Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Sarin in Syrien (2)Norman Paech Trotz entgegengesetzter Befunde (vgl. Teil 1 in Ossietzky 1/2016), blieb die US-Administration bei ihrer Entscheidung, allein Assad die Verantwortung zuzuschieben, am 21. August 2013 in Ghouta Sarin eingesetzt zu haben. Auf einer Pressekonferenz erklärte die US-Botschafterin bei der UNO, Samantha Power: »Es ist sehr wichtig, festzuhalten, dass nur das Assad-Regime Sarin besitzt, wir haben keine Beweise, dass die Opposition Sarin besitzt.« Dennoch realisierte Obama seine Entscheidung, in Syrien einzugreifen, letztlich nicht. Am 26. September einigte er sich mit Putin auf eine gemeinsame UNO-Resolution, in der Assad aufgefordert wurde, sein Chemiewaffenarsenal aufzulösen. Doch dies war offensichtlich nicht die ganze Geschichte. Warum schreckte Obama vor der Verwirklichung seiner »Rote Linie«-Drohung zurück? Diese Frage stellte sich Hersh am Ende seines Artikels und recherchierte weiter. Seine Ergebnisse veröffentlichte er unter dem Titel »Die Rote Linie und die Rattenlinie« (»The Red Line and the Rat Line«) ein halbes Jahr später, am 7. April 2014, wieder in der Zeitschrift London Review of Books. Was bis dahin noch als Einzelmeinung hätte abgetan werden können, erwuchs jetzt durch weitere Fakten und Details zu einem Dokument, dem man nur mit größter Ignoranz und Arroganz aus dem Wege gehen konnte. Wiederum vermochte Hersh auf seine ausgezeichneten Geheimdienstkontakte zurückzugreifen, diesmal offensichtlich bis nach Russland, und kam zu folgendem Ergebnis. Nicht die syrische Armee, sondern die al-Nusra-Front hatte das Sarin hergestellt. Im Mai 2013 waren im Süden der Türkei zwei Kilogramm Sarin im Besitz von al-Nusra-Rebellen sichergestellt worden. Das Sarin, das beim Angriff vom 21. August 2013 benutzt worden war, konnte laut chemischer Analyse nicht aus dem Arsenal der syrischen Armee stammen. Die Erkenntnisse fußten auf russischen Analysen. Die Russen mussten es wissen, denn sie hatten schließlich seinerzeit das Sarin für die syrischen Depots geliefert. Die Giftgasangriffe vom März und April 2013 hatten die Rebellen unternommen. Nach dem Angriff vom 21. August hatte Obama die Ziele zur Bombardierung Syriens bestimmt: Zwei Geschwader B52-Bomber mit 40-Zentner-Bomben und U-Boote mit Tomahawk-Raketen sollten alle syrischen Militärkapazitäten vollkommen zerstören – Stromversorgungsanlagen, Öl- und Gasdepots, alle bekannten Logistik- und Waffendepots, alle bekannten militärischen und nachrichtendienstlichen Gebäude. Der Angriffstermin sollte vor dem 2. September 2013 liegen. Auch hier wurde zur Begründung wiederum auf die syrischen Rebellen verwiesen, die die Giftgasattacke der syrischen Armee zugeschrieben hatten. Am 31. August kündigte Obama im Rosengarten des Weißen Hauses überraschend an, dass der Angriff aufgeschoben werde und er das Votum des Kongresses einholen wolle. Eine solche Verlagerung der Kriegsentscheidung auf den Kongress hatte es in der US-amerikanischen Geschichte noch nie gegeben. Es war ein Kunstgriff Obamas, über den viel gerätselt wurde. Kurz nach dem 21. August hatten die Russen Proben aus Ghouta mitgenommen, analysiert und dem britischen MI6 übergeben, der leitete sie weiter nach Porton Down, USA. Dort wurde das Ergebnis ernst genommen und an General Martin Dempsey weitergeleitet. Auf Grund des Berichtes erklärte dieser dem Weißen Haus: Ein Angriff auf Syrien sei ein ungerechtfertigter Akt der Aggression, denn das Sarin in Ghouta stamme nicht aus den Arsenalen des syrischen Militärs. Dies wiederum beeindruckte offensichtlich die US-Administration. Der Öffentlichkeit wurde als Grund des Stopps mitgeteilt, der Kongress sei in der Meinung gespalten, und durch den geplanten Angriff würde der Nahe Osten in Flammen aufgehen. Nancy Pelosi, Chefin der Demokraten, erklärte Obama, der Kongress würde nicht wie im Falle des Iraks die Sache einfach durchwinken, sondern substantielle Hearings fordern. Obama wählte daraufhin Plan B: kein Bombenangriff, wenn Assad der Vernichtung all seiner chemischen Waffen unter Aufsicht der UNO zustimmt. Der Plan war schon im Sommer 2012 zwischen Russen und Amerikanern erörtert worden. Das Weiße Haus wollte jedoch seinen Irrtum nicht eingestehen. Das Assad-Regime musste auch nach diesem Kurswechsel für den Einsatz des Giftgases verantwortlich gemacht werden. Doch damit war noch nicht alles geklärt. Offen war noch die Frage, wer hinter der al-Nusra-Front stand und ihr die Tür zum Sarin geöffnet hatte. Die Spur führte, wie schon lange vermutet, in die Türkei. Ende 2012 waren die USA zur Überzeugung gekommen, dass die Rebellen verlieren würden. Auf dem Aspen-Sicherheitsforum in Colorado hatte David Shedd, stellvertretender Leiter des US-Geheimdienstes Defense Intelligence Agency (DIA), eine alarmierende Einschätzung der Rebellenszene geliefert: Es gebe etwa 1200 verstreute Gruppen in der Opposition, al-Nusra sei die bei weitem gefährlichste. Erdoğan war verärgert, weil er in seinem Kampf gegen Assad auf die Rebellen nicht verzichten wollte. Er arbeitete von Frühling 2013 an direkt mit al-Nusra und den anderen Rebellenorganisationen zusammen, um chemische Waffen zu entwickeln. Der türkische Geheimdienst MIT übernahm die politische Verbindung, die Gendarmerie die militärische Logistik, die Instruktion und das Training. Erdoğan wusste, wenn er die Unterstützung der Dschihadisten abbräche, wäre alles verloren. Seine Kalkulation war: Es musste ein Ereignis geschaffen werden, welches die USA zwingen würde, die rote Linie zu überschreiten. Ein ehemaliger Mitarbeiter des US-Nachrichtendienstes klärte Hersh über die Zusammenhänge auf: »Wir wissen jetzt, dass der Gasangriff vom 21. August eine verdeckte Aktion von Erdoğans Leuten war, um Obama über die ›rote Linie‹ zu stoßen.« »Sie mussten die Dinge bis zu einem Gasangriff in oder nahe von Damaskus vorantreiben, als die UN-Inspektoren am 18. August in Damaskus eintrafen, um die früheren Gasangriffe zu untersuchen. Die DIA und andere Nachrichtendienste erzählten uns, dass das Sarin über die Türkei geliefert worden war – es konnte nur mit türkischer Unterstützung dorthin kommen. Die Türken sorgten auch für die Unterweisung zur Sarin-Produktion und -Anwendung. Man rechnete damit, dass mit dem Gaseinsatz Obama die ›rote Linie‹ überschritten sehen und Syrien angreifen würde. Die Rechnung ging nicht auf.« Niemand im Weißen Haus wollte mit Hersh darüber sprechen. Er erfuhr nur soviel: »Da wir einmal Assad beschuldigt haben, können wir nicht zurück und jetzt Erdoğan beschuldigen.« Auch die Drohung einer islamistischen Rebellenfraktion, das Grab des Süleiman Schah, Großvater von Osman I., Gründer des Osmanischen Reiches, zu zerstören, war als Provokation mit Erdoğan besprochen, um der Türkei einen Vorwand für einen Angriff auf den Norden Syriens zu bieten. Nachdem das an die Öffentlichkeit kam, blockierte Erdoğan den öffentlichen Zugang zu YouTube. Und wiederum gibt ein Informant aus einem Nachrichtendienst die wohl plausibelste Begründung für die Schonung Erdoğans: »Wir könnten das alles öffentlich machen, wenn es jemand anders als Erdoğan wäre. Aber die Türkei ist ein spezieller Fall, sie ist NATO-Partner. Die Türken trauen dem Westen nicht. Sie können nicht mit uns leben, wenn wir irgendeine aktive Rolle gegen die türkischen Interessen einnehmen. Wenn wir das, was wir über Erdoğans Rolle beim [Gift-]Gas wissen, an die Öffentlichkeit bringen würden, wäre das ein Desaster. Die Türken würden zu uns sagen: Wir hassen euch, weil ihr glaubt, uns sagen zu können, was wir zu tun und zu lassen haben.« Jetzt haben es allerdings die Türken selber öffentlich gemacht – doch dazu weiter unten mehr. Denn Hersh hatte noch Einiges über die »Rattenlinie«, die Kooperation der USA mit den Türkei, Saudi-Arabien und Katar, herausgefunden. Seit Anfang 2012 wurden Waffen und Munition von Libyen über die Türkei nach Syrien geschleust. Das konnte man einem streng geheimen Bericht entnehmen, der dem Report vom September 2012 über den Angriff auf das US-Konsulat in Benghasi, bei dem der Botschafter ums Leben kam, beigefügt war, und der ein Geheimabkommen zwischen der amerikanischen und türkischen Regierung von Anfang 2012 beschrieb, welches die Vereinbarung über die »Rattenlinie« enthielt. Die Finanzierung sollte von der Türkei, Saudi-Arabien und Katar kommen, die CIA war, mit der Unterstützung der MI6, dafür verantwortlich, Gaddafis Waffenarsenal nach Syrien zu schaffen. Dafür wurden mehrere Firmen in Libyen gegründet, einige unter australischem Deckmantel. Die Operation wurde anfangs von David Petraeus geleitet. Dem US-Kongress wurde die Operation nicht mitgeteilt, obwohl das nach einem Gesetz von 1970 erforderlich gewesen wäre. Nach dem Überfall auf das Konsulat endete die Beteiligung der CIA, aber die »Rattenlinie« arbeitete weiter. Die Türkei bietet den einzigen relativ leicht gangbaren Weg, die Rebellen zu beliefern. Die US-Administration stand nun nackt da, nur noch bedeckt mit dem Zeitungspapier der internationalen »Qualitätspresse«, die versuchte, die Peinlichkeit mit Spekulationen über die »Senilität« Hershs und seine angeblich dubiosen Recherchemethoden zu verdecken. Die taz, die ebenfalls nie einen Zweifel an der Täterschaft Assads gehabt hatte, führte einen Dozenten für digitalen Journalismus an der Universität Stirling in Großbritannien, Muhammad Idris Ahmad, ins Feld (taz v. 22./23. November 2014, S. 11), der gleich alle Journalisten, die Assads Verantwortung bezweifeln – wie Charles Glas, Robert Fisk, Patrick Cockburn und vor allem Seymour Hersh – der Naivität, Leichtgläubigkeit und Anfälligkeit für Verschwörungstheorien bezichtigte und das ganze Beweisgebäude in Zweifel zog. Obama blieben faktisch nur zwei Reaktionen, wenn er den ganzen Schwindel nicht eingestehen wollte: Hersh wegen Geheimnisverrats et cetera vor Gericht zu ziehen oder sich auf seine Position vom 10. September 2013 zu versteifen. Er handelte klug, sich nicht auf einen Streit mit Hersh einzulassen, denn dieser bekam nun plötzlich und unerwartet Rückendeckung aus der Türkei. Am 23. Oktober berichtete die türkische Zeitung Today’s Zaman von der Pressekonferenz zweier Abgeordneten der Republikanischen Volkspartei (CHP), Eren Erdem und Ali Şeker, auf der sie Dokumente und Audiokassetten vorlegen konnten, in denen Details beschrieben werden, wie Sarin in der Türkei produziert und an die Terroristen weitergegeben wurde. Der staatliche türkische Rüstungskonzern MKE (Makina ve Kimya Endüstrisi Kurumu) wurde ausdrücklich als beteiligte Firma erwähnt. Gefunden hatten die beiden Oppositionsabgeordneten diese brisanten Dokumente in Akten der Staatsanwaltschaft von Adana, die eine Untersuchung eingeleitet hatte wegen des Verdachts, dass Geschäftsleute Sarin von der Türkei nach Syrien geschafft hatten. Staatsanwalt Mehmet Arikan startete eine detaillierte technische Überwachung der Verdächtigen und stieß auf das El-Kaida-Mitglied Hayyam Kasap, das Sarin erhalten hatte. Eine Anklage mit Anschuldigungen gegen die Regierung folgte. Erdem wörtlich: Abgehörte Telefongespräche deckten auf, auf welche Weise das Giftgas und die Raketen, die die Kapseln mit dem Gas transportieren sollten, an bestimmte Adressen gelangten. Trotz eindeutiger Beweise gab es keine Verhaftung in diesem Fall. Dreizehn Personen wurden in der ersten Phase der Untersuchung festgenommen, später aber wieder freigelassen ...« Das Ziel der Attacke war nach Meinung beider Abgeordneter, Obama zu zwingen, militärisch gegen Assad vorzugehen. Sie stützen damit eine Vermutung, die Hershs schon im Dezember 2013 geäußert hatte. Erdems Kollege Şeker ergänzte: »Die Untersuchungen haben eindeutig ergeben, dass diejenigen, die die für die Herstellung von Sarin erforderlichen Chemikalien schmuggelten, keinerlei Schwierigkeiten bekamen. Das beweist, dass der türkische Geheimdienst ihre Aktivitäten kannte. Obwohl alle diese Leute für ihre illegalen Machenschaften ins Gefängnis gehören, ist nicht eine einzige Person im Gefängnis. Der ehemalige Premierminister und der Innenminister sollten für ihre Nachlässigkeit in diesem Fall verantwortlich gemacht werden.« Die westliche Presse – von Washington bis Berlin – schweigt. Vielleicht das Beste, was sie machen kann, wenn sie ihr Versagen nicht eingestehen will. In der Türkei dauerten die öffentlichen Reaktionen auf die Veröffentlichung nur zwei Tage an. Der stellvertretende AKP-Vorsitzende Begier Bozdağ stellte Strafanzeige wegen Rufmordes. In einem Interview vom 14. Dezember 2015 mit rt-deutsch haben beide Abgeordnete ihre Aussagen und Vorwürfe noch einmal bekräftigt und hinzugefügt, dass die Substanzen, die zur Herstellung von Sarin notwendig sind, von Firmen aus dem westlichen Ausland geliefert worden seien. Die Firmen dürften über die Verwendung in der Türkei keine Zweifel gehabt haben. In Deutschland haben wir leider keine Journalisten vom Format eines Seymour Hersh. Es gibt deren zwar genügend viele mit vorzüglichen Beziehungen zu allen Geheimdiensten und den Hinterstuben des politischen Zwielichts, doch nutzen sie diese Quellen nur selten zur Verbreitung der Wahrheit. PS: Bereits im Juni 2014 hatte eine von UNO und OPCW (Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons) gebildete Kommission gemeldet, dass auch die letzten Bestände an chemischen Waffen in staatlichem syrischem Besitz vernichtet worden seien. Doch die Angriffe mit Sarin haben in Syrien nicht aufgehört. Ein Angriff, der sich im März 2015 50 Kilometer südwestlich von Aleppo zugetragen hat, sowie ein Angriff mit Senfgas im August nördlich von Aleppo, werden nunmehr eindeutig dem IS zugeschrieben. Woher hat der IS diese Waffen? Im August 2015 beschloss der UNO-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 2235, dass diesmal die gemeinsame Kommission der UNO und OPCW auch untersuchen soll, wer für den Giftgaseinsatz verantwortlich ist. Warten wir ab. Die im Artikel aufgeführten Zitate stammen, soweit nicht weitere Quellen angegeben sind, aus den beiden genannten Artikeln von Seymour Hersh; Übersetzung Norman Paech.
Erschienen in Ossietzky 2/2016 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |