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Eine Emigration aus Franco-Spanien (sein Guernica-Bild entstand in diesem Atelier in Paris) und seine besondere Form von innerer Emigration. In Frankreich hatte er Ausstellungsverbot. In die USA wollte er nicht. Die kleine Fotografie seines Auges, das aus dem Schwarz – das hinter ihm liegt – auf die Trümmer der Geschichte sieht, ist wie ein geöffnetes Fenster. Picasso ging es wie vielen emigrierten Künstlern in dieser Zeit: Er blieb im Innenraum, beschränkte sich auf Stillleben. Auf die Frage, warum er den Krieg nicht dargestellt habe, antwortete Picasso: »… weil ich nicht die Art Maler bin, der wie ein Photograph darauf aus ist, etwas abzubilden. Aber ich zweifle nicht, dass der Krieg in den Bildern ist, die ich gemalt habe.« Nicht den Krieg, aber die Enge des Eingeschlossenseins drückt das »Atelierfenster« von 1943 aus. Durch die geöffneten Scheiben scheinen Dächer in graugrün – die Farbe der deutschen Uniformen? Das Innen besteht nur aus den Lamellen einer Heizung und Rohren, gelb hinterlegt. Das, was es nicht gab – Wärme – signalisierend. Heizmaterial war knapp. Ein weißes Handtuch hängt an der Wand wie ein umgekehrtes Ausrufungszeichen. Ein Gemälde von 1944 weist, ganz realistisch, auf die Selbstversorgung der Pariser mit Gemüse hin. Der »Tomatenstock« vor dem Fenster. Einige Früchte sind schon reif. Fotos von Brassaï und Henri Cartier-Bresson von 1944 führen ins Atelier. Auch Picassos Frau Dora Maar machte Fotos, die den Künstler 1937 bei der Arbeit an »Guernica« zeigen. Durch die wandhohen Sprossenfenster fällt Tageslicht auf das Gesicht mit geöffnetem Mund, das kalkweiß sich vom schwarzen Hintergrund abhebt. Am Boden Malutensilien, eine Leiter. Das »Stillleben mit Totenschädel, Lauch und Krug« entstand 1945. Das Fenster ist nur durch einen Knauf als solches zu erkennen. Die Glasscheiben, verschiedenfarbige, spitze Stückchen, müssen zerbrochen sein. Auf dem Tisch ein Totenkopf, schimmelgelb, das Gebiss weiß. Die Lauchstangen davor, wie gekreuzte Knochen. Der Krug rechts daneben: ein kubistischer Vogel? Gefragt, was die Lauchstangen mit dem Totenkopf zu tun haben, sagte Picasso zu Françoise Gilot: »Du kannst heute ebensowenig noch einen Schädel mit gekreuzten Knochen malen, wie du amour auf toujours reimen kannst.« Aber die Lauchstangen, ganz realistisch, sind auch Nahrungsmittel, in Zeiten des Hungers keine Metapher. In Picassos Lyrik aus den 1930er Jahren tauchen oft Fenster auf und Vorhänge. Gedichte, deren Elemente vom Leser wie bei Collagen immer wieder anders zusammengesetzt werden können. Sie atmen Duft, regen die Zunge an, das Ohr wird umschmeichelt oder genervt, das Auge, aufgerissen: um zu sehen. Ein Gemälde Picassos, das seinen vierjährigen Sohn »Paulo als Pierrot« zeigt, mutet fremd an in der Ausstellung. Es entstand erst 1925, obwohl es an seine rosa Periode erinnert – im naiven Stil Rousseaus gemalt. Blauer Himmel scheint durch die geöffnete Fenstertür. Wie für Postkarten gemacht. Ganz anders Picassos Frauenbilder. Die Modelle sitzen vor oder unter Fenstern, eingeschlossen, wie gefangen. Der Begriff »maison close« steht auch für Bordell. Michel Leiris, ein Freund Picassos, stellt in seinem Roman »Mannesalter« eine Verbindung her zwischen Bordellen und Museen. Ein Porträt Dora Maars von 1937 zeigt sie auf einem Stuhl, eingezwängt zwischen Zimmerwände, ohne den Trost eines Fensters (nur im Katalog). Dagegen in Hamburg zu sehen: »Frau am Fenster sitzend. Marie-Thérèse« (1932). Dass sie sich etwas unbehaglich fühlt – ihr verrenkter linker Arm deutet es an. Auch der Missklang der Farben passt dazu. Sie sitzt steif auf dem schwarzen Stuhlgestänge. Eine »Selbstumarmung«, wie es im Katalog heißt, sehe ich da nicht. Der »Frau im Innenraum« (1936) ist eine abstrakte Gefährtin zugeteilt, die einem Drahtgebilde gleicht. Die »Liegende mit Buch«, auch wieder Marie-Thérèse, könnte lesen, wenn sie wollte. Ihre Augen, blau wie ihr Kleid, sind geöffnet. Das Fenster, grünlich-grau, ist geschlossen. Die Außenwelt, 1939, im Januar, noch keine Bedrohung? Voraus ins Jahr 1955. Da zog Picasso in die Villa »La Californie« in Cannes. Viele Schwarz-Weiß-Fotografien dokumentieren die hellen, lichtdurchfluteten Räume. Im Oktober entstand eine Serie von elf Gemälden – auch Lithographien. Im Zentrum eines der Jugendstilfenster. Alles in strahlenden Farben, schwarz konturiert. Die Fenster führen in den Garten mit Palmen. Auf dem Bildhauerbock eine weiße Büste, auf einem Stuhl die Malutensilien. Das »Atelier« (1955) zeigt als erstes Bild der Serie eine noch jungfräulich weiße Leinwand auf der Staffelei. Immer wenn in seinem Leben eine neue Phase begann, erschien das Fenstermotiv in Picassos Bildern. Die Malerin Esther Horn schreibt im Einleitungskapitel des Katalogs: »Das Kunstwerk reflektiert und erzeugt seine eigenen Entstehungsbedingungen und ist zugleich ihr Ausdruck.« Sie war es, die den Anstoß gab für die Ausstellung. Zurück zu den Anfängen. Schon als Achtzehnjähriger malte Picasso in Barcelona Fensterbilder – in kleinem Format. Ein Gegensatz zu den prächtigen Jugendstilfenstern der 1950er Jahre. Da ist ein dunkles Bild, viel Braun. Zwischen den Fensterstreben leuchtet es hell: eine Winterlandschaft. So, als habe er zeigen wollen, was vor dem Fenster ist. Aber irgendetwas stimmt nicht. Die Ecken der Landschaft sind abgeschrägt wie auf Gemälderückseiten, die Fensterkreuze können auch der Keilrahmen sein. Steht die Leinwand an ein Fenster gelehnt, und Picasso malte auf der Rückseite die Landschaft? Unterhalb des Fensters ist ein Vorhang angebracht, oben setzen sich die Fensterstreben fort. Dieses, auf den ersten Blick unauffällige Bild entstand 1900. Der Titel: »Interieur«. Die Ausstellung setzt es bewusst an den Anfang. Hier beginnt eine völlig neue Sehweise, ein Vexierbild ins neue Jahrhundert. Ein anderes Gemälde, »Fenster mit Vorhang von innen« (1899) gibt Hinweise auf die Ärmlichkeit des Zimmers oder Ateliers in Barcelona. Warum dieser Vorhang, der das Fenster unordentlich nur halb verdeckt? Wie auch auf dem vorigen Bild: eine vors Fenster gehängte Decke. Das allerdings ist pure Realität, ein Schutz gegen die Kälte, den Luftzug. Der undeutliche Ausblick durch das Glas auf eine graue Mauer, sehr nah. Kein Garten mit Palmen. Hier versucht Picasso, seine eigene Situation andeutungsweise zu zeigen. Zwei düstere Bilder: »Arme Genies« (nicht in der Ausstellung) und »Am Krankenbett«, beide 1899/1900. Picasso verschlüssele nichts in Allegorien, schreibt Esther Horn. 1898 erkrankte der Maler an Scharlach – einige Jahre vorher war seine Schwester an Diphterie gestorben, mit sieben Jahren. Das war die Wirklichkeit. Das Bild vom Krankenbett aber hängt – mit gemaltem Rahmen – an einer Wand, die wie unverputzt und rau neben dem Bild erscheint: gemalt. Ein Bild ist Illusion. Und das Fenster bekommt eine neue Bedeutung als Vermittler zwischen Innen und Außen. Neu ist das Infragestellen. Picassos Auge lehrt uns ein anderes Sehen.
Erschienen in Ossietzky 7/2016 |
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