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Nach einer Einführung durch den Verfasser des Nachwortes, Peter-Alexis Albrecht, schilderte Friedrich Wolff den Werdegang der Entstehung des Buches und verwies vor allem auf seine Absicht, die für sich sprechenden Dokumente der Prozesse unkommentiert zu lassen, um jedem zu ermöglichen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Der ebenfalls im Podium sitzende Gregor Gysi fand – wie für ihn typisch – die passenden Worte zur Anerkennung des Buches und würdigte dessen rechtshistorische Bedeutung für künftige Generationen, die sich unbefangen mit der Materie auseinandersetzen können. Zugleich verwies er auf die Verdienste des Herausgebers, mit dem er lange Jahre im Berliner Rechtsanwaltskollegium zusammengearbeitet hatte. In der Diskussion ging es vor allem um die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei, was die überwiegende Mehrheit der Anwesenden verneinte. Warum wurde das Rückwirkungsverbot bei den Prozessen gegen DDR-Hoheitsträger missachtet? Warum setzten die Sieger auf eine juristisch fragwürdige Aufarbeitung, statt nach Alternativen zu suchen? Viele Fragen und ein gelungener Abend für Veranstalter, Verlag, Podiumsteilnehmer und Publikum. Ralph Dobrawa 25 Jahre sind vergangen, seit Erich Honecker und andere Mitglieder des Politbüros der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zurücktraten. Als die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen sie begannen, bestand die DDR noch. Inzwischen habe ich die Prozessunterlagen von den ersten Vernehmungen 1989 bis zum letzten Urteil 2004 gesammelt und durchgearbeitet. Der Berliner Wissenschafts-Verlag hat die Dokumentation im Dezember 2015 vorgelegt. Sie trägt den Titel »Das Politbüro der DDR vor Gericht« und umfasst rund 1100 Seiten. Keine Ferienlektüre. Aber der an den damaligen Vorgängen interessierte geduldige Leser wird viele Erkenntnisse gewinnen und sicher auch einigen Sprengstoff finden. Da ist zunächst die Tatsache, dass von den 22 Mitgliedern des Politbüros, die am 21. April 1986 gewählt worden waren, 14 nach Sachverständigenurteilen aus den 1990er und späteren Jahren verhandlungsunfähig waren. Ihr Alter war zwar allgemein bekannt und lange schon Gegenstand von Witzen gewesen (»Erster Tagesordnungspunkt des Parteitages: Hereintragen der Mitglieder des Politbüros«), aber hier ist es amtlich und führt zu der Frage, ob diese Mitglieder noch regierungsfähig waren. Und wie verhielten sich die führenden Mitglieder des »Kampfbundes«, wie die SED sich nannte, vor Gericht? Von den acht, die rechtskräftig verurteilt wurden, nämlich Heinz Keßler, Günter Schabowski, Günther Kleiber, Egon Krenz, Hans-Joachim Böhme, Siegfried Lorenz, Herbert Häber (Mitglied des Politbüros bis 1986) und Harry Tisch traten nur vier so kämpferisch auf, wie das von ihnen zu erwarten gewesen wäre. War die »Kaderpolitik« genannte Personalpolitik der Partei den Anforderungen gerecht geworden? Mancher Leser mag sich auch dafür interessieren, wie sich die Politbüromitglieder zueinander verhielten. Man erfährt, womit sich das Politbüro im Krisenjahr 1989 beschäftigte. Wie die Dokumente zeigen, waren die dringenden politischen Probleme der Endzeit der DDR dem Politbüro nicht bewusst; jedenfalls wurden sie nicht erörtert. Deutlich zu erkennen ist auch, dass die tatsächliche Rolle des Generalsekretärs nicht den demokratischen Anforderungen des Parteistatuts entsprach. Er war krank. Nichts ging mehr. Der Leser wird schließlich feststellen, dass die DDR-Staatsanwälte bis zum 10. August 1990 dem Staatsratsvorsitzenden die Schüsse an der Mauer nicht vorwarfen. Sie befassten sich nur mit seinen tatsächlichen oder vermeintlichen Privilegien. Erst nachdem die DDR ihre Souveränität aufgegeben hatte, änderte sich das. Dann begannen mit dem 3. Oktober 1990 die Prozesse in der Bundesrepublik. Die Bundesregierung gab den Ton an. Im September 1991 sagte Bundesjustizminister Klaus Kinkel auf dem »Ersten Forum des Bundesministers der Justiz« (dem kein zweites folgte): »Der Versuch aber, staatliches Unrecht mit den Mitteln des Rechts zu bewältigen, ist nahezu singulär. Die Nürnberger Prozesse, die Verfolgung des Massakers in My Lai und die NS-Prozesse gehören hierher. Mit diesen Prozessen sind wir noch nicht zu Ende, das Verfahren gegen Herrn Schwammberger in Stuttgart hat gerade erst begonnen, und schon müssen wir 45 Jahre später bereits SED-Unrecht aufarbeiten. Auschwitz und Bautzen.« Auschwitz = Bautzen. Unfassbar. In Auschwitz wurden Millionen Menschen grausam umgebracht, in Bautzen kein einziger. In Bautzen waren politische Gegner inhaftiert, die wegen Verstößen gegen DDR-Gesetze verurteilt worden waren, aber in Auschwitz wurden Menschen (auch Kinder) nur wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Rasse grausam umgebracht. Kann man diesen Unterschied verkennen? Kinkel: »Die Aufgabe, die vor uns steht, ist gewaltig. Nicht nur der Rechtsstaat, unsere ganze Gesellschaft muss sich der Bewältigung des DDR-Unrechts stellen.« Und auf dem Deutschen Richtertag im September 1991 wurde der Minister noch deutlicher: »Ich baue auf die deutsche Justiz. Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das bis zum bitteren Ende seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung, angeblich höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat, während es unter dem Deckmantel des Marxismus-Leninismus einen Staat aufbaute, der in weiten Bereichen genauso unmenschlich und schrecklich war wie das faschistische Deutschland, das man bekämpfte und – zu Recht – nie mehr wieder erstehen lassen wollte.« Was musste der Justiz gelingen? Gerechte Urteile? Nein, was von ihr verlangt wurde, war die Erreichung eines politischen Ziels, die Erfüllung eines politischen Auftrags: Delegitimierung des politischen Gegners. Mit dieser Zielsetzung wurden die Strafprozesse wegen sogenannter Regierungskriminalität geführt, vor allem die drei Prozesse gegen Mitglieder des Politbüros wegen der Schüsse an der Grenze. Der Vorwurf in diesen drei Strafprozessen hieß nach DDR-Recht Mord, nach BRD-Recht Totschlag. Die Justiz tat sich jedoch schwer, eine strafrechtliche Schuld zu begründen. Die Gerichte fanden unterschiedliche Argumente, hielten aber an der Gleichsetzung der DDR-Funktionäre mit den Hitler-Faschisten fest. Der politische Charakter der Prozesse blieb unverkennbar. Nur in einem Fall fand ein Schwurgericht eine Begründung für einen Freispruch. Der politische Missbrauch der Justiz begann bereits mit den Entscheidungen über Erich Honeckers Verhandlungsfähigkeit und seine Auslieferung aus der Sowjetunion, wo eine Spezialklinik ihn aufgenommen hatte. Die Moskauer Verwaltung für die Betreuung des diplomatischen Korps attestierte im Februar 1992 zunächst richtig Leberkrebs, einen Monat später jedoch eine harmlose Geschwulst. Nachdem Erich Honecker nach Berlin überführt worden war, erklärte der Röntgenologe Professor Volker Taenzer Anfang August 1992: »Anhand der Verlaufsbeobachtung kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Herd im rechten Leberlappen sich seit 1990 neu entwickelt hat und damit einer Solitär-Metastase – vermutlich des 1990 operierten Klarzellcarcinoms – entspricht.« Etwa zur gleichen Zeit änderte das Präsidium des Landgerichts Berlin den Geschäftsverteilungsplan mehrfach, bis schließlich die Kammer des Vorsitzenden Richters Hansgeorg Bräutigam für zuständig erklärt wurde. Aus Bräutigams Veröffentlichungen wusste man, dass seine Haltung zur DDR der des Ministers Kinkel ähnlich war. Unter diesen Umständen wurde der Prozess gegen den todkranken Honecker eröffnet. In den ersten Wochen war Hauptgegenstand des Verfahrens der Leberkrebs des Angeklagten. Es war unsäglich. Schließlich erkannte der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin unter seinem Präsidenten Klaus Finkelnburg den Verstoß gegen die Menschenwürde, den dieses Strafverfahren darstellte, und beendete es. Das Verfahren gegen die anderen Angeklagten wurde fortgesetzt. Es begann die Suche nach einer Rechtsgrundlage für die Verurteilung der politischen Gegner. Das rechtliche Problem bestand in der Herstellung einer Verbindung zwischen dem Politbüro und dem Tod von DDR-Flüchtlingen. Man fand keinen »Schießbefehl«. Nachdem alle deutschen Instanzen vom Landgericht bis zum Bundesverfassungsgericht gesprochen hatten, stellte 2001 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fest, dass die deutschen Gerichte vom Landgericht bis zum Bundesverfassungsgericht jeweils andere Rechtsgrundlagen für die Verurteilung gefunden hatten, und fügte ihnen eine eigene, fünfte, hinzu. Danach erteilte er den Rat, andere ehemals sozialistische Länder sollen es machen wie Deutschland. So kann jeder Leser hier erfahren, wo der EGMR politisch steht. Nachdem Straßburg gesprochen hatte, war die strafrechtliche Verurteilung unangreifbar geworden. Nicht beendet waren jedoch das Verfahren gegen Häber und andere sowie die juristische Aufarbeitung der DDR auf anderen Rechtsgebieten. Die Gerichte hatten verschiedene Anlässe, sich mit den »Machthabern« in der SED zu beschäftigen, zum Beispiel das Umstellungsguthabengesetz vom 29. Juni 1990. Nach diesem Gesetz konnte ein Sonderausschuss der Volkskammer, der zur Prüfung der Rechtmäßigkeit des Erwerbs von Umste1lungsguthaben gebildet worden war, verlangen, »innerhalb von zehn Tagen nach Zugang dieses Verlangens die Rechtmäßigkeit des Erwerbs des Gesamtguthabens nachzuweisen und die erforderlichen Unterlagen bei o. g. Sonderausschuss einzureichen«. Nachdem zum Beispiel das ehemalige Politbüro-Mitglied Hermann Axen erklärt hatte, sein Sparkonto sei lediglich aus Einkünften aus Gehalt und Rente gebildet, erhielt er den Bescheid, das Konto mit seinen Ersparnissen und denen seiner Frau werde zugunsten des Staatshaushaltes eingezogen: Damit hatten Herr und Frau Axen ihr gesamtes Vermögen verloren. Das Konto hatte ein Guthaben von 246.143,32 Mark der DDR. Blieben noch die Sozial- und die Entschädigungsrente. Axen als Auschwitz-Überlebender und Honecker als zu zehn Jahren Zuchthaus Verurteilter hatten in der DDR Anspruch auf Entschädigungsrente. Das durfte nicht so bleiben. Was die normale Altersrente anbelangt, so ist darüber in den Dokumenten nichts zu finden. Die Akte wäre zu umfangreich geworden. Dass es für die Politbüromitglieder wie für andere Berufsgruppen (MfS) »Strafrenten« gab, ist ohnehin bekannt. Die Betroffenen erhielten nicht die Rente, die ihnen nach der Höhe ihrer gezahlten Beiträge zugestanden hätte, sondern wesentlich weniger. Eine Neuheit im Sozialrecht. Die Entschädigungsrente wurde Mitgliedern des Politbüros, sofern sie eine solche erhalten hatten, mit der Begründung entzogen, sie hätten gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Entsprechende Gerichtsentscheidungen ergingen in allen Instanzen. Jetzt ist es an der Geschichte, ihr Urteil abzugeben. Der Historiker Dirk Blasius meint: »Erst die Geschichte ist die eigentliche Revisionsinstanz in politischen Strafsachen.« (Dirk Blasius: »Geschichte der politischen Kriminalität in Deutschland 1800–1980«, Frankfurt am Main 1983).
Erschienen in Ossietzky 1/2016 |
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