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Im Roman »Deutschstunde« von Siegfried Lenz (1968; zum Bühnenstück bearbeitet vom auch im dramatischen Genre erfahrenen Christoph Hein und uraufgeführt im Juni 2015) geht es um richtiges Verhalten, um Pflichtbemühen, in Brechts Parabelstück (1938-42, Uraufführung 1943) um das Gutsein eines guten Menschen, zumindest um die Möglichkeit solchen Verhaltens, dem es in unguten Menschenordnungen so unendlich schwergemacht wird. Im Roman »Deutschstunde« wird weitläufig und detailgenau eine mehrsträngige Handlung erzählt, im Stück sehr viel gedrängter, knapper, doch eindeutiger wiedergegeben, genauer: gespielt, dargestellt, vorgeführt. Literaturkritiker Kurt Batt schrieb: »Das Schicksal der Zentralfigur ist verknüpft mit dem seiner Familie und seines Dorfes, das seinerseits stellvertretend für das ehemalige Deutsche Reich steht. Auch hier unterwirft Lenz die Hauptfigur moralischen Prüfungen, aber die Handlung wird gerade dadurch zum Romangeschehen, dass die ethischen Probleme ... in ihrer charakteristischen zeittypischen Ausprägung erzählerisch gefasst werden. In diesem Roman figurieren also die Gestalten nicht als Demonstrationsobjekte für eine bestimmte Existenzform oder Schuldfrage, sie sind vielmehr Charaktere, die auf jeweils besondere Weise gesellschaftlich geprägt sind. Obgleich Lenz stofflich Jahrzehnte zurückgriff, ist dieser Roman auch ein Ergebnis jener allgemeinen Tendenz zur Politisierung, wie sie für die BRD-Literatur in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre bestimmend ist.« (Romanführer A-Z, Bd. 3, Volk und Wissen, 1978, S. 276) Im Grunde weiß man, was nun auch in der Bühnenfassung von Hein steht, sich abspielt – nur knapper, härter, zupackender, manche Feinheit verloren gebend, einige kräftige Sätze behaltend, die aufs Ganze gehen: »Aus dem Kopf kann man nichts konfiszieren.« Oder der Schluss-Satz: »...dass Zeit nichts, aber auch gar nichts heilt.« Fürwahr ein bitterer Finalsatz, denn Wunden heilen, Narben bleiben – oft schmerzhaft! Doch richtet er sich gegen das Vergessen, und das ist gut so! Nun das Ganze inszeniert von Philip Tiedemann in einem szenischen Raum von Johannes Schütz. 15 Rollen mussten besetzt werden, dazu noch etliche in Gruppen wie »Insassen der Anstalt« und »Psychologen«, »Schüler«, »Galeriebesucher«, »Polizisten«. Selbst ein personenstarkes Ensemble wie das BE hat Grenzen, und so traten die meisten Darsteller in mehreren Rollen auf, Peter Miklusz und Joachim Nimtz ausgenommen: die erinnernden und handelnden Hauptpersonen. Außerdem muss ich noch Martin Seifert als Lehrer Korbjuhn und Maler Max Ludwig Nansen, den Bescheidwisser, nennen – als klügster Mensch des Geschehnis-Wirrwarrs eine fein gezeichnete Figur, als deren Hintergrundvorbild Emil Nolde gesehen wird. * »Der gute Mensch von Sezuan«, ist das vielleicht schwierigste Stück des Meisters vom Schiffbauerdamm – er selbst sah es meist so, etwa in Notaten während der Herstellung. Brecht sah es als im Grunde nicht fertig an. Wie auch? Eine Gesellschaft, in der man ganz einfach »gut«, nur ein »guter Mensch« sein kann, muss erst noch gefunden (oder gemacht) worden sein. Entwürfe dafür hat es gegeben: Als BB am Text arbeitete, war just der gewalttätige Sturm auf jenes Land in Vorbereitung und im Gange, welches als erstes den heroischen Versuch unternommen hatte, so eine Gesellschaft zu errichten, der zwar zurückgeschlagen wurde, doch mit derartigen Opfern, dass er scheitern musste, auch in den meisten Nebenländern, was BB wohl ahnte, aber nicht mehr erlebt hat. Shen Te konnte in keiner ihrer Gestalten, auch nicht als Shui Ta, das Gutsein erreichen – nicht für sich, schon gar nicht für andere. Für Versuche dieser Art war die Zeit zu kurz, Zeitalterumbrüche dieser Art vollziehen sich über Generationen und Jahrhunderte. So war die Zeit für einen guten Menschen noch nicht gekommen, und so endet die Parabel mit der Aufforderung: »Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!/ Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!« Auf die Frage eines Teilgutseins in Aneignungs- oder Raubgesellschaften, was da und dort – sei es als Widerstand oder Nächstenhilfe – doch möglich sein kann, lässt BB sich gar nicht erst ein. Wie das nun inszenieren? Schon dreimal hab ich in diesem Hause das Stück gesehen: 1958 (1957 inszeniert von Benno Besson, mit Käthe Reichel); 1991 mit Carmen-Maja Antoni in einer Inszenierung von Alejandro Quintana und nun mit Antonia Bill, Regie: Leander Haußmann, Bühne Via Lewandowsky, räumlich gut spielbar, auch vom Licht her (Ulrich Eh). Nun, Haußmann ist vorsichtiger, behutsamer geworden, kein kühner Experimentierer mehr, man sah gute und handwerklich saubere Arbeit, seine erste Brecht-Inszenierung am BE. »Handwerklich sauber« bedeutet gut und schließt Originalität keineswegs aus. Da gab es grotesk gespielte Figuren in grotesk zugespitzten Szenen, überhaupt allerlei Komik. Dass Brecht auch im besten Sinne komisch sein konnte, ist bekannt, gesehen hat man es nicht immer. Der Regisseur selbst spielte an diesem Abend infolge Erkrankung (Traute Hoess) vertretungsweise den Ersten Gott, Claudia Burckhardt aus gleichem Anlass Witwe Shin. Es spricht für ein Ensemble, dass bei solchen Übernahmen die Qualität einer Aufführung annähernd erhalten bleibt. Antonia Bill aber spielte sich so richtig in die Rollen hinein, die große Doppelrolle geriet geradezu furios – für Shen Te und Shui Ta jeweils ein eigener Gestus. Da hätte BB seine Freude gehabt.
Erschienen in Ossietzky 25/2015 |
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