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Dennoch ist es die Ideologie des Familismus, die unweigerlich zur Diskriminierung von Individuen und Gruppen führt, die diesem Bild nicht entsprechen. In unseren Breitengraden herrscht das Leitkonzept der bürgerlichen heterosexuellen, monogamen Vater-Mutter-Kind(er)-Familie vor, das noch immer meist unhinterfragt vielen sozial-, familien-, arbeitsmarkt- oder wohnungsbaupolitischen Entscheidungen zugrunde liegt. Alle Versuche der Frauenbewegungen, im Laufe der verschiedenen politischen Epochen die familistische Ideologie zu erschüttern, scheiterten. Die Wirkungsmächtigkeit der Ideologie besteht bis heute. Sie wird unterstützt durch den politischen Einfluss konservativer Kreise und christlicher Zirkel, die sich schon seit Jahrzehnten darum bemühen, den Familismus gegen alle Auflösungserscheinungen zu verteidigen. Familie als »Keimzelle« der Gesellschaft Die scheinbar naturgegebene Ordnung der bürgerlichen Kleinfamilie ist mit einer strengen geschlechtshierarchischen Rollenverteilung verbunden. Das hat Auswirkungen auf die Lebenssituation von Frauen, denn ihnen wird hauptsächlich die Fürsorgearbeit zugewiesen, während der Mann als »Haupternährer« hinaus ins feindliche Leben geht. Die soziale Realität hat sich in Deutschland und in anderen familistischen Gesellschaften längst von diesem ideologischen Gemälde entfernt. Davon zeugen viele Formen des (Zusammen-)Lebens wie Alleinlebende, Patchwork-, Regenbogenfamilien, Kommunen, Wohngemeinschaften und Formen, für die die Familiensoziologie noch keinen Namen gefunden hat. Trotz dieser Unterwanderung unterstützt und fördert die staatliche Politik nach wie vor das ideologische Gemälde – die mit Vater, Mutter und Kind(ern) »normalbesetzte« Kleinfamilie. Nicht von ungefähr steht sie nach dem Grundgesetz für die BRD unter besonderem Schutz, denn in ihr sollen Kinder (christlich) erzogen, pflegebedürftige Menschen versorgt und Alte und Behinderte betreut werden. Das erspart soziale und pflegerische Infrastruktur. Das führt aber auch dazu, dass es immer noch Frauen sind, denen nicht existenzsichernde Teilzeitarbeit, Mini-Jobs und andere prekäre Arbeitsverhältnisse angeboten werden, weil man ihnen unterstellt, dass sie Beruf und Familie nur so miteinander vereinbaren können. 70 Prozent der prekären Arbeitsverhältnisse haben Frauen inne – und längst nicht alle sind verheiratet und Mütter oder wollen Mütter werden oder ihre Angehörigen zu Hause pflegen. Traditionelle Familie als Auslaufmodell? »Klassische Familie auf dem Rückzug« oder »Wandel im Familienleben« so oder ähnlich titeln die Medien seit Jahren, wenn das Statistische Bundesamt die aktuellen Zahlen aus dem Mikrozensus veröffentlicht. Die aktuellen Zahlen wirkten für sie alarmierend, weil man aus ihnen lesen kann, dass die traditionelle heterosexuelle Kernfamilie wenn nicht ein Auslaufmodell, so jedoch keinesfalls das vorherrschende Lebensmodell in Deutschland ist. Die Zahl der Menschen, die diese Lebensform wählen, nimmt nach den Angaben des Amtes ständig ab. Im Jahr 2014 lebten von 40,2 Millionen Haushalten mit rund 80,8 Millionen Haushaltsmitgliedern 28 Prozent in der klassischen Kleinfamilie, also im Zweigenerationenhaushalt, in dem Eltern und ihre Kinder zusammenleben. Dabei sind Stief-, Pflege-, Adoptivkinder und die Großeltern, die mit ihren Enkeln leben, mitgezählt. Rechnet man die Familien mit minderjährigen Kindern, so waren es nur 20,3 Prozent aller Haushalte. Drei- und Mehrgenerationen-Haushalte sind mit 0,5 Prozent eine statistisch kaum erfassbare Größe. Hingegen sind alleinerziehende Eltern eine ständig wachsende Familienform. Sie machten nach dem Mikrozensus von 2011 bereits 22,9 Prozent aller Haushaltsformen aus. 90,1 Prozent dieser Haushaltsform sind Mütter mit ihren Kindern. Der häufigste Haushaltstyp ist mit 37,2 Prozent der Singlehaushalt. Der Rest der Haushalte besteht aus gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften, Wohngemeinschaften, Heimen et cetera. Familienglück und Vielfalt Familien- und BevölkerungspolitikerInnen und FamiliensoziologInnen trösten sich damit, dass Menschen bei Umfragen stets angeben, dass man eine Familie zum Glück braucht. So waren es nach dem Familienreport 2012 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 80 Prozent der Befragten, die diese Angabe machten, wobei 97 Prozent – egal welchen Alters sie waren – unter »Familie« ein heterosexuelles Ehepaar mit Kinder phantasierten. Die heterosexuelle Kleinfamilie mit verheirateten Eltern ist nicht mehr die vorherrschende Lebensform, aber – glaubt man den soziologischen Befunden – für viele Menschen von zentraler Bedeutung. Offenbar führt die Angst, im Irrgarten der Multi-Options-Gesellschaft nicht den »richtigen« Weg zu finden, die Angst, nicht dazu zu gehören, dazu, dass sich Menschen nach unkündbaren Beziehungen sehnen, nach lang anhaltender Verlässlichkeit und Treue, die sich nicht nur für heterosexuelle Beziehungen meist als Illusion erweist. Wichtiger und sinnvoller als die dauernden Versuche der Rekonstruktion der Familie als abgeschottete »private« Organisation in ihrer alten Form oder der Ausweitung des familistischen Systems auf sich häufende »neue Lebensformen«, die sich den Normen der bürgerlichen Kleinfamilie anpassen, ist die Anerkennung der bereits vorhandenen vielfältigen Lebensformen. Das ist nur durch die Abschaffung der Privilegien, die mit einer Lebensform (Ehe und Familie – egal ob homo- oder heterosexuell) verbunden sind, möglich. Familienpolitik darf nicht dem Schutz bestimmter Lebensformen und damit der Diskriminierung anderer dienen. Gleichstellung ist erst dann erreicht, wenn keine Lebensform bevorzugt und damit keine benachteiligt wird und allen Menschen gleiche Existenzberechtigung für die von ihnen gewählte Lebensform zugestanden wird, solange dort niemand ausgebeutet, unterdrückt oder seinen eigenen Interessen widersprechend behandelt wird. Erst dann können auch Generationsgemeinschaften entstehen, in denen junge und alte Menschen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und Weltanschauung – ohne Ausgrenzung gleichberechtigt zusammenleben können. Es geht um die Möglichkeit von freien Zusammenschlüssen unter freien Menschen ohne Unterdrückung und Gewalt. Wäre das erreicht, bräuchte man den vielfach strapazierten Familienbegriff nicht zu erweitern und umzudeuten. Man könnte »die Familie« aufgeben und etwa durch »Lebensweisen« ersetzen. Überflüssig würde auch die Familienpolitik, denn es genügte eine Politik für Menschen. Das wäre das Ende des Familismus. Zum Weiterlesen: Gisela Notz: »Kritik des Familismus. Theorie und soziale Realität eines ideologischen Gemäldes«, Schmetterling Verlag, 222 Seiten, 10 €
Erschienen in Ossietzky 3/2016 |
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