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Magri, der zu den Führungskadern der Kommunistischen Partei Italiens (KPI, italienisch: Partito Comunista Italiano – PCI) gehörte, die gegen die Auflösung der Partei kämpften, gab die Hoffnung nicht auf, dass die kommunistischen »Ideen in Zukunft in neuer Form wieder auftauchen werden, aber das wird lange dauern, und wir wissen nicht, wo und wie«. Der Band hilft zu verstehen, wie es dazu kam, dass ausgerechnet jene kommunistische Partei Westeuropas, die die größte Massenbasis besaß und seit vielen Jahren öffentlich erklärte Distanz zum sowjetischen Sozialismusmodell hielt, mitgerissen wurde im Strudel seines Untergangs. Die vielen Entwicklungsstufen des PCI, die Magri sowohl aus eigenem Erleben als auch auf der Basis von Dokumentenstudien schildert, sind hier nicht darlegbar. Festzuhalten ist die Perspektive, aus der er schrieb: Magri gehörte einer Strömung an, die eine konsequentere Hinwendung der Partei zu den seit 1968 entstehenden neuen sozialen Bewegungen, besonders auch der Frauenbewegung, anstrebte und ausgeschlossen wurde, weil sie ihre Positionen in der dafür gegründeten Zeitung Il Manifesto öffentlich vertrat. Aus der Manifesto-Gruppe, zu der auch Rossana Rossanda und Luciana Castellina gehörten, ging der von Magri geführte Partito di Unità Proletaria per il Communismo hervor, eine Partei, die es zu einigen Parlamentssitzen schaffte. Der größte Dissens zwischen PdUP und PCI bestand in der Frage des Historischen Kompromisses. Im Gegensatz zu Enrico Berlinguer, dem langjährigen Generalsekretär des PCI, glaubte der PdUP nicht, dass sich in der Democrazia Cristiana genügend humanistisches Potential befände, um die Partei von einem Instrument der herrschenden Wirtschaftsmächte zu einer Förderin der Allgemeininteressen zu machen, wodurch eine reale Regierungszusammenarbeit möglich werden sollte. Im Unterschied zu anderen links vom PCI stehenden Gruppen stellte PdUP nie die Legitimität des PCI und dessen gesellschaftliche Rolle infrage, weshalb Dialog und punktuelle Zusammenarbeit möglich blieben. Nachdem Berlinguer erkannte, dass der Historische Kompromiss gescheitert war, lud er die Ausgestoßenen ein, in die Partei zurückzukehren, was auch geschah. Es sei das einzige Mal in der Geschichte kommunistischer Parteien gewesen, konstatiert Magri, dass eine dissidente Gruppe erhobenen Hauptes und ohne Selbstkritik üben zu müssen, rehabilitiert und reintegriert worden sei. Magris Geschichte des PCI ist allein deshalb lehrhaft, weil er die scharfsinnigen Kritikpunkte, die er in ihren Entwicklungsphasen auflistet, in eine unerschütterliche Haltung der Loyalität einbettet. Dass der PCI unter Togliattis Führung einen entscheidenden Anteil an der Entstehung einer fortschrittlichen Verfassung hatte und in der sich damit entfaltenden Demokratie zur Massenpartei wurde, die mehrfach über 30 Prozent und zum Zeitpunkt ihrer Selbstauflösung noch 28 Prozent der Wähler band, blieb für ihn ein Zeichen, dass sich in Italien eine neue Kultur etabliert hatte, die sich ihrer Geschichte nicht zu schämen und erst recht nicht zu entledigen brauchte. Aber nicht nur deshalb widersprach er den Auflösern des PCI, die – sozialdemokratisch gewendet – meinten, dass die Auflösung des Ostblocks eine Chance für die beschleunigte Auflösung der Antagonismen des Kapitalismus darstelle. Aus seiner Sicht war in Italien unter dem Einfluss des PCI eine neue Kultur entstanden, in der ein sich weit über die Parteimitglieder erstreckender Großteil der Bevölkerung eine Perspektive der vergesellschafteten Kontrolle von Produktion und Einkommen anstrebte. Diese in langer historischer Aktivität gewachsenen Strukturen preiszugeben, sei ein epochaler Fehler gewesen. Wenn es dem Kapitalismus auch gelungen sei, die Potenzen für die Befriedigung der elementaren Lebensbedürfnisse vorzuhalten, so bleibe der Widerspruch zwischen vergesellschafteter Produktion und privater Aneignung ein antagonistischer und nicht nur Ursache wachsender Ungleichheit und Prekarität, sondern auch der ökologischen Gefährdung des Planeten. Hier liege der Grund für notwendiges Arbeiten kommunistischer Parteien, die sich freilich weder in einen verknöcherten bürokratischen Apparat verwandeln noch opportunistische Systemanpassung betreiben dürfen – was auch den PCI zunehmend schwächte. Es komme darauf an, die von der Kapitalseite mit wachsendem kulturellen Aufwand gesteuerten Entwicklungen schnell zu verstehen und die Gesellschaft dagegen in Bewegung zu setzen. Dies müsse unter Einbeziehung möglichst aller antikapitalistischen Kräfte geschehen, die den PCI oft nur als »Freundfeinde« betrachtet habe. Nicht nur zur Geschichte der italienischen und internationalen Arbeiterbewegung liefert Magri erstaunliche Analysen, seine Veröffentlichung trägt auch zum Verständnis des aktuellen Kapitalismus und möglicher Gegenstrategien bei. Ich wünsche Lucio Magris Buch viele Leser. Lucio Magri: »Der Schneider von Ulm. Eine mögliche Geschichte der KPI«, Argument/Inkrit, 460 Seiten, 46 €
Erschienen in Ossietzky 8/2016 |
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