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Zwar nicht für alle, aber für viele, war die DDR – wie die Thüringer Koalitionsvereinbarung der Linken, SPD und Bündnisgrünen feststellt – »in der Konsequenz ein Unrechtsstaat«. Wer dazu eine Position beziehen will, sollte sich individuell der entgegengesetzten Auffassung stellen. Deshalb beschloss ich als Kritiker der Formulierung vom »Unrechtsstaat DDR«, gemeinsam mit anderen, die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße Erfurt, einen Ort des Unrechts, aufzusuchen. Beim Rundgang wehrte sich bei manchem die innere Position. Denn selbstverständlich wissen wir, wo in der Welt, auch in der früheren Bundesrepublik, ähnliche Schindungen an ähnlichen Orten abgelaufen sind. Dieser Sachverhalt oder die Unvergleichbarkeit des Stasi-Knastes mit den KZ-Lagern bringt aber keine Schuldminderung. Bei unserem Besuch ging es darum, zur Kenntnis zu nehmen, wie in unserem Staat DDR mit Menschen umgegangen wurde. Wir wollten das dort verübte Unrecht in unser Gedächtnis und Gefühl aufnehmen. In der sinnlichen Bedrängnis des Ortes erfuhren und begriffen wir: Ein solcher, von Unmenschlichkeit geprägter und das Recht beugender Sozialismus ist keiner; denn undenkbar ist ein Sozialismus ohne Demokratie. Der Gedenkstättenleiter Jochen Voit führte uns durch die drei Stockwerke des Erinnerungsortes »Andreasstraße«, die HAFT, DIKTATUR, REVOLUTION zum Thema haben, mit großer Sachkenntnis zum Geschehen in der Untersuchungshaft des Ministeriums für Staatssicherheit, ging keineswegs einseitig und undifferenziert auf alle Fragen und Einwände ein, nahm gern auch Fakten auf, um seine Kenntnis zu erweitern. Wir sahen, wie leicht in der DDR jedes Recht und Gerechtigkeit verloren gehen konnte, selbst für jene, die den Sozialismus verbessern wollten. Wenn man der Partei, die behauptete, immer Recht zu haben, widersprach und wenn man sich nicht systemkonform verhalten hat, konnte die DDR zum Unrechtsstaat werden. Jugendliche schrieben das Graffiti »Macht aus dem Staat Gurkensalat« und bekamen dafür sechs Monate Haft. Oder als Studenten der Pädagogischen Hochschule Erfurt den Marxismus-Leninismus-Unterricht und die Ausbürgerung Wolf Biermanns kritisierten, ich war dort Mitarbeiter in der Kunstgeschichte und bekam das mit, bröckelte die Seminargruppe durch heftige propagandistische Bearbeitung zu wenigen Tapferen ab; Gabriele Stötzer, damals Kachold, musste ein Jahr ins Frauengefängnis. Den Bedingungen ihrer fünf Monate Untersuchungshaft in der Andreasstraße konnten wir andeutungsweise begegnen: die Reduzierung der Person auf eine Nummer ohne Namen; die Schallverstärker in der Zelle, um die Gespräche mitschreiben und danach mit dem Wissen Druck ausüben zu können; Protokolle der verpetzenden »Lauschis«; die verzweifelte Bemühung um Kommunikation, zu der man das Wasser aus dem Klo ausschöpfte, um durch das dröhnende Rohr sich einem anderen Häftling mitteilen oder ihn nur spüren zu können. Selbst im halbstündigen »Freigang« kein Wort miteinander; ein Brief in der Woche im Beisein der Stasi geschrieben; das Schlimmste, die bis zu zwei Wochen währende Einzelhaft in einem dunklen »Bunker«, den die Häftlinge auch »Tigerkäfig« nannten. »Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht«, so prangt der Satz an den Wänden der Gedenkstätte. Eine Lehre für die historischen Gedenkstätten und Museen, welche für alle, die nach Wahrheit suchen, wahrhaftige Historizität bewahren sollen. Deshalb wird in der Andreasstraße vorgeführt, wie in der DDR mit der SED-Diktatur gelebt werden musste, welche von der friedlichen Revolution beendet wurde. In der Ausstellung des Stasi-Knastes werden aber auch mit bildlichen Propaganda-Mitteln alternierende Lebenswege in der DDR gezeigt, ob man sich so oder anders entwickeln konnte. Beispielsweise hätte der zur Kunst Begabte zwei Möglichkeiten gehabt: Kunst an der Hochschule studieren und danach den vom Staat verlangten sozialistischen Realismus produzieren oder nicht studieren und im Untergrund Kunst machen. Wie viele subversive Künstler soll ich nennen, die studiert haben und Professoren wurden? Für mich verkürzt eine im Gefängnis ausgebreitete Darstellung der DDR unter dem Aspekt der SED-Herrschaft unzulässig, dass diese Republik ein Gefängnis war. Wenn Kinder nach dem Besuch der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße mit ihren Zellen und Gängen erschüttert meinten: »In der DDR würde ich nicht leben wollen« (Thüringer Allgemeine 26.2.16), kann das gut verstanden werden. Denn nach Helmut Preißler gesagt, sieht vom Schauhaus, wie vom Stasi-Knast, das Leben reichlich grau aus. Aber führt die Kinder zu Stätten, die das Leben in der DDR »in rechtlich-ethischer Normalität« (Ernst-Wolfgang Böckenförde) zeigen, sagen sie: »Das hätten wir auch gern.«
Erschienen in Ossietzky 7/2016 |
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