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Das Gedicht »Herzkranzgefäß« hat Frank Hörnigk in sein Arbeitsbuch »Kalkfell« aufgenommen, Müllers Drastik akzeptierend: »Sei froh wenn der Infarkt dich kalt erwischt/ Statt daß ein Krüppel mehr die Landschaft quert/ Gewitter im Gehirn Blei in den Adern/ Was du nicht wissen wolltest ZEIT IST FRIST.« Als es ihn jetzt am 30. Januar kalt erwischte, war unser Freund Frank voller Lebenslust und voller Pläne. Mitten in einem intensiven Leben war die Frist mit 71 Jahren plötzlich abgelaufen. Geschont hat er sich nie. Seine oft riskanten Vorhaben verfolgte er mit Eigensinn und ansteckender Begeisterungsfähigkeit. Immer gab es Scherereien. So Anfang der 70er, als er Bettina Wegner für ihre als Geheimtipp geltende Veranstaltungsreihe »Eintopp« half, eine literarische Halb-öffentlichkeit zu schaffen. Die Reihe wurde bald verboten. 1975 wurde es möglich, eine neue Literaturzeitschrift für junge Leute zu gründen: Temperamente. Frank Hörnigk war für Kritik und Drama zuständig. Die Hefte mit der Realität verpflichteten Autoren wie Klaus Schlesinger, Paul Gratzik, Erich Köhler oder Volker Koepp machten Ärger, erschienen verspätet, eins gar nicht. Die Redaktion blieb störrisch. 1977 wurde erstmals die 1958 geschriebene, politisch noch relativ korrekte Erzählung »Der Vater« von Heiner Müller veröffentlicht. Im Sommer des darauf folgenden Jahres wurden schließlich alle Redaktions-mitglieder per Telegramm fristlos entlassen. Die Freunde fühlten sich ob dieses selbst für die DDR ungewöhnlichen Vorganges nicht gerade wie Sieger, wie Verlierer allerdings schon gar nicht. Man scheitert ja nicht vergeblich, man hat Selbstbehauptung geprobt, ist sich und anderen kenntlich geworden, hat damit im Kreis der befreundeten Akteure über Zugänge und Abgänge entschieden, sich von Irrtümern und Illusionen verabschiedet und so Überzeugungen gefestigt. Die Germanistik gilt damals unter den Gesellschaftswissenschaften der Humboldt-Universität als die kritischste Sektion. Auch wegen ihrer Kontakte zu dissidentischen Autoren. Sie wählen sich zum Schutz Frank Hörnigk zum Parteisekretär. Aber der schreibt eine Habilschrift über junge Dramatik in der DDR, mit Bezügen zu Heiner Müller. Dieser gilt als dekadent und überhaupt als Provokation, mit Sätzen aus der »Hamletmaschine« wie: »SOMETHING IS ROTTEN IN THIS AGE OF HOPE.« Offenbar will der Bezirkssekretär gegenüber der Zentrale seine bessere Wachsamkeit demonstrieren – Genosse Hörnigk wird als »Kopf einer konterrevolutionären Plattform an der Humboldt-Universität« ausgemacht. Nicht nur aus heutiger Sicht ein absurder Vorwurf, der eine große Kränkung ist. Der Parteisekretär bekommt 1979 ein Parteiverfahren, das eigentlich mit Ausschluss enden soll, dann aber doch in eine »strenge Rüge« umgewandelt wird. Aber die Geschichte der DDR als Geschichte der Kämpfe innerhalb der hierarchischen Apparate ist noch nicht geschrieben. Hinter den Kulissen setzen sich viele für den Delinquenten ein, besonders der Ökonom Dieter Klein, damals Prorektor für Gesellschaftswissenschaften. Nach drei Jahren darf Frank Hörnigk seine Habilschrift doch verteidigen. Er wird Dozent und 1987 wird gar eine Gastprofessur in Paris genehmigt. In der Wendezeit hat er gegen unbegründete Abwicklungen von Kollegen gekämpft und dabei durchaus missgönnte Erfolge gehabt. Bei den Studenten war er enorm beliebt. Doch Heiner Müller blieb nicht der einzige Fallstrick. 1990, im »kurzen Sommer der Anarchie«, unterbreitete der zum Dekan gewählte Professor Hörnigk dem Fachbereichsrat den Vorschlag, Günter Grass zum Ehrendoktor der Humboldt-Universität zu ernennen. Da die Lehrmeinung zu Grass erst seit Mitte der 80er Jahre an der Sektion wohlwollend war, sollte dies auch eine Art Wiedergutmachung sein. Doch zu seiner Bestürzung waren selbst die ehemals parteilosen Ostprofessoren mehrheitlich dagegen. Sie beriefen sich auf die angeblich nicht legalistische Situation, um nicht sagen zu müssen, dass Grass ihnen zu links sei. Hartnäckig wiederholte der nach der Evaluierung noch in Probezeit befindliche Frank Hörnigk vier Jahre später seinen Vorschlag. Diesmal wurde er von den inzwischen meinungsführenden Westkollegen abgewiesen, unter ihnen nicht wenige Altachtundsechziger. Diese führten nunmehr ausschließlich ästhetische Einwände ins weite Feld, um nicht sagen zu müssen, dass Grass ihnen zu links sei. Dass an der Humboldt-Universität der erste Ehrendoktortitel nach der Wende schließlich an den bereits fünffachen Ehrendoktor Wilhelm Krelle ging, den einstigen SS-Kämpfer, der sich durch Aufräumarbeiten an der bislang marxistisch dominierten wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät bei der Obrigkeit beliebt gemacht hatte, war für Frank Hörnigk nur mit professioneller Deformation von Akademikern zu erklären. Die Zeit nach der erfolgreichen Neubewerbung auf die eigene Stelle hat er dennoch als großen Freiraum genossen. Selbstbestimmt konnte er endlich die Projekte angehen, auf die er später zu Recht stolz war: So die bei Suhrkamp herausgegebene, 12-bändige Heiner-Müller-Werkausgabe. Angesichts der Verstreutheit dieses Nachlasses eine literaturwissenschaftliche Mammut-Leistung. Frank Hörnigk hat die Tagebücher des Theaterwissenschaftlers und -kritikers Ernst Schumacher ediert und dem Schauspieler Erwin Geschonneck zu dessen 100. Geburtstag eine Biografie geschrieben. In diesem Frühjahr erscheint seine Biografie über den legendären Dokumentarfilmer Gerhard Scheumann, auf die er sich gefreut hat. Eine differenzierte Sicht, gerade auf ostdeutsche Biografien, war ihm wichtig. Seinen letzten Auftritt als Literaturwissenschaftler hatte er im Oktober auf einer Tagung in Wiepersdorf. Einen Aufsatz Adolf Endlers aus den 70er Jahren aufgreifend, sprach er über das Versagen der Gesellschaftswissenschaften der DDR, in denen das angeblich marxistische Denken seinen Charakter als kritische Theorie verloren hatte. Selbst am Silvesterabend bekräftigte er noch, dass er wohl bis ans Lebensende vollauf damit zu tun haben werde, über Gründe für das Scheitern nachzudenken und darüber, weshalb so wenig Anknüpfungspunkte für Künftiges geblieben sind. Frank Hörnigk ist gestorben. Wir müssen damit leben. Und arbeiten. Was wir machen können ist das Gespräch mit ihm weiterführen.
Erschienen in Ossietzky 5/2016 |
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