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Jeder Performanzbesucher erhielt neben einer Nummer, die er stets offen zu tragen hatte, einen detaillierten individuellen Ablaufplan, der gewährleistete, dass jeder im Laufe des Abends zehn der zwölf Abteilungen der »Hamburger Filiale« der fiktiven Firma »Söhne & Söhne« durchlief. Der Charakter der Firma lässt sich an einer Auswahl ihrer »Unternehmensgrundsätze« ablesen: 1. »›Söhne & Söhne‹ ist eine weltumfassende Firma, deren Ziel darauf gerichtet ist, […] für die vollkommene Veredelung der ökonomischen Verhältnisse und des ökonomischen Menschen zu arbeiten.« – 9. »Die Angestellten der Firma sind in 26 Ordnungsstufen (nach den Buchstaben des lateinischen Alphabets) eingeteilt.« – 10. »Die Anstellung gilt unwiderruflich und auf Lebenszeit.« – 12. »Ein Sohn [damit sind sowohl die männlichen als auch die weiblichen Angestellten gemeint; L. Z.] arbeitet immer.« Die Grundsätze wurden durch die zwölf Abteilungen operationalisiert, der letztgenannte Grundsatz mit Hilfe der »internen Krankenstation« gewährleistet: »So kann jeder Mitarbeiter auch im Falle von Krankheit seine Arbeit ungehindert fortsetzen.« In der Performance wurden dort »Annäherungsübungen« sowie eine »Sterbesimulation« durchgeführt. Eine Abteilung für Resistenz-Schulung half, »Durchhaltevermögen und Führungskompetenzen« zu entwickeln. Dort wurden die Besucher mit einem Horrorszenario konfrontiert: Zwei Schwerbewaffnete misshandeln eine dritte, am Boden liegende Person. Die Gäste konnten sich entscheiden, einzugreifen oder das Ganze als Theaterdarbietung aufzufassen. Firmencharakteristisch auch das »Büro für interne Gesetze«. In dem Papier »Die Hamburger Filiale« heißt es darüber: »Hat ein Mitarbeiter ein Gesetz der Firma gebrochen, wird er vor das interne Gericht gestellt.« Dort wurde statt mit Strafen mit »Rehabilitationsmaßnahmen« gearbeitet. Voraussetzung für Rehabilitierung war, dass »der Angestellte seine Schuld sowie die Konsequenzen, die ihm auferlegt werden, akzeptiert.« Die Firma – das dürfte deutlich geworden sein – kann als neoliberal-totalitär charakterisiert werden. Das Publikumsgespräch war geprägt vom Gebrauch der Wörter »großartig«, »einzigartig«, »sehr berührend«. Allerdings wurde auch von Extremerfahrungen erzählt. Eine Teilnehmerin berichtete, dass sie nach der Aufführung zwei Nächte schlecht geschlafen habe, eine andere, dass sie zwei Wochen lang die Kontrolle über ihr Leben und ihre Emotionen verloren habe. Die Frage nach der Verantwortung der Künstler wurde aufgeworfen. Signa Koestler fragte zurück: »Darf man dann so etwas nicht machen?« Die Antwort einer Teilnehmerin: »Dass es einem schlecht geht, heißt nicht, dass es schlecht für einen ist.« Ein weiteres Argument aus dem Publikum: Jeder trage für sich selbst die Verantwortung. Und nicht nur die Dramaturgin des Deutschen Schauspielhauses vertrat die Auffassung, dass Entscheidungen möglich gewesen seien: zu bleiben oder zu gehen, sich auf die Fiktion einzulassen oder unbeteiligt zu bleiben. Das Gefühl, sich frei bewegen zu können und nicht manipuliert zu werden, wurde mehrfach artikuliert. Ein früherer DDR-Bürger fühlte sich in die DDR zurückkatapultiert, und er wertete es als Erfolgserlebnis, sich – zumindest in dieser Performance – gegen Zumutungen gewehrt zu haben. Aber es gab auch gegenteilige Erfahrungen. Gleich zu Beginn formulierte eine Person als ihren Gesamteindruck, sie sei »auf die Probe gestellt« worden, ob sie »einem faschistischen System widerstehen würde«, und zog für sich das traurige Fazit, sie habe die Probe nicht bestanden, weil sie sich auf die Simulation eingelassen habe. Ein Teilnehmer sprach von einer restriktiven Atmosphäre, ein anderer bilanzierte: »In der Realität wehre ich mich, in der Simulation konnte ich es nicht.« Interessant waren schließlich die Erfahrungen der Performer. Zum Beispiel hatten sie als Vorgabe, auf aggressives Verhalten von Gästen mit Deeskalation zu reagieren. Ein Performer musste vier Tage wegen einer Verletzung am Hals im Krankenhaus verbringen, weil ein Gast ihn in einer Spielszene vom Selbstmord abhalten wollte. Aber auch die intensiven Augenkontakte hatten einige Gäste verunsichert. Eine Performerin äußerte, es hätte ihr Freude gemacht, Intimität herzustellen. Das Publikum zeigte sich insgesamt begeistert über die ungewöhnliche Theateraufführung, was sich am Ende des Gesprächs in frenetischem Schlussapplaus ausdrückte. Die Bewertung der Performance als politische Veranstaltung wäre ein weiteres Thema. Ich habe die Aufführung andernorts als »modernes politisches Theater« bezeichnet.
Erschienen in Ossietzky 4/2016 |
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