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Der junge spanische Maler, der in Granada, in Valencia und mit einem Erasmus-Stipendium an der Bauhaus-Universität Weimar studierte, entwickelte eine ironische Play-mobil-Phase, mit der das KunstForum Gotha, das nunmehr ein Forum für einheimische Kunst wird, seine »Retrospektive 2008-2015« beginnt. In seiner neuen Heimat und der seiner Kinder ist er landschaftlich und kulturell mit dem Märchen »Hänsel und Gretel« angekommen, zu dem es kein spanisches Pendant gibt. Die Gefährdung von Kindern hat ihn stark erfasst. Es war ihm schmerzhaft, seine Tochter Elsa und seinen Sohn Parsifal in der Rolle von verlassenen Kindern zu sehen und zu malen. Der finstere Wald umgreift in mehreren Gemäldefassungen Hänsel und Gretel, die angstvoll Hand in Hand den Wald durchdringen und den stürzenden Bach übersteigen. In der hochformatigen Zeichnung von 2012 unterstreicht die Unschärfe der Bildmotive Hast und Angst. Andere Fassungen zeigen die schlafenden Kinder, wunderbare Bilder des geschwisterlichen Ineinandergeschmiegtseins, des treuen, sich schützenden Beieinander. In der unmittelbaren Übertragung in eigene familiäre Lebenswelt vergegenwärtigt der Maler das Märchen und findet einen Weg, ergreifend das Schicksal heimatsuchender Kinder vor Augen zu führen. Bei der hyperrealistischen Malerei Jorge Villalbas begeistert die scharf getroffene, perfekte Wiedergabe der Gegenstände, die mehr ist als handwerkliche Perfektion. Seine Malerei führt vor, dass der Realismus-Begriff nicht auf den unmittelbaren Zugriff auf die Realität zurückgeschnitten werden kann. Das Figürliche und die Wirklichkeitsmomente in Villalbas Bildern sind immer zu Sinnformen erhoben. Aus dem christlichen Glauben die Passion Christi, die Heiligen Antonius und Georg und der selbstherrliche Held David und aus der antiken Mythologie der parodistisch fettleibige Daedalus und der vom Rabenvater verratene Ganymed oder, wie zuvor ausgeführt, das Märchen, mit realen Situationen der Gegenwart verbunden. Mit Erbarmen und Liebe spricht eines der bedeutendsten christlichen Themen, die »Pieta«, zu uns. Die Muttergottes umhüllt mit ihrem dunkelgrünen Gewand der Morisken auch die helle nackte Gestalt des Christus, den sie mit beiden Händen hält, dessen dornengekröntes Haupt sie trauernd betrachtet. Die Nägel schlugen ihm Wunden durch seine Füße, durch die Knie, rissen Löcher oberhalb der Handgelenke durch seine Arme, gequält von der Marter, von der verspottenden Dornenkrönung spricht das blutende Haupt. Das an den Wunden vorgezeigte Leid berührt stark und lässt Mitleid mit dem getöteten Menschen aufflammen. Der starre Leib erinnert an die Christusskulpturen der barocken andalusischen Bildhauerschule. Vor dem Leichnam, auf dem Purpurgewand Christi, streiten sich zwei Krähen, welche die römischen Soldaten verkörpern, von denen jeder das Gewand unzerteilt haben wollte. Villalba suchte in der kriegerischen Weltsituation Bildlösungen zum Umgang mit Feinden, zu deren Gefangensein und Ermordung. Das führte ihn zum Topos der Enthaupteten (Los decapitados), der in seiner Entsetzlichkeit mit Terrorismus und Extremismus verbunden ist. Die Ansicht des drastischen Schicksals von Holofernes aus dem Jahre 2013 zeigt, wie ein Tyrann kopflos werden kann. Denn die schöne Judith hatte sich dem ungeliebten Feind ihres Volkes hingegeben, um mit patriotischer Leidenschaft den Mord an ihm ausführen zu können. Bei Villalba packt Judith das Haupt und ist dabei, es abzutrennen. Nur ihre mordenden Hände sind zu sehen. Villalba geht es um den Fakt, der moralische Probleme aufwirft. Die Reduktion auf die mörderische Aktion zeigt, der Gewalt verschrieben zu sein. Der Feind ist ausgemacht, und man muss ihn aus dem Weg räumen, ehe er sie und ihr Volk erledigen kann. Was die andere Seite umgekehrt ebenso sieht. Den verzweifelten »Heiligen Antonius« strecken seine Bedürfnisse und der Wille, sie zu unterdrücken, nieder. Den nackten Mann bedrängen Knäblein mit ihrer Nacktheit und mit Musikgeräuschen aus Tuten, Leiern und Dudelsäcken – Musikinstrumente, die der Musiker Villalba genau benennen kann. Es sind wohl nicht nur solche Dämonen, die Antonius bei der Meditation stören, sondern auch jene, die auf die in der katholischen Kirche auftretenden Missbrauchsfälle hinweisen. Mit ihrer Orientierung an menschheitlichen, humanistischen Grundmodellen findet die Kunst eine Sprache, bildet eine Mitte, in der sich nach Hans-Georg Gadamer Ich und Welt zusammenschließen. »Retrospektive 2008-2015« bis zum 17. April im KunstForum Gotha, dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr; Katalog 25 €.
Erschienen in Ossietzky 5/2016 |
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