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Heute ist die Sonntagsruhe im Arbeitszeitgesetz festgeschrieben, das ein allgemeines Beschäftigungsverbot mit eigentlich wenigen Ausnahmen verbindlich festlegt: in Not- und Rettungsdiensten, Krankenhäusern, an Theatern, in Sport- und Freizeiteinrichtungen, bei Presse, Funk und Fernsehen, Messen und Ausstellungen, in Verkehrsbetrieben, in der Energie- und Wasserversorgung und wenigen anderen Bereichen. Am regnerischen Sonntagnachmittag des 21. Februar 2016 sitzt ein 28-jähriger Fahrer aus Salzwedel am Steuer eines Testwagens und dreht die vorgeschriebenen Runden in vorgeschriebener Geschwindigkeit auf der Schnellbahn des Volkswagen-Versuchsgeländes in Ehra-Lessien in der Nähe von Wolfsburg. Dann Aquaplaning, der Wagen gerät ins Schleudern, überschlägt sich und bleibt im Graben liegen: Der 28-Jährige war vermutlich auf der Stelle tot. Grausames Ende einer überflüssigen Arbeit am Sonntag, die gesetzlich eigentlich verboten ist. »Unsere Gedanken sind bei den trauernden Angehörigen, ihnen sprechen wir unser tiefes Mitgefühl aus«, teilte Volkswagen mit. Hatte die Gewerbeaufsicht der Sonntagsarbeit zugestimmt? Hatte der Betriebsrat der Sonntagsarbeit zugestimmt? Und wenn ja: Mit welcher Begründung sind Testfahrten am Sonntag nötig, mit welcher Begründung wurde eine Ausnahmegenehmigung erteilt? Müßig ist es, darüber zu spekulieren, ob dieser Unfall am Freitag oder am Montag auch passiert wäre. Auf diesem Testgelände werden jährlich 34 Millionen Kilometer gefahren, seit 2009 mit mindestens fünf tödlichen Unfällen und vielen, teils schwer verletzten Personen: im Jahr 2009, ebenfalls an einem Sonntag; im Jahr 2013 ein tödlicher Unfall mitten in der Nacht um 2:30 Uhr. »Testfahrer haben auch die Aufgabe, ihr Fahrzeug bis an die Grenzen zu führen«, erklärte ein »Sachverständiger« der VW-Unfallforschung zum Unfall von 2009 dieses Höllensystem: Es handele sich um einen unglücklichen Arbeitsunfall. Ähnliches passiert auf den Teststrecken aller anderen Autohersteller, im Straßenverkehr unseres Landes wurden im vergangenen Jahr 3.475 Menschen getötet, 390.000 Personen wurden teils schwer verletzt. Weltweit sterben im Straßenverkehr weit über 600.000 Menschen pro Jahr. Testfahrer setzen ihr Leben aufs Spiel und bekommen von Volkswagen erst weniger Lohn und dann einen Tritt in den Hintern! Hinter den Kulissen bei Volkswagen brodelt es gewaltig. Bekannt ist, dass der Großteil der Testfahrer, die bei Dienstleistern arbeiten und für VW und Konzerntöchter die Wagen testen, überwiegend nur wenig mehr als den gesetzlichen Mindestlohn verdient. Dafür – fünf tote Testfahrer seit 2009 verdeutlichen dies – setzen sie ihr Leben aufs Spiel. Beim Streit um die aktuelle Auftragsvergabe geht es um die Zukunft von 250 Beschäftigten – ein Racheakt von Volkswagen wegen der Klagen zur Überprüfung von Scheinwerkverträgen? Es geht um Fahrzeug-Versuch-Volke (FVV). Die Firma stellt als einer von mehreren Dienstleistern Personal für Erprobungsfahrten. FVV schrieb in den vergangenen Jahren Schlagzeilen, weil nicht alle Mitarbeiter mit ihrem Status zufrieden sind. Einige Fahrer ärgern sich über die schlechte Bezahlung und wollten sich bei VW einklagen – der Konzern wehrte sich dagegen. Im Gegenzug schien es FVV darauf anzulegen zu wollen, klagefreudige Mitarbeiter mit allen Mitteln aus dem Unternehmen zu entfernen. Bei mehreren Arbeitsgerichtsprozessen kamen einige Merkwürdigkeiten in den Betriebsabläufen heraus. Nach Informationen einer Wolfsburger Lokalzeitung kommt ab 1. April 2016 statt Volke eine Tochterfirma der Formel D GmbH mit Sitz in Troisdorf bei Köln für die Testfahrten zum Zug. Die Formel D GmbH gehört mehrheitlich der von der Deutschen Bank gegründeten Deutschen Beteiligungs AG, an der auch Drogerieketteninhaber Dirk Roßmann 25 Prozent Anteile hält. Die Tochterfirma nennt sich »Formel K« und ist eine Personalvermittlungsfirma. Das Personal, um den Großauftrag zu wuppen, kann naturgemäß bei der Personalvermittlung »Formel K« gar nicht vorhanden sein. Das belegen auch Stellenanzeigen im Internet, mit denen das Unternehmen »ab sofort« für Ehra/Wolfsburg unter anderem Testfahrer, Mechatroniker und Ingenieure sucht. Volke soll den Auftrag verloren haben, weil das Wolfsburger Unternehmen bei der Neuausschreibung ein schlechteres Angebot als der Mitbewerber aus Troisdorf abgegeben hatte. Damit stehen die tariflich abgesicherten und durch einen Betriebsrat vertretenen Arbeitsplätze von 250 FVV-Fahrern auf dem Spiel. Das ist der Punkt, an dem die IG Metall harsche Kritik übt. Hintergrund: Die IG Metall ist darum bemüht, möglichst viele Beschäftigte in den Firmen an der Peripherie von Volkswagen zu organisieren, Betriebsräten auf die Beine zu helfen und Tarifverträge abzuschließen. Das gelingt auch zunehmend. Und genau das will Volkswagen, der »Sozialpartner« (IG Metall-Aktion bei VW: Ein Team. Eine Familie), jetzt unterlaufen und hintertreiben: Ein perfides Spiel, das abgepfiffen werden sollte – zumal an Sonntagen, die »Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung« bleiben sollten!
Erschienen in Ossietzky 6/2016 |
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