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Wie viele Künstler zeigen derzeit ringsumher in wie vielen Ausstellungen ihre Bilder? Jeder von ihnen hofft auf Aufmerksamkeit, wie die Brandenburger Topp und Ehrhardt, als sie in den 1920er Jahren in Berlin ausstellten: »In Berlin gibt es sicher 10.000 Maler, und auf dieser Ausstellung sind 524 Künstler vertreten und haben sich alle die höchstmögliche Mühe gegeben, um einmal wenigstens mit Namen in der Presse erwähnt zu werden. Man bekommt Mitleid mit den armen Menschen; was wird aus denjenigen, die niemals dazu gelangen, einmal von dem Kritiker (der auch nur ein armes Menschenkind ist) bemerkt zu werden« (Der Querschnitt, 1925). Die Ausstellung im barocken Palais des Brandenburger Stadtmuseums zeigt zwar in geringer Zahl bekannte Maler, wie Eduard Gaertner (1801–77) mit »Katharinenkirche«, den Zille-Lehrer Theodor Hosemann (1807–75) und den Berliner Konrad Knebel mit grauen Straßenansichten (»Damaschkestraße«, 1974). Doch wie bereichernd sind jene sehenswerten Bilder von unbekannten Künstlern! Im Triptychon (1986) verbindet Werner Gottsmann den triumphalen Sinn des Stahl- und Walzwerkes mit dem Abstich, der explosionsartig die »Stadt Bausteine« auseinanderzutreiben droht. Die Arbeit im Walzwerk feiert Peter Rohn in den 1970er Jahren, doch mit kritischem Blick, denn neben den zur Arbeit Eilenden, trinken andere vor dem Kiosk am Trauerberg. Mit eng und weit getriebenen Farbflecken setzt Emil Spiess im dynamischen Rhythmus Markt- und Straßenbilder zusammen. Das Atelierhaus des verehrten Malers Paul Hildebrandt, mit dessen Pauliwinkel-Bildern Brandenburger Familien ihre Wände schmückten, zeichnete 1957 der begabte 16-jährige Jürgen Lutzens. Geschult wurde er von Hertha Bielefeld, die die Wredowsche Zeichenschule besucht hatte. Der weitgespannte brandenburg-geschichtliche Exkurs der Kuratoren Undine Damus-Holtmann und Wulf Holtmann erreicht die Gegenwart mit der Serie »Steintorturm« von Jan Beumelburg, der die Brandenburger Tradition fortführt. Unter der Schirmherrschaft von Frank-Walter Steinmeier fächert die Ausstellung zehn thematische Aspekte auf, »Kunst Arbeit«, »Blick Winkel«, »Schüler Lehrer«, »Zeiten Wechsel« und andere, die das künstlerische Gedächtnis und die lokale geschichtliche Erinnerung bereichern. Endlich kann das Werk von Topp und Ehrhardt verglichen werden. Der ältere Topp, der in Brandenburg am Saldernschen Gymnasium als Zeichenlehrer tätig war, wurde auch Lehrer von Ehrhardt. In den künstlerischen Grundlagen war Topp, wie Zeichnungen des Parkes und des Lyzeumshofes zeigen, gegenüber Ehrhardt der Überlegene. Beide hatten Kontakt zu Herwarth Walden und zum Berliner »Sturm«. Mit zehn Bildern stand Arnold Topp in der Künstlergruppe »Die Abstrakten« neben bedeutenden internationalen Expressionisten, Futuristen, Kubisten und Konstruktivisten, darunter Archipenko, Chagall, Kandinsky, Schwitters und andere. Sieht man die kosmischen Visionen Arnold Topps, seine Farbbrillanz, die Einbeziehung gegenständlicher Motive und Schriftzeilen in die Abstraktion, kann vermutet werden, dass sein Einfluss auf Ehrhardt und die Geistesverwandtschaft tiefgreifend gewesen sind. Ihr »künstlerischer Wettstreit« zeigt sie mehr mit- als gegeneinander. In der »Dom«-Serie von 1918 erfasste Topp die Verschachtelung der mittelalterlichen Gebäude kubistisch und konstruktiv, das erinnert an die schräg liegenden Kirchen Lyonel Feiningers. Dabei ging es ihm um »formale und farbtheoretische Experimente«, wie die Kuratoren im Katalog mitteilen. Blieb damit im Grunde ein weiterer Schritt aus, den der Konkurrent Ehrhardt vollzogen hat? Ehrhardt verstand die Aufgabe der Kunst darin, »das innere Gesicht der Dinge zu enthüllen, ... es aufleuchten zu lassen, auch wenn die Schleier der Maya sie noch verhüllen«. Damit weist sein Sprachbild auf eine Textstelle in der »Geheimlehre« von Helene Petrowna Blavatsky, einer »Vereinigung von Wissenschaft, Religion und Philosophie« mit dem Leitspruch: »Keine Religion ist höher als die Wahrheit« (S. N. P. Dharmah). Ehrhardt sagte 1964, seinen Bildern liege »eine anthroposophische Grundhaltung und Betrachtungsweise zugrunde«. Bei Ehrhardts früherer Ausstellungsaktivität ragt seine Verbindung zur Novembergruppe heraus und dass kein geringerer als Raoul Hausmann seine Bilder in ihrem »Zeichenwert« und »magischen Leuchten« in sich aufnahm. Doch sein Leben danach verstand Ehrhardt als ein »geistiges und künstlerisches Katakomben-Dasein«. Das währte 20 Jahre in der DDR und auch, als er in die BRD umzog und »eine geformte und betonte Gleichgültigkeit« erlebte. Wenn Gefühle für einen Aufbruch virulent werden, Wünsche nach Synthese aufkommen und übersinnliche Raum-Zeit-Dimensionen interessieren, wenn die Malerei eines großartigen Koloristen voll Tiefsinn und Phantasie begeistern kann, wird die Kunst Curt Ehrhardts für die Betrachter wie einst für ihn selbst »das große Abenteuer« bleiben können. »stattbekannt – 150 Jahre Brandenburg in Bildern«, Stadtmuseum im Frey-Haus, Ritterstraße 96, mit barrierefreiem Zugang, bis 31. Januar 2016, Di–So 11–18 Uhr; Katalog 168 Seiten, 19,90 €. Literaturempfehlung: Peter Arlt: »Des Lebens dunkle Tänze. Der Maler Curt Ehrhardt«, Weimar 2002
Erschienen in Ossietzky 1/2016 |
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