auswirkungen des Neokolonialismus und die sozial-ökonomischen Hintergründe des Terrors in Erfahrung bringen. Zum anderen sind Kenntnisse wichtig über die persönliche Entwicklung von Psyche und Mentalität derjenigen, die in Gefahr sind, Terroristen zu werden. All dieses Wissen ist nur teilweise vorhanden und findet, wo es vorhanden ist, kaum eine Anwendung. Es zu erweitern und umzusetzen, setzt entsprechende Forschungen voraus, deren Ergebnisse sowohl in individuelle als auch in kollektive Präventions- und Entwicklungsprogramme umzumünzen sind. Viertens: Sowohl die Strafverfolgung und (Re-)Sozialisierung als auch die Prävention müssen im lokalen Umfeld, auf einzelstaatlicher Ebene sowie im Rahmen der Vereinten Nationen organisiert werden. Zur Prävention gehören vor allem soziale Verbesserungen, das Ende ökonomischer Ausbeutung, die Sicherheit vor staatsterroristischer Willkür und Unterdrückung sowie demokratische Reformen, die den Kampf von Befreiungsbewegungen des Südens unterstützen. Dabei sind Theorie und Erfahrungen des gewaltfreien Aufstands als einer Alternative zum Bürgerkrieg (Theodor Ebert) in Erinnerung zu rufen und weiterzuentwickeln. Fünftens: Eine wichtige Rolle kommt im Norden den Religionsgemeinschaften, dem Bildungswesen und den Medien zu. Letztere können mit einer entkrampften und kritischen Berichterstattung einen Beitrag leisten, um terroristische Gewalt zu ächten, den Sinn ihrer militärischen Bekämpfung grundsätzlich in Frage zu stellen und eine gerechte Welt- und Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Dasselbe gilt für Bildung und Wissenschaft, deren Aufgabe es nicht sein darf, für militärische Zwecke zu forschen oder zu werben. Von den Religionsgemeinschaften muss die Verantwortung übernommen werden für all die Verbrechen, die im Verlauf der Kolonialgeschichte in ihrem Namen begangen wurden und zum Teil bis heute noch werden. Sechstens: In letzter Konsequenz hängt die Aufhebung des Terrorismus davon ab, ob es gelingt, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln und zu schärfen, dass Konflikte ohne militärische Gewaltanwendung und den Einsatz von Waffen gelöst werden können. Neben der Diplomatie und den existierenden, aber wenig bekannten Methoden der Moderation müssen weitere Verfahren des friedlichen Interessenausgleichs erfunden, erprobt und implementiert werden. Solange das Recht des Stärkeren gilt und keine Gerechtigkeit herrscht, wird es auch Terror geben. Darüber aufzuklären ist ein Muss. Es ist an der Zeit, dass sich Bewegungen, die im Norden für den Frieden und für die Befreiung der Gesellschaften des Südens kämpfen, auf ein politisches Programm verständigen, welches den Interessen der Unterprivilegierten dient, den Reichtum gerecht verteilt, die Umwelt schont und Kriege ein für alle Mal als unmenschlich und töricht brandmarkt, weil es humane Methoden gibt, Konflikte zu bearbeiten. Der Kampf gegen den Terror kann nicht erfolgreich sein, wenn er kriegerisch geführt wird. Er verlangt, um wirksam zu sein, nach rechtsstaatlichen Mitteln auf der Grundlage demokratischer Entscheidungsstrukturen und in der Überzeugung von der schlussendlichen Überlegenheit gewaltfreier Aktion. Auch wenn wir davon noch weit entfernt sind – in der Bundesrepublik nicht weniger als in der Türkei und anderen NATO-Ländern –, ist es allerhöchste Zeit, zur Umkehr in Richtung einer demokratischen Terrorbekämpfung aufzubrechen. Rudolph Bauer ist Politikwissenschaftler. Er war bis 2012 Professor an der Universität Bremen im Fachgebiet Wohlfahrtspolitik und Soziale Dienstleistungen. Bauer engagierte sich für die Zivilklausel im Wissenschaftsbereich und war einer der Organisatoren der Antikriegskonferenzen in Berlin (2014) und Bremen (2015). Er ist Autor der Broschüre »Wir befinden uns mitten im Krieg. Militarisierung im Digitalen Zeitalter« (Bremen, 2014; vergriffen) sowie Herausgeber des Sammelbandes »Kriege im 21. Jahrhundert. Neue Herausforderungen der Friedensbewegung« (Annweiler am Trifels, 2015). Mehrere seiner Schriften wurden von Milena Rampoldi in das Italienische übersetzt und sind unlängst unter dem Titel »Nel mezzo di una guerra … Per un pacifismo radicale« (Berlin 2016) erschienen.
Erschienen in Ossietzky 11/2016 |
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