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Da ich in meiner Referendarzeit und in den ersten Richterjahren ähnliche Erfahrungen mit einer rückwärtsgewandten und kritikresistenten Justiz gemacht hatte, wusste ich, wie schwer der bloße Versuch war, in einer Zivil- und dann in einer Strafkammer über ein soziales bürgerliches Recht und ein einigermaßen humanes Strafmaß zu diskutieren. 1965 hatte ich mit der Empfehlung, ein vom NS-Sondergericht als »Volksschädling« zum Tode verurteiltes junges Mädchen zu rehabilitieren, einen Eklat ausgelöst. Empört reagierten nicht nur die noch immer im Amt befindlichen Richter des Sondergerichts Braunschweig, sondern auch viele Kollegen meines Alters. Ähnlich ging es zu, als ich 1967 im Schwurgericht die Verurteilung eines ehemaligen KZ-Kommandanten vorschlug. Ich wurde mit 8 zu 1 überstimmt. Damit war das Stärkeverhältnis geklärt. Umso wichtiger war es, Theo Rasehorn mit seinem reflektierten Denken an meiner Seite zu wissen. Er hat geholfen, Wege durch das Dickicht von Justizstrukturen und -mentalitäten zu finden, und mir den Blick dafür geöffnet, wie oft die Justiz nach dem Prinzip des zweierlei Maß urteilt und wie wenig das Bild des aufrechten »unabhängigen« Richters mit der Wirklichkeit zu tun hat. Auch für viele, die ihn nie persönlich kennenlernen konnten, wurde er zu einer Institution. Der Paukenschlag des »Paragraphenturms« war das Signal für eine überfällige Justizreform – ein Appell an die Juristen zum Nachdenken über das eigene Tun, ihre Funktion im sozialen Rechtsstaat und ihr unreflektiertes Funktionieren in einer veränderungsbedürftigen Gesellschaft. Übrigens: Der Nachname des Pseudonyms Xaver Berra war ein Akronym, gebildet aus Buchstaben von Rasehorn und Bergenkopf, dem Namen seiner Ehefrau. Nachdem ich Theo 1970 kennengelernt hatte, wurde er mir auch persönlich ein guter Ratgeber – so im Jahre 1979, als der Braunschweiger Oberlandesgerichtspräsident Rudolf Wassermann (bis dahin publizistisch umtriebiger Gründer des »Aktionskomitees Justizreform«) auf Geheiß des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht gegen mich ein Disziplinarverfahren führte. Ich hatte nämlich Kopien der menschenverachtenden Doktorarbeit von Hans Puvogel aus dem Jahre 1938 verteilt. Diesen Puvogel hatte sich Albrecht als Justizminister geholt. Das »Aktionskomitee Justizreform« hatte, wie mir Rasehorn einmal berichtete, kaum mehr als 20 Mitglieder. Es schlummerte schon nach drei oder vier Jahren ein, nachdem die meisten Mitglieder ohne große Hürden auf Präsidentensessel aufgerückt waren. Als aber Theo Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Frankfurt a.M. wurde, sah er sich wütenden Angriffen reaktionärer Richter und sogar des Deutschen Richterbundes ausgesetzt. Sie konnten ihm noch immer nicht verzeihen, dass er ihnen und ihren Methoden den Spiegel vorgehalten hatte, was er auch später immer wieder tat. In rechtspolitischen Konflikten haben Einzelgänger kaum Chancen. Theo wusste das. Darum stellte er sich solidarisch hinter Richterinnen und Richter, die sich nicht an den Komment hielten. Er verteidigte nicht nur die 20 Teilnehmer der Sitzdemonstration im Januar 1987 gegen die Stationierung von Atomraketen in Mutlangen, sondern auch alle Kolleginnen und Kollegen, die, weil sie die »Blockade-Richter« unterstützt hatten, Disziplinarverfahren erdulden mussten. Ähnlich solidarisierte er sich mit Kritikerinnen und Kritikern der Berufsverbote. Letztes Beispiel: Ich forderte 1984 die Strafverfolgung des zeitweiligen bundesdeutschen Botschafters Ernst Jung, der mich wegen eines Aufsatzes über die Beteiligung der NS-Juristenprominenz am Massenmord an den psychisch Kranken verleumderisch attackiert hatte. Im Kern ging es um meinen Versuch, die von dem Nachfolger Fritz Bauers heimlich eingestellten Verfahren gegen diese hohen Juristen wiederaufzurollen. Der von mir angestoßene Prozess dauerte sechs Jahre, in denen ich arg allein gestanden hätte, wenn Theo mir nicht mit mehreren Veröffentlichungen beigestanden hätte. Näheres, auch zur nochmaligen Veruntreuung des Erbes von Fritz Bauer, diesmal durch die nordrhein-westfälische Justiz, findet sich in dem im April bei Nomos erscheinenden zweiten Band des Buches »Streitbare Juristen«. Der am 16. Januar im 97. Lebensjahr verstorbene Theo Rasehorn hat maßgeblich auf eine ganze Juristengeneration eingewirkt. Ohne ihn wäre es kaum zur raschen Gründung von nun wirklich aktiven Vereinigungen wie der Richter-Fachgruppe in der Gewerkschaft ÖTV und der Neuen Richtervereinigung gekommen. Ich hoffe, es wird gelingen, seine wichtigsten Aufsätze und Auszüge aus seinen Büchern in einem Band zu versammeln und den Reichtum seiner Anregungen in einem Symposion zu diskutieren.
Erschienen in Ossietzky 5/2016 |
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