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Der Krieg wird allumfassend. Es genügt nicht, die gutbürgerliche »Unschuldsvermutung« abzusägen, Personenwagen in Panzerfahrzeuge zu verwandeln, den weiblichen Soldaten und sogar, nach der Kanzlerin, die erste deutsche Kriegsministerin aufs Schild zu heben – nein, die vielberedete »Kommunikation« muss ebenfalls stimmen. Kurz vor seinem Tod (1988), somit vor knapp 30 Jahren, war ich aufdringlich genug, um dem in Bayern lebenden Schriftsteller Martin Gregor-Dellin, damals auch Vorsitzender des deutschen PEN-Zentrums, Bemerkungen zu seinem Aufsatzband »Was ist Größe?« (1985) sowie gleich auch ein Manuskript mit vermutlich recht verkrampfter Kurzprosa mit der Bitte um einen Kommentar zu schicken. Nach einer Woche kam eine Antwort, geschrieben mit der Hand. Er finde meine Sendung zwischen zwei Reisen in hohem Poststapel vor, wolle mich aber, da er »notorisch höflich« sei, nicht bis zum Ende der nächsten Reise warten lassen. Es folgten einige ermunternde Zeilen. Heutzutage ist ein vergleichbares Verhalten schon fast undenkbar. Der postmoderne erfolgreiche Schriftsteller wird kaum überwindlich von Agenten, Sekretären oder sogenannten Lektoren, daneben vom scheinheiligen »Datenschutz« abgeschirmt, damit er sich gefälligst in Ruhe auf sein nächstes Erfolgsbuch konzentrieren kann. An ihn kommt man gar nicht erst heran. Sollte sich wider Erwarten doch eine E-Mail von irgendeinem Namenlosen zu ihm verirren, drückt er sie nach drei Sekunden weg. Zeit ist Geld. Alles, was ihm keinen Nutzen verspricht, ignoriert er. Um 2005 schickte ich einem eher unbekannten und entsprechend selten gewürdigten heimischen Bienenmuseum, das ich besucht hatte, einen von mir über es verfassten Zeitschriftenartikel und legte auch gleich ein ganzes Buch bei, das ich antiquarisch erworben hatte, aber nicht unbedingt aufbewahren wollte. In der kleinen Bibliothek des Museums hatte ich es nicht entdeckt. Es handelte sich um ein 1931 verfasstes Werk des Salzburger Imkers und Schriftstellers Georg Rendl. Er brachte es damals fertig, in diesem Kuriosum namens »Der Bienenroman« auf 200 Druckseiten nicht einen Imker und auch sonst keinen Menschen vorzuführen. Der Roman spielt ausschließlich im Volks- und Staatsganzen der Bienen. Meine Museumsleute nahmen sich die Abstinenz von allem Humanen so sehr zu Herzen, dass sie vergaßen, mir vielleicht auch nur den Eingang meines Päckchens zu bestätigen. Neben Museen haben heute HochschullehrerInnen, Stadtarchivare, Redaktionen und ähnlich »öffentlich« angestrichene Machtzentren das Pech, grundsätzlich immer noch ansprechbar sein zu müssen. Wie also haben sie mit den Anfragen zu verfahren, die ich ihnen im Rahmen meiner Nachforschungen zu schicken wage? Richtig, in mindestens 66 Prozent der Fälle drücken sie sie weg. Sie ignorieren sie. Anfänglich maulte ich insgeheim, sie hätten sich ja wenigstens zwei Minuten Zeit nehmen können, um mir in zwei Sätzen und mit ein paar Mausklicks postwendend mitzuteilen, leider hätten sie kein Material / keine Zeit / kein Personal / nicht die geeignete Gesundheit oder auch einfach keine Lust – aber was auch immer, es wäre schon zu viel verlangt. Der postmoderne Kommunikationskrieger rechtfertigt sich nicht. Er lässt sich die Kampfbedingungen nicht von irgendeinem Blogger diktieren. Er gibt keine Erklärungen ab, sondern baut gerade umgekehrt auf Ungewissheit, Nebel, Tarnung jeglicher Art. Er möchte nicht verstanden werden; er möchte herrschen. Klemmt sich der abgewiesene Nachforscher notgedrungen erneut vor seine Suchmaschine, um Hunderte von Websites zum Beispiel nach dem Geheimnis des angeblich tödlichen Katzenbisses abzuklappern, den sich Feuerwehrmann U. im Dienst am Gemeinwohl zugezogen haben soll, braucht er wahrlich ebenfalls ein dickes Fell. Die Aggressivität der Webangebote hat in den letzten Jahren zugenommen. Kaum habe ich das Laufband, das mir neuste Nachrichten, Appelle und Produkte verkündet, mit einer Hand abgedeckt und die ersten zwei Zeilen des eigentlichen Artikels gelesen, schiebt sich nach Art von Fallbeilen ein Schild über den Text, das mit immer neuen Drohungen aufwartet: Ich müsste auch den sehr interessanten Beitrag X lesen; ich hätte noch nicht bezahlt; ich müsste mich da und dort einloggen, um diese und jene brandneue Wichtigkeit zu erfahren; der Valentinstag stehe vor der Tür und dergleichen mehr. Unterdessen fängt irgendwo auf der Webseite ein Video an zu laufen, das ich weder sehen noch hören wollte. Versuche ich, es abzustellen, belehrt mich ein Blinkzeichen darüber, wo ich Support finden kann. Gehe ich dort hin, ist die gebotene »Erklärung« länger, verwickelter und undurchschaubarer als ein Arzneimittelbeipackzettel. Wo sich die zaghaften Demokratisierungsversuche der Ära Brandt-Schmidt via »rot-grünem« Schröder-Fischer-Hebel in entschlossener Militarisierung der Gesellschaft vollenden, darf die Uniformierung nicht fehlen. Nach den Pariser Anschlägen vom vergangenen November sollen hier und dort bereits LehrerInnen ihre Schulklassen aufgefordert haben, anderntags in Schwarz zu erscheinen, um so die Trauer mit den Opfern »des Terrorismus« zu bekunden. Das ist schon fast blockwartreif. Umgekehrt werden die Blockwarte in Zukunft nicht lange fackeln, sollten es ein paar SchülerInnen wagen, beim nächsten Vorfall à la Odessa (Mai 2014), wo ähnlich viele Tote, mindestens 100, aufgrund faschistischen Wütens in einem brennenden Gewerkschaftshaus anfielen, ebenfalls in Tränen auszubrechen. Oder falls sie gar ihre Erschütterung über die nicht mehr zählbaren Opfer des Imperialismus im nächsten Erdkundeunterricht zeigen, wenn Zentralasien oder Nordafrika dran sind, indem sie sich jäh in schwarzrote Fahnen einwickeln. Die Blockwarte wissen für diese Fälle genau, mit welcher Smartphone-Taste das Büro des sogenannten Schulpsychologen zu erreichen ist. Als Ex-Mitglied anarchistischer Kommunen bringe ich es nicht übers Herz, diese schüchterne Wortmeldung ohne Selbstkritik zu beenden. In manchen Fällen ziehe ich mir, als Nachforscher und Autor, die angedeutete Ignoranz wahrscheinlich schuldhaft zu, bin ich es doch seit Jahrzehnten (1968) gewohnt, AkademikerInnen nie mit ihrem Titel – eigentlich: akademischen Grad – anzureden. Da laufen sie natürlich rot an und halten schön ihr Maul. Ein alpenländischer Geschichtsprofessor hielt mir mein Versäumnis neulich sogar in nur schlecht durch Ironie verbrämter Erbosung in seiner Antwort vor, die immerhin eintraf. »Lieber Herr R., offenbar gehören Sie zu den dünngesäten unbekümmerten Menschen, die nichts dabei finden, in der Anrede des betreffenden Hochschullehrers dessen Titel zu unterschlagen ...« Aber der Titel ist kein neues Kampfmittel, schon Ignaz Wrobel nahm ihn ins Visier (Die Weltbühne, 27.5.1920, Nr. 22, S. 637): »Der Titel erstickt jeden Widerspruch und erspart dem Titelträger jede Tüchtigkeit. Er steckt sich hinter den Titel, und das Übrige besorgt dann schon die Dummheit derer, die den Titel anstaunen und ihn um des Titels willen, den sie nicht haben, aber gern hätten, beneiden. Es ist nicht besser – es ist schlimmer geworden. […] Der Titel soll den Träger immer wieder an seine eigne Herrlichkeit gemahnen. Es wäre nichts gegen ihn einzuwenden, wenn er nur den Angeredeten auszeichnete; er drückt aber bewusst alle die, die ihn nicht haben. Er ist im tiefsten Sinn undemokratisch.«
Erschienen in Ossietzky 4/2016 |
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