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Ein begehbares Denkmal lädt ein, es zu betreten. Um es angemessen wahrzunehmen, sollte man dies im vorliegenden Fall auch unbedingt tun. Zumal das Deserteursdenkmal das Ergebnis der Bemühungen eines breiten Bündnisses ist, das mit seiner Verbindung von Öffentlichkeit und Wissenschaft so viel Druck auf die Parteien auszuüben vermochte, dass der Beschluss zur Errichtung des Denkmals von allen seinerzeit in der Hamburger Bürgerschaft vertretenen Parteien (CDU, SPD, FDP, Die Linke, Bündnis90/Die Grünen) ohne Gegenstimme gefasst wurde. Die Chance, dass das Denkmal wahrgenommen wird, ist zunächst einmal nicht schlecht: Zu beiden Seiten erheben sich massive Bauwerke, wobei das Hrdlicka-Denkmal auch filigrane Elemente enthält. Aber: Hrdlicka war nun einmal kein Meister des Filigranen schlechthin. Das Problem der Wahrnehmbarkeit beginnt allerdings da, wo es um die Einzelheiten der beiden transparenten Wände geht: Sie bestehen aus Reihen schmiedeeiserner Großbuchstaben, die schwer lesbar sind, zumal, wenn man, wie vorgesehen, von außen beginnt: Dann stören sich die Zeilen der beiden Schriftwände beim Lesen gegenseitig. Bei genügender Konzentration liest man dann schließlich: »HÄNGT IHR AM LEBEN SIE GEBEN ES BRÜNSTIG F/ÜR HÖHERES NIEMAND ZWANG SIE DAZU DE/NN IHRES HERZENS SCHLAG IHRER SEELE GEBOT/ …« (Es folgen weitere 27 Zeilen.) Also: Nur Großstaben, keine Satzzeichen, kein zusammenhängender Text. Was steckt dahinter? Der Künstler Volker Lang hat einen Collagetext Helmut Heißenbüttels ausgewählt (»Deutschland 1944«), der seine suggestive Wirkung meines Erachtens erst entfaltet, wenn er zur Gänze rezipiert wird. Das ist optisch unter den gegebenen Umständen nur eingeschränkt möglich. Daher gibt es nur eins: Hineingehen in das Denkmal. Dort findet sich an der massiven Wand eine Reihe von Knöpfen. Drückt man den obersten, ertönt Heißenbüttels Stimme; der Autor liest seinen eigenen Collagetext (1971). Ich habe ein Experiment gemacht: Ich habe den Text drei Mal durchlaufen lassen und beobachtet, wie sich die Menschen, die an diesem feuchtmilden Wintertag an dem Denkmalsensemble entlanggingen, verhalten würden. Die meisten merkten durchaus auf, als sie eine männliche Stimme aus dem Prisma vernahmen und feststellen konnten, dass nicht ich es war, der sprach. Es kam aber nur selten vor, dass Menschen das Innere, in dem ich mich befand, betraten. Diejenigen, die sich trauten, sprach ich an: Einen Mann, der sich positiv zur Ehrung für die Deserteure äußerte, fragte ich, ob er noch vor 1945 geboren sei; er antwortete, er sei Jahrgang 1940. Es schloss sich ein kurzes Gespräch an. Einen etwas jüngeren, der versuchte, die Schrift zu entziffern, wies ich auf die Möglichkeit hin, den Text zu hören. Ich stellte das Band an, und er hörte geduldig zu. Er konnte dann auch die besonders schwer entzifferbare erste Seite lesen. Während wir inzwischen den Text im Inneren weiter verfolgten, wagte sich ein jüngerer Mann hinzu, der sich aber beiseite hielt. Schließlich betrat eine Frau den Innenraum des Denkmals, die sich als schon lange in Hamburg lebende Engländerin erwies. Ich sprach auch sie an und verwies sie auf die Möglichkeit, den Schrifttext zu hören. Sie las dabei die im Inneren angebrachte englische Übersetzung von »Deutschland 1944« und stellte fest, dass sie keinen Sinn ergebe. Daraufhin teilte ich ihr mit, dass es sich um eine Collage handelt. Fazit: Das Deserteursdenkmal verfolgt auf subtile Weise ein großes Ziel – den Kriegsklotz in Frage zu stellen. Doch wird die Öffentlichkeit Schwierigkeiten haben, die Einzelheiten ohne Anleitung zu verstehen. Das Bündnis, das die Errichtung durchgesetzt hat, könnte es sich zur Aufgabe machen, hier Hilfestellung zu leisten: Hinein in das Denkmal, damit andere sich hineinwagen! Dass das Interesse der Öffentlichkeit vorhanden ist, war unübersehbar: Etliche Leute standen während der Zeit meines »Experiments« in der Nähe und lasen die (blau-weißen) Erklärungstafeln und vor allem die Aufschrift auf einer Betontafel, die entlang des gesamten Ensembles – Kriegsklotz, Deserteursdenkmal, Hrdlicka-Denkmal – angebracht ist. Die Errichtung dieser Tafel hat Ludwig Baumann (94), Gründer der Vereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz, durchgesetzt: »Der Zweite Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen.« Wer diesen Satz gelesen und verstanden hat, dem hat sich der Sinn und die Berechtigung des Denkmals – so könnte man sich trösten – bereits erschlossen.
Erschienen in Ossietzky 2/2016 |
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