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Während per gesetzlichem Zwang die dürftigen Besitztümer jedes »Hartz IV«-Empfängers bis auf die Cent-Ebene herunter für die Staatsmaschine sichtbar sind, breitet derselbe Gesetzgeber über die angehäuften Reichtümer der oberen zehn Prozent mit Verweis auf das Recht auf Privatsphäre einen Schleier. Grob lässt sich dennoch sagen, woraus deren Vermögensstock besteht: neben Immobilien sind das zum einen beträchtliche Ansprüche aus Lebensversicherungen und festverzinslichen Papieren – hier vor allem solchen aus Zeiten, als die Zinssätze noch höher waren als heute. Ihren Anlageberatern folgend stecken die Reichen dieser Welt einen kleinen einstelligen Prozentsatz auch in Gold, Silber, Schmuck und Antiquitäten in der Hoffnung, dass der darin geronnene Wert auch dann Bestand hat, wenn in der Sphäre des Geldes wie in den 1920er Jahren alles drunter und drüber geht. Die Einkünfte aus Lebensversicherungen und festverzinslichen Wertpapieren und auch die Kurse für Geld und Silber entwickelten sich weniger ertragreich als bei ihrem Kauf erhofft. Die Schere hat sich aus diesen Quellen zugunsten der Reichen nicht geöffnet. Der gewachsene Reichtum resultiert daher vor allem aus den gestiegenen Immobilienpreisen, den Aktienkursen, die den DAX letztes Jahr über 10.000 Punkte getrieben haben, und den im Gefolge dieser Zuwächse gestiegenen Betriebsvermögens-Werten. Nun beklagt beispielsweise Die Welt am 26. Januar unter der Überschrift »Verteufelter Reichtum«, dieser Reichtum werde oft »überzeichnet, wenn Aktienkurse oder Immobilienpreise anziehen, wie dies in den vergangen Jahren geschehen ist«. Ein derartiger Wohlstandsgewinn löse sich aber »mitunter binnen kürzester Zeit wieder in Luft auf«, was wir im Jahre 2008 in der Finanzkrise erlebt hätten. Der Kursrutsch, den die Börsen weltweit Anfang des Jahres erlebt haben, »weitet sich«, fürchtete das Handelsblatt am selben Tag »zur Baisse«, also einer längeren Krise aus. Eine Woche vorher referierte dasselbe Blatt Befürchtungen über einen dauerhaften Börsensturz und damit einhergehende Verluste von bis zu »drei Vierteln« der noch 2015 in den Büchern stehenden Werte. Am Ende eines solchen Ausverkaufs »wären die Aktionäre um mindestens 22 Billionen Dollar ärmer«. Besteht also die Hoffnung, dass der sich anbahnende Börsenkrach die Schere zwischen Armen und Reichen mindestens ein Stück weit schließt und wir so zu mehr sozialer Gleichheit kommen? Das wird vermutlich nicht der Fall sein. Es stimmt zwar, dass in der Krise jedes Mal massenhaft in Geld ausgedrückte Reichtümer vernichtet werden und sich in einer Reihe von vermögenden Familien große Dramen abspielen, wie jeder Leser der »Buddenbrooks« weiß. Der Mechanismus kapitalistischer Krisen ist aber so, dass Schadenfreude uns hier unten schnell im Halse steckenbleiben würde. Das Zusammenschnurren von Betriebsvermögen und Aktienwerten führt in den kapitalistischen Unternehmen dazu, dass mit vorgeschobenem Unterkiefer massiv versucht wird, die schrumpfenden Einnahmen durch möglichst genauso schnell schrumpfende Löhne, Gehälter und betriebliche Sozialleistungen zu kompensieren. Zwar kann sich vorübergehend durch einen schnellen Börsencrash die Schere zwischen Reich und Arm schließen – im weiteren Krisenverlauf aber ging es bisher immer zügig an die schmalen Geldbörsen der Nicht-Vermögenden, und das wird künftig nicht anders sein. In dem Umfang, in dem Aktienwerte sinken, wird darüber hinaus das noch vorhandene Geld in vermeintlich sichere Anlagen flüchten und so die Preise für bebaute und unbebaute Grundstücke wie Äcker und Wälder in die Höhe treiben. Im Ergebnis werden Mietpreissteigerungen die sich kurzzeitig schließende Schere von unten wieder öffnen, weil sie das Ein-Prozent-Vermögen der unteren Hälfte anfressen und beispielsweise für kleinere konventionell oder ökologisch wirtschaftende Bauern den Erwerb von Land unmöglich machen und weitere von ihnen zwingen, Platz zu machen für landwirtschaftliche Großbetriebe. Es wird Umschichtungen innerhalb der Schicht der Vermögenden geben; schon jetzt reiten auf der Welle der Flüchtlingskrise diejenigen, die marode Hotels mit öffentlichen Mitteln in Stapelregale für die aus Afrika Gestrandeten und so zu Goldgruben für sich verwandeln. Aber eine Angleichung der Schere zwischen Arm und Reich wird es in der sich immer mehr entfaltenden großen Krise nicht geben – nur einen Strudel einer, wie oft gesagt wird, aus den Fugen geratenden Welt mit einem immer stärkeren Sog nach unten, den vor allem diejenigen spüren werden, die schon länger unten ihr Leben fristen und retten müssen. An der Grundtendenz der modernen Gesellschaft, menschliche Arbeitskraft immer weniger kapitalistisch profitabel verwerten zu können, ändern diese Umschichtungen und ändert auch der Niedergang an den Börsen nichts. Einen Ausweg aus dem Strudel, der immer mehr Menschen dieses Planeten erfasst, wird es nur dann geben, wenn sie gemeinsam die Kraft finden, dem ganzen Geld-, Waren- und Konkurrenzspuk, der Kapitalismus heißt, ein Ende zu bereiten.
Erschienen in Ossietzky 4/2016 |
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