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Vor allem den im Zuge der EU-Personenfreizügigkeit ins Land gekommenen Migranten aus den östlichen Mitgliedstaaten wird unterstellt, sie würden das Sozialsystem ausbeuten. Die von konservativen und rechtspopulistischen Akteuren sowie der Boulevardpresse bestärkte Angst vieler Briten vor Wohlstandsverlusten lässt sich offenbar nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen. Die Angst vor Wohlstandsverlusten ist in der Tat ein Problem für sich. Denn Wohlstandsverluste erleiden immer mehr Menschen im Königreich, weil die Regierung unter Premierminister David Cameron seit Jahren den Abbau sozialstaatlicher Leistungen und Gewissheiten entschieden vorantreibt. Neben der sogenannten neuen underclass, einer stetig wachsenden Schicht von ihrer Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe beraubten schlecht ausgebildeten Briten, sind auch viele der sich als British natives verstehenden Angehörigen der Mittelschicht zunehmend geneigt, für alles, was im Land schiefläuft, nicht die Austeritäts- und Privatisierungspolitik der Konservativen, sondern die EU verantwortlich zu machen. Das zeigte sich nicht zuletzt bei den Regional- und Kommunalwahlen am 5. Mai. Bei ihnen kam es zu keinen nennenswerten Verschiebungen, die Regierung unter Cameron wurde nicht abgestraft. Die rechtspopulistische UKIP konnte in den darbenden walisischen Industriegebieten punkten, sie gewann dort sieben Parlamentssitze hinzu. Die Labour Party schnitt trotz desaströser Prognosen recht passabel ab. Lediglich in Schottland verlor sie so viele Sitze, dass sie hinter der wahrlich sozialdemokratischen Schottischen Nationalpartei und den Tories nur mehr die drittstärkste Kraft im hohen Norden ist. Bei den zugleich abgehaltenen Londoner Bürgermeisterwahlen endete hingegen die achtjährige Herrschaft der Tories, weil der populäre Brexit-Befürworter Boris Johnson nicht wieder kandidiert hatte und der konservative Bewerber Zac Goldsmith auch wegen seiner widerlichen Schmutzkampagne gegen den Labour-Kandidaten Sadiq Khan scheiterte. Die Londoner Bürgerinnen und Bürger, von denen die Hälfte längst nicht mehr weißer Hautfarbe und ohne Migrationshintergrund ist, ließen sich von der konservativen Agitation gegen Immigration und Islamisierung nicht ins Bockshorn jagen. Sie wählten mit Sadiq Khan den Sohn einer pakistanischen Näherin und eines Busfahrers zum ersten muslimischen Bürgermeister. Und zwar nicht zuletzt, weil er sich im Wahlkampf auf die vielen Hauptstadtbewohnern auf den Nägeln brennenden Probleme konzentrierte: die Wohnungsnot und die hohen die hohen ÖPNV-Fahrpreise. Übrigens bezog Khan den neuen Labourchef Jeremy Corbyn aus dem linken Parteilager nicht in seinen Wahlkampf ein. Er galt zwar vor einem Jahr noch als dessen Unterstützer, scheint sich inzwischen aber eher dem mittelschichtsaffinen Partei-Establishment und der Parlamentsfraktion anzunähern, die auf eine Absetzung Corbyns drängen. Da die Parteibasis dem Parteiführer jedoch die Stange hält, dürfte er noch eine Weile den Vorsitz behaupten. Jeremy Corbyn gehört zu den Befürwortern des Bremain – des Verbleibens in der EU. In seiner Rede »Bleiben – und Reformieren« zum anstehenden Referendum hob er im April hervor: »Das Volk unseres Landes steht am 23. Juni 2016 vor der historischen Entscheidung, ob es weiter zur Europäischen Union gehören oder sie verlassen will. Ich begrüße es, dass diese Entscheidung nun in den Händen des britischen Volkes liegt. Ich habe in der letzten Legislaturperiode sogar für ein Referendum gestimmt … Die Labour Party ist mit großer Mehrheit für den Verbleib in der EU, weil wir der Ansicht sind, dass die Europäische Union uns viel gebracht hat – Investitionen, Arbeitsplätze und Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutz – und dass wir die Aufgaben des 21. Jahrhunderts am besten mit der EU bewältigen können.« (Rede vom 14.4.2016, zit. n. FES-Reihe Perspektive, April 2016) Den Umfragen zufolge dürften beim Referendum gut zwei Drittel der Labour-Anhänger für Bremain stimmen – auf ihre Mobilisierung kommt es schon deshalb an, weil viele Tory-Anhänger den Brexit wünschen. Dass nicht in London, sondern in Brüssel immer mehr »zentralistische« Entscheidungen getroffen werden, missfällt nicht wenigen. Das britische Demokratieverständnis setzt auf den offenen Wettstreit und die Zuweisung klarer politischer Verantwortlichkeiten an die Regierung (in aller Regel ohne Koalitionen) und die Opposition. Im House of Commons (Unterhaus), in dem die Mitglieder der Regierungspartei und der Opposition sich auf Bänken gegenübersitzen, gehört ein offener Schlagabtausch einfach dazu. Er fällt wesentlich schärfer aus als im Deutschen Bundestag. Vom Europäischen Parlament ganz zu schweigen; dort gibt es kein Gegenüber von Regierung und Opposition, eher schon so etwas wie das große Rund diverser Koalitionen. Die politische Meinungsfindung im Mehrebenensystem unionseuropäischer Politik stößt in England schon deshalb auf wenig Gegenliebe, weil dort leidenschaftliche Rede und Gegenrede gleichsam unter die Verhandlungstische fallen. Die im Europäischen Rat übliche, teils extrem langwierige Kompromisssuche ist vielen Briten nach wie vor fremd. Hinzu kommt: Das Vereinigte Königreich hat keine geschriebene Verfassung. Zudem hat kein Gericht die Funktion als letzte Instanz politischer Entscheidungen. Anders als in Deutschland oder in der EU werden auf der Insel wichtige politische Entscheidungen traditionell mit der Mehrheit im Parlament getroffen – und nicht durch zuweilen höchstrichterliche Neuinterpretationen alter Gesetze oder Gebräuche durch das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Warum für viele – vor allem konservativ orientierte – Engländer die Prinzipien der unionseuropäischen Einigung weit weniger im Einklang mit den eigenen Traditionen und Institutionen stehen als etwa für uns Deutsche, hat auch verfassungsgeschichtliche Gründe. Jeremy Corbyn sprach in seiner Rede übrigens auch einen Reformbedarf an, für den es in der in vielerlei Hinsicht arg kriselnden EU zweifellos höchste Zeit wird: »Wir müssen uns auch für eine Reform Europas stark machen … Die Rede ist von einer demokratischen Reform, die dafür sorgt, dass die EU den Menschen gegenüber verantwortlich ist. Einer Wirtschaftsreform, die die selbstzerstörerische Sparpolitik beendet und stattdessen Arbeitsplätze und nachhaltiges Wachstum ins Zentrum der europäischen Politik rückt. Eine[r] Arbeitsmarktreform, die in einem wirklich sozialen Europa die Arbeitnehmerrechte stärkt und erweitert. Und [von] neue[n] Rechte[n] für Regierungen und gewählte Organe, die die Überführung von Unternehmen in die öffentliche Hand erleichtern und den Privatisierungsdruck auf öffentliche Dienstleistungen beenden. ›Bleiben – und Reformieren‹: Dafür setze ich mich ein.« Nehmen wir einmal an, die Briten stimmen am 23. Juni für den Verbleib in der EU. Da Labour frühestens 2020 die Chance hätte, die neoliberale Tory-Regierung abzulösen, wird das von Labour gewünschte Bremain eines wohl kaum nach sich ziehen: den historischen Abgesang auf die auch von EU-Kommission und -Rat machtvoll praktizierte harsche Austeritäts- und Privatisierungspolitik samt Fiskalpakt, die besonders die südlichen Mitgliedstaaten in der Krise gefangen hält. Der sich auf Steuersparmodelle à la Panama verstehende David Cameron jedenfalls wird die EU nach Kräften auf einem Kurs halten, für den tax havens (Steueroasen) auf dem Weg liegen, Wohlfahrtsziele aber unerreichbar bleiben. Von Johann-Günther König erscheint am 21. Mai bei Rowohlt rotation das E-Book: »Die spinnen, die Briten. Warum England sich vom Kontinent entfernt«, ca. 75 Seiten, 2,99 €. Am 24. Mai findet in der Buchhandlung Kamloth + Schweitzer, Ostertorstraße 2 die Bremer Buchpremiere mit dem Autor statt (Beginn 19 Uhr, Eintritt frei).
Erschienen in Ossietzky 11/2016 |
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