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Ossietzkys KritikenHardy Reich »Es ist nur natürlich, dass der entsetzliche Tod eines von den Faschisten Ermordeten zurückwirkt auf unser Bild von seiner ganzen Persönlichkeit«, befand 1989 Rudolf Arnheim, Kulturredakteur der Weltbühne von 1928 bis 1933: »Die Entrückung eines so durch und durch vergeistigten Kulturmenschen in einen Bereich der gemeinsten Brutalität hat etwas vom Schock der Fotomontagen, in denen John Heartfield die Missklänge einer verdorbenen Welt beschrieben hat.« Nicht zufällig ist von den Abbildungen Carl von Ossietzkys jene am bekanntesten, die ihn als KZ-Häftling in Esterwegen einem Wachmann gegenüber zeigt. Wenn er überhaupt noch im öffentlichen Bewusstsein vorhanden ist, dann am ehesten als Nazi-Opfer, Pazifist und Friedensnobelpreisträger sowie als Herausgeber der Weltbühne. Wenig bekannt ist, dass er sich in beträchtlichem Maße auch als Literatur- und Theaterkritiker betätigt hat, und zwar buchstäblich vom ersten bis zum letzten veröffentlichten Artikel aus seiner Feder: Beide behandeln Belange des Theaters. Die Gesamtausgabe seiner Schriften listet in ihrem Register 104 von ihm besprochene Theateraufführungen und 117 von ihm rezensierte Bücher auf; hinzu kommen Autorenporträts und allgemeine Artikel zu Theaterfragen. Den Anfang macht 1911 ein ausführlicher, unverlangt eingesandter Beitrag in der linksliberalen Wochenzeitung Das freie Volk. Der 21-jährige Hilfsschreiber der Hamburger Justizverwaltung erklärt, er könne »lediglich einen Temperamentsausbruch« liefern, nennt seinen Text aber zugleich eine »Besprechung, die einen wesentlich anderen Standpunkt einnimmt« als der Großteil der Kritiken zur Uraufführung von Herbert Eulenbergs neuromantischer Komödie »Alles um Liebe«. Vor allem betreibt er Rezeptionskritik – auch später ein wesentliches Element seiner Artikel – und vergleicht das Hamburger Publikum beim Premierenskandal mit kriminellen »Halbstarken«: »Der brutale Stoffhunger triumphierte über die zarten Gebilde einer Dichterphantasie«, beklagt er und fragt besorgt: »Soll es dahin kommen, dass dem Dichter die Bühnen gänzlich verschlossen werden, dass er allmählich bühnenfremd und zum unfruchtbaren Experimentator wird?« Jedoch sei, so die Schlusspointe des sorgsam komponierten »Temperamentsausbruchs«, an der »Wiener freien Volksbühne« ein anderes Stück Eulenbergs »begeistert aufgenommen« worden. »Vom Arbeiterpublikum!! Das zahlungsfähige Hamburger Bourgeoispublikum sollte sich aufrichtig schämen.« Nicht um die Propagierung eines proletarischen Theaters geht es Ossietzky, sondern, bezeichnend für ihn, um Kritik am Bürgertum, dem er sich, obwohl kaum »zahlungsfähig«, selbst zugehörig fühlt, an dessen Tendenz zu Kulturlosigkeit und Brutalität er aber leidet. Die Sorge um den Dichter – ein Wort, das er stets mit Hochachtung verwendet – bleibt ebenso typisch wie die durchaus konservative Skepsis gegenüber allzu Experimentellem. Jahre später vermerkt er bei einer Raimund-Inszenierung von Jürgen Fehling erleichtert, dass »Gott sei Dank alle ›modernen‹ Züge fehlen, die den Genuss an älteren Werken dieser Art gewöhnlich so gründlich verekeln«. Nach dem Ersten Weltkrieg, als Journalist in der Theatermetropole Berlin, schreibt er parallel über politische und kulturelle Themen, ab 1924 als Redakteur »ohne Rayonbegrenzung« beim Tage-Buch und der Wochenzeitung Montag Morgen. Der Historiker Werner Boldt nennt Ossietzkys frühe Theaterkritiken »offenbar Pflicht, nicht Kür«, was auf etliche Artikel zutreffen mag, weil ihm oft nur Raum für Kurzkritiken bleibt, aber sicher nicht auf die Theaterbesuche selbst, die ihn unter anderem in Inszenierungen von Max Reinhardt – für ihn weiterhin der »Meister« –, Leopold Jessner und Heinz Hilpert führen. Von den Arbeiten zur Literatur hat sein Leo-Perutz-Porträt im Tage-Buch in jüngerer Zeit bei der Wiederentdeckung dieses Romanciers Beachtung gefunden; viel zitiert werden die charakteristischen Sätze: »Er ist ein Dichter mit der Fähigkeit, ungewöhnlich fesselnde Romane zu schreiben. Ich betone: Ein Dichter.« Besonders rühmt er Perutz’ »Marques de Bolibar«, berührt aber nicht die Kriegsdarstellung in diesem Roman. Während Ossietzkys politische Publizistik stets von literarischen Zitaten und Anspielungen durchzogen ist, hält er die Politik aus seiner Literaturkritik damals zumeist heraus. An die bekanntlich aus einer Theaterzeitschrift hervorgegangene Weltbühne kommt er 1926 als politischer Leitartikler. Auch als er bald darauf die Leitung des Blattes übernimmt, sieht er sich als Vertreter des politischen Teils, gestattet sich aber Ausflüge in die Theater- und vor allem Literaturkritik. Häufiger kommen nun ästhetisches und politisches Urteil zusammen. Mehrfach setzt er sich mit Erwin Piscator auseinander, dessen technisch geprägtes Theater ihm fremd bleibt. Dass Piscator ein Stück nur als Gerüst für die Entwicklung seiner Themen nimmt, verträgt sich nicht mit Ossietzkys Hochschätzung der Dichter, und auch die Schauspieler sieht er marginalisiert. Politisch wirft er dem Regisseur 1928 dessen Bindung an die Kommunistische Partei vor; besser solle sich Piscator auf eine »imaginäre Linke« stützen, »die bei allen Kämpfen gegen Militarismus und Justiz in der Avantgarde gestanden hat, unorganisiert, freizügig, freiheitliebend, uneinig oft, aber einig in der Parteiverdrossenheit«. Nicht überraschend erfolgt darauf eine bemerkenswert plumpe Reaktion der Roten Fahne, die Ossietzky als »das literarische Lümpchen« beschimpft und ihm einen Platz »auf der Armensünderbank« zuweist. Ein Glanzstück seiner Literaturkritik, ein virtuoser Verriss des Romans »O. S.« von Arnolt Bronnen, erscheint 1929 nicht in der Weltbühne – dort hat Kurt Tucholsky das Buch rezensiert –, sondern in der mehrsprachigen Warschauer Monatszeitschrift Pologne littéraire. Der Roman behandelt die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen. Ossietzky reflektiert diese Thematik. Zudem glossiert er die Pose, mit der sich Bronnen, österreichischer Herkunft und als expressionistischer Dramatiker bekannt geworden, nun als Fanatiker eines aggressiven deutschen Nationalismus geriert: »Es gibt einen heißen und einen kalten Fanatismus, aber es gibt keinen Fanatismus, der von oben herab mit Dandygeste seinen Sermon lässig durchs linke Nasenloch schnoddert.« Buchbesprechungen und Artikel zu kulturellen Themen häufen sich 1932 während der Gefängnishaft nach dem »Weltbühnenprozess«. Zwar hält er sich nicht an das Publikationsverbot, doch um die Fiktion zu wahren, die Texte seien schon vor dem Haftantritt verfasst worden, muss er sich tagespolitischer Kommentare enthalten. Schon wenige Wochen nach seiner Entlassung macht die Machtübernahme der Nazis solch ein Ausweichen erneut notwendig. Gewiss hätte er in seinem letzten Artikel – erschienen am Tag seiner erneuten Verhaftung nach der Nacht des Reichstagsbrands – lieber anderes aufs Korn genommen als die Angriffe des rechtsgerichteten Schriftstellers Walter Bloem auf Theater und Dramatik des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Dass er indes auch darauf kundig zu antworten versteht, ist Ergebnis seiner langen Beschäftigung mit diesen Themen. So bilanziert Ossietzky auch aus heutiger Sicht treffend: »Diese letzten vier Jahrzehnte von Hauptmann bis Brecht, von Rittner bis Krauß, von der Sorma zur Bergner, waren eine Zeit unerhörter Blüte, auf die Deutschland mit bestem Recht stolz sein kann.« Der Politik- und Literaturwissenschaftler Hardy Reich hat seine Magisterarbeit über Carl von Ossietzky als Literaturkritiker geschrieben.
Erschienen in Ossietzky 7/2016 |
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