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Wenn wir aber jemanden als Jüngling oder als Prüfling bezeichnen, wird er sich dadurch nicht gekränkt fühlen. Und bei dem Wort Schützling kann ebenso Sympathie wie Antipathie mitklingen. Wir brauchen also die Flüchtlinge nicht vor dem Wort Flüchtling zu schützen und müssen Bert Brechts »Flüchtlingsgespräche« nicht in »Geflüchtetengespräche« umbenennen. Wörter entziehen sich festen Regeln. Sie werden gebraucht oder missbraucht, wie es gerade passt. Oft verkehren sich ihre Bedeutungen bis ins Gegenteil, je nachdem wer sich ihrer für seine Zwecke bemächtigt. Aufklärer haben die Aufgabe, die Sprache vor propagandistischem Missbrauch zu schützen, vor allem vor Verdrehungen von oben. Also aufgepasst, wenn die Herrschenden ihre Angriffskriege als Verteidigungskriege ausgeben, deren Zweck es sei, »humanitäre Katastrophen« zu verhindern (als könnte eine Katastrophe jemals humanitär sein), und wenn sie dann auch noch von uns verlangen, dass wir »Verantwortung übernehmen«. Zweierlei Sprache = verlogene Sprache ist eines der wirksamsten Mittel, mit denen sie ihre Herrschaft festigen und ausweiten. Assad, der relativ demokratisch gewählte Präsident Syriens, darf hierzulande seit langem nicht mehr Präsident genannt werden. Darauf haben sich die tonangebenden Medien offenbar verständigt. Schlächter ist erlaubt. Als sachlich, geradezu neutral erscheint dagegen die Bezeichnung Machthaber. Aber welcher Nachrichtenredakteur wird es wagen, sie dem US-Präsidenten Obama zuzuerkennen oder ihn gar unter Hinweis auf tausende Drohnen-Opfer Schlächter zu nennen? Angesichts derartiger Absurditäten kann es nicht mehr verwundern, dass monarchischen Diktaturen zu Kriegsverbündeten der NATO werden oder neuerdings als sichere Herkunftsländer gelten, in die die Flüchtlinge, Flüchtenden, Geflüchteten oder Geflohenen im Zeichen der »Willkommenskultur« gewaltsam abtransportiert werden sollen. Das durch den NATO-Bombenkrieg von Serbien abgetrennte Ländchen Kosovo ist so sicher, dass dort zur Aufrechterhaltung der Sicherheit nach bald 15 Jahren immer noch das größte Kontingent der deutschen »Armee im Einsatz« stehen muss. Die als besonders familienfreundlich bekannten Parteien CDU und CSU achten vor allem darauf, dass den trotz aller Abwehrmaßnahmen nach Deutschland Gelangten mehrere Jahre lang keine Angehörigen folgen. Zu den speziellen Gemeinheiten gegen Flüchtlinge, Flüchtende und Geflüchtete gehört es, ihnen weniger als das Existenzminimum zuzusprechen – womit man ihnen klarmacht, dass sie in Deutschland kein Existenzrecht haben. Kein Lebensrecht. Vergessen sind Äußerungen von Unternehmern und auch manchen Politikern: Deutschland brauche Zuzug. Vor allem von jungen, gut ausgebildeten Fachkräften. Sonst werde es immer schwieriger, die Alten zu ernähren, deren Anteil an der Bevölkerung steige und steige. Jetzt gilt das Gegenteil: Christ- und Sozialdemokraten überbieten sich in Forderungen, die Armutswanderung zu unterbinden, die Wirtschaftsflüchtlinge abzuwehren. Wirtschaftsflüchtling war auch mein älterer Bruder Armin. Er wanderte Anfang der 1950er Jahre mit seiner Frau nach Kanada aus, da lebte es sich besser. Auch in den USA und in Australien suchten damals hunderttausende Deutsche ihr Glück. Armin und seine Familie kehrten nach Jahren zurück, als sich hier die Lebensumstände gebessert hatten. Wer spricht noch davon? Und von den Millionen Polen, die vor dem Ersten Weltkrieg ins Ruhrgebiet oder weiter nach Amerika gezogen waren? Oder von all den Deutschen, die sich einreden ließen, sie seien ein »Volk ohne Raum«, und sich im Zweiten Weltkrieg in der Ukraine ansiedelten, wo ihnen das Großdeutsche Reich Grund und Boden schenkte? Freizügigkeit war bis 1989 in der Bundesrepublik der Inbegriff von Freiheit. Was heute damit gemeint ist, erfährt man am deutlichsten aus den »Verteidigungspolitischen Richtlinien«: freier Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten weltweit. Auch zum Fußballspieler-Markt. Da konkurriert Deutschland mit England um die besten Balltreter aller Kontinente. Für Millionen-Beträge gekauft, mit deutschem Pass ausgestattet und so zu Deutschen geworden, stärken sie Tore schießend deutsches Ansehen und Selbstwertgefühl. Was erwarten wir, wenn wir hören, dass ein Parlamentsbeteiligungsgesetz geschaffen wird? Etwa mehr Demokratie? Eine Kommission unter Vorsitz eines früheren Bundesverteidigungsministers (der ebenfalls in Anführungszeichen gehört) hat eine Neufassung dieses Gesetzes vorbereitet. In »Fällen von geringer Intensität und Tragweite« will die Bundesregierung das Parlament außen vor lassen. Damit könne die Regierung, so der CDU-Militärpolitiker Hans-Peter Uhl, »schnell und flexibel auf die Krisen des 21. Jahrhunderts reagieren«. Die Rechte des Parlaments auf Entscheidung über Militäreinsätze sollen also eingeschränkt werden – nachdem schon seit Jahren der »Bundessicherheitsrat« im Geheimen entscheidet und eine Truppe namens »Kommando Spezialkräfte« der parlamentarischen Diskussion und Meinungsbildung entzogen ist. Die Öffentlichkeit erfährt nichts über die KSK-Einsätze, der Bundestag desgleichen, selbst der Verteidigungsausschuss wird nicht informiert. Traurige Wahrheit: Die Abgeordneten – jedenfalls die Mehrheit – akzeptieren das. Wie auch die Medien, deren Aufgabe eigentlich darin besteht, Öffentlichkeit herzustellen. Flüchtlinge oder Geflüchtete – darüber sollten wir nicht streiten, wenn zugleich eine solche Militarisierung und Entdemokratisierung stattfindet.
Erschienen in Ossietzky 6/2016 |
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