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Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd«, heißt es in Christa Wolfs 1976 erschienenem Buch »Kindheitsmuster«, mit dem sie auch ihrer Heimatstadt Landsberg an der Warthe ein Denkmal gesetzt hat. 70 Jahre nach Kriegsende und 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung hat nun die Stadt Gorzów Wielkopolski ihrer berühmten Tochter, deren in mehr als 25 Sprachen übersetzte Bücher in aller Welt gelesen werden, eine Ehrung erwiesen, indem sie die Erinnerung an sie in das Stadtbild zurückgeholt hat. Christa Wolf ist wieder heimgekehrt, angenommen durch den Ort, den sie mit ihrer Familie als 15-Jährige im Januar 1945 verlassen musste. Erst ein Vierteljahrhundert nach ihrer Flucht ist sie 1971 zusammen mit ihrem Mann Gerhard Wolf, ihrer Tochter und dem jüngeren Bruder dorthin zurückgekehrt. Die Wiederbegegnung mit der Vaterstadt, in der ihre Muttersprache längst nicht mehr gesprochen wurde, wurde damals für sie alles andere als ein bloß touristischer Ausflug in halbversunkene Kindheiten. Sie half ihr vielmehr, einen »Krebsgang« in die eigene, ganz persönliche Geschichte einer Erinnerung zu unternehmen und mit dem Leitfaden zu erforschen, »wie sind wir so geworden, wie wir heute sind« oder wo kommen wir her und was hat unsere Verhaltensmuster geprägt. Eine vorläufige Antwort darauf versuchte sie dann mit dem 1976 erschienenen Roman »Kindheitsmuster« zu finden. Sie ruft Häuser und Plätze im Zeithorizont ihrer Kindheit mit liebevollem Blick wieder auf und erinnert sich sowohl der angepassten als auch mutigen, widerständigen Menschen, die die Stadt damals beherbergt hatte. Am Ende steht das Bewusstsein über die Notwendigkeit einer anhaltenden Trauerarbeit und der Empathie mit all denen, die – ob als Polen oder Deutsche – die existentielle Erfahrung von Flucht und Umsiedlung gemeinsam durchleben mussten und damit für immer teilen. Noch einmal nachzulesen in der erst aus dem Nachlass herausgegebenen Erzählung »Die Flucht«. Im Juli 2015 hat die Gorzówer Künstlergruppe »Stadtkunst« unweit des Geburtshauses von Christa Wolf am Sonnenplatz, an der Aleje 11 Listopada, der früheren Küstriner Straße, unter dem Motto: »Eine Stadt, zwei Namen, eine Geschichte« ein besonderes Erinnerungszeichen gesetzt. Überdimensional groß gemalte Pflanzen wie Kleeblatt, Schafgarbe, Wiesenschaumkraut, Johanniskraut, blaue Wegwarte, Huflattich, Beifuß, Wegerich und Hirtentäschelkraut, die Christa Wolf in »Kindheitsmuster« beschrieben hat, zieren die Giebelwand eines großen Mietshauses. Für die heutigen Betrachter sind alle Kräuter polnisch, deutsch und nach ihrem botanischen Namen lateinisch bezeichnet. Darunter ist eine zweisprachig gefasste biographische Notiz mit einem Bild der Autorin angebracht. Seit dem 29. Oktober 2015 gibt es nun eine zweite Erinnerungsstätte für die deutsche Schriftstellerin. Auf Initiative des Kulturvereins »Gesellschaft der Freunde Gorzóws« wurde der Gorzówer Bildhauer Michał Bajsarowicz beauftragt, zum Gedenken an Christa Wolf, Nelly Jordan, die Hauptfigur aus »Kindheitsmuster«, anhand der vorhandenen Fotos realistisch darzustellen. Entstanden ist die annähernd lebensgroße Bronzestatue eines Mädchens, das mit einem Buch in der Hand auf einer alten Landsberger Steinbank in einem kleinen Park neben der Marienkirche mitten in der Stadt sitzt. Dazu ist eine Tafel mit den Lebensdaten von Christa Wolf angebracht. Zahlreiche Mitglieder der Christa Wolf Gesellschaft, unter ihnen Gerhard Wolf, die sich im Vorfeld zusammen mit der Familie Wolf durch Spendensammlungen für dieses Denkmal engagiert hatten, waren zur Einweihung nach Gorzów gekommen. Dank einem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung bereitgestellten Bus konnten auch circa 40 deutsche Besucher der feierlichen Zeremonie beiwohnen. Den Auftakt bildete die herzliche Begrüßung der deutschen Gäste durch offizielle polnische Stadtvertreter und den Heimatverein. Die Danksagung der Christa Wolf Gesellschaft wurde begleitet von einem Kolloquium in der Stadtbibliothek, in dem deutsche und polnische Nachwuchswissenschaftlerinnen simultan übersetzte Ergebnisse ihre Forschungsarbeiten zum Werk Christa Wolfs vortrugen. Die feierliche Einweihung der Statue, offiziell »Nellys Bank« genannt, wurde zu einem von den polnischen Medien und dem RBB begleiteten, denkwürdigen Ereignis lebendiger Erinnerungskultur, die im Zeichen der Versöhnung zwischen beiden Völkern stand, zu der immer auch das Eingedenken an das Leid der anderen gehört. Es wurde an den Verlust der Heimat nicht nur eines damals fünfzehnjährigen deutschen Mädchens erinnert, sondern auch an den Verlust der Heimat zehntausender polnischer Menschen, die durch den Krieg als Vertriebene zwangsweise ebenso nach Landsberg umgesiedelt worden waren, wie die deutsche Bevölkerung aus Landsberg fliehen musste vor einem Krieg, der im Januar 1945 dorthin zurückgekehrt war, wo er einst seinen Ausgangspunkt genommen hatte mit dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939. Die Statue wird zum Sinnbild von dem Leid des Heimatverlustes und bezeugt zugleich die Verantwortung, persönlich einzustehen dafür, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, dass zwischen Deutschen und Polen auf immer friedliche Nachbarschaft herrschen möge. Der Platz auf der Bank neben dem nachdenkenden Mädchen ist frei und kann von den Nachgeborenen besetzt werden, von Einwohnern Gorzóws ebenso wie von Besuchern aus Deutschland. So wie man sich heute in Gdansk auf eine Bank zu Oskar Matzerat, dem Trommler aus dem Roman »Die Blechtrommel« von Günter Grass setzen kann, wird man künftig in Gorzów neben Nelly Jordan aus Christa Wolfs »Kindheitsmustern« sitzen können. In Deutschland findet man die einzige öffentliche Gedenkstätte für eine der bedeutendsten deutschen Autorinnen des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts bisher lediglich in Form einer Gedenktafel an jenem Haus, in dem sie mit ihrer Familie kurze Zeit in Halle/Saale gelebt hat. In Berlin, so scheint es, tut man sich schwer damit, einen würdigen Ort der Erinnerung an Christa Wolf zu finden.
Erschienen in Ossietzky 1/2016 |
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