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So hatte es der Präsident der Handelskammer tatsächlich gemeint und ausgesprochen. Weil die Hamburger in ihrer Mehrheit Nein sagten zum olympischen Unfug, zur größten Kommerz- & Korruptionsveranstaltung der Welt, ist für Melsheimer in der Hansestadt die zügellose Anarchie ausgebrochen. Das Ergebnis des Volksentscheides über die Olympischen Spiele in Hamburg im Jahr 2024 war ihm ein »unerwarteter und schwerer Schlag ins Kontor«. Und das werfe die Frage nach der »Zukunftsfähigkeit unserer Stadt« auf, richtig: »unserer Stadt« sprach der Herr der Handelskammer. »Die eigene Bevölkerung« hat das Ergebnis herbeigeführt – die handelskammereigene. Das zeigt doch, wie schlecht es heute um Eigentum bestellt ist. Die Hamburger hätten »sich gegen ein milliardenschweres Investitions- und Marketingprogramm entschieden, das maßgeblich« – das war gut gelogen – »der Bund finanziert hätte«. In Wahrheit hätten gerade die Ärmsten dafür bluten müssen in dieser reichsten Stadt Deutschlands. Der Präses ist sich noch heute sicher: »Deutschland stand geschlossen hinter Hamburg, so wie wir es noch nie erlebt haben.« Hinter Hamburg, dem Tor zur Welt. Aber 325.000 Hamburger hätten sich am 29. November »entschieden, dieses Tor zuzuschlagen«. Das nannte der Handelskammerführer ein »fatales Signal«, und zwar »an Deutschland« und »die ganze Welt«. Wütend fragte er: »Wie kann es sein, dass sich der Senat und 85 Prozent der Bürgerschaft« – so heißt in Hamburg das Parlament – »für ein Projekt aussprechen und gleichwohl von der Bevölkerung eine Abfuhr erteilt bekommen?« Das geschehe ja nicht zum ersten Mal und entwickele sich allmählich zu einem Syndrom, dem »Hamburg-Syndrom«. Und da betonte der Präses, dass »unsere Handelskammer sage und schreibe neun Staatsformen, sieben Kriege und zehn Währungen überdauert hat«. Das, so erläuterte er den Vertretern der repräsentativen Demokratie, die zu seiner Ansprache angetreten waren, sollte man sich mal »vor die Augen führen«. Und dann machte der Präses der Handelskammer mit einem Wort des Papstes aller Neoliberalen dem Bürgermeisters deutlich, dass er ihm sein Vertrauen entziehen muss: »Karl Popper hat gesagt: ›Institutionen sind wie Festungen. Sie müssen klug angelegt und richtig bemannt sein‹. Die repräsentative Demokratie war einmal eine von unseren Vätern klug angelegte Institution, deren Mauern in den letzten Jahren untergraben wurden.« Und dann wandte er sich direkt an Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, der vor ihm im Publikum saß: »Sie haben einmal gesagt: ›Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch‹.« Scholz hat nicht geliefert. Er hat sich dem Volksentscheid ganz einfach gebeugt, als stünden für die zweitausend versammelten ehrbaren Kaufleute nicht Milliarden auf dem Spiel. Der Präses gibt dem Bürgermeister – und keiner protestiert gegen diese Unverschämtheit – eine letzte Chance: »In der Frage der Ertüchtigung unserer repräsentativen Demokratie würde ich gerne Führung bei Ihnen bestellen!« Ertüchtigung – ein treffendes Wort. Fünf Tage nachdem die Elite der Wirtschaft Hitler die Macht übergeben hatte, versprach dieser Führer den Befehlshabern der Reichswehr: »Ertüchtigung der Jugend und Stärkung des Wehrwillens mit allen Mitteln« – für die kommenden Kriege. Und dazu die »Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie«. Das sieht der Handelskammerführer heute nicht mehr so streng. Er weiß, dass sich die Demokratie längst zur repräsentativen Volksherrschaft ertüchtigt hat, die von der jeweiligen Handelskammer auf den richtigen Weg gebracht wird – in Hamburg ein ganz kurzer Weg. Vor diesem Hintergrund, drohte der Kammerführer dem Bürgermeister, dürfe »jetzt nicht so schnell zur Tagesordnung übergegangen werden«. Und war selber schon beim nächsten Punkt: »In Zukunft konsequent auf Freihandel setzen.« Denn da sieht der Kammerführer angesichts der demokratischen Umtriebe in Hamburg die nächste Gefahr, den Widerstand gegen TTIP. »Unsere Handelskammer unterstützt die Verhandlungen zu einem umfassenden Abkommen mit Nachdruck.« Der »Widerstand gerade aus unserem Land« erscheint ihm deshalb »umso unverständlicher«. Deshalb erwartet er auch von dem ebenfalls anwesenden Wirtschaftssenator, von »Ihnen, sehr geehrter Herr Horch«, dass er sich »auch in Zukunft gemeinsam mit dem Bürgermeister und Ihren Senatskollegen für TTIP ins Zeug« lege. Das ist zumutbar. Der persönlich angesprochene Wirtschaftssenator verkörpert in seiner eigenen Person den – von außen nicht sichtbaren – »richtigen Weg« zwischen dem Sitz der Handelskammer und dem – nur rein äußerlich – vor ihm stehenden Rathaus. Der »richtige Weg« ist ein real existierender unterirdischer Gang, durch den Frank Horch mühelos und ohne Wahlkampf ins Rathaus kam – als Transsubstantiation der repräsentativen Demokratie: Bevor er Wirtschaftssenator wurde, war er Präses der Hamburger Handelskammer als Vorgänger von Fritz Horst Melsheimer, der nunmehr den Bürgermeister abwatscht, weil er es sich erlaubt, ein demokratisches Abstimmungsergebnis hinzunehmen.
Erschienen in Ossietzky 2/2016 |
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