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Urlaub?« fragt er, und ich überlasse ihm bereits meinen Koffer. »Ich bin Schriftstellerin«, antworte ich, wohl wissend: Der Stellenwert von Literatur ist hierzulande nach wie vor hoch. »Übermorgen präsentiere ich in Jerewan mein Buch ›Vierzig Tage Armenien‹. Das Buch ist ganz neu.« Inzwischen stehen wir an seinem hellgrauen Shiguli. »Und wieviel kostet die Fahrt bis Jerewan?« »10.000 Dram!« »Aber das ist doch viel zu viel! Ich habe etwas von 5000 bis 6000 Dram gehört.« »In Ordnung, dann 8.000 Dram!« meint der Mann, während er mein Gepäck verstaut und den Kofferraum schließt. Ich habe nichts dagegen. Die Fahrt geht durch die nächtlichen Straßen, vorbei an bunt beleuchteten Häusern – Spielcasino, Eros-Center … So oft, wie ich seit dem Jahr 2000 nun schon in Jerewan gewesen bin, kenne ich die Wege gut. Und so staubig, teils unbefestigt sie auch sind: Ich fühle mich sicher. »Wie leben Sie aktuell in Armenien?« setze ich das Gespräch fort. »Schlecht!« antwortet sofort der Fahrer. Täglich fährt er sein privates Taxi. Und im Sommer verkauft er noch dazu Blumen. »Lieben Sie Blumen? Chrysanthemen? Bevor ich Sie zu Ihrem Quartier bringe, fahren wir zum Fußballstadion. So früh am Morgen gibt es dort Blumen. Rosen?« »Eine Lilie wäre schön«, sage ich. Wir halten am Fußballstadion, und der Fahrer sagt: »Warten Sie!« Schon verschwindet er im Dunkel. Als er zurückkommt, trägt er einen riesigen Blumenstrauß in der Armbeuge. Es sind Chrysanthemen und drei Sträuße in einem. »Lilien gab es nicht«, entschuldigt er sich und reicht mir den Strauß: »Für Sie und Ihr Buch. Willkommen in Armenien!« Zwei Tage später – es ist Mittwoch – findet im Festsaal der Pädagogischen Universität die Präsentation des Buches statt. Seit zig Jahren treffen sich die Deutschlehrerinnen jede Woche mittwochs, und es sind tatsächlich zumeist Frauen, rund um Melanja Astwatsatrjan, eine streng wirkende, engagierte Professorin. Sie war es auch, die in den Jahren der schweren Krise, nach dem Erdbeben 1988, während und nach dem Krieg in Berg Karabach, maßgeblich dafür Sorge trug, dass in Armenien neben der englischen und französischen auch die deutsche Sprache weiter gelehrt wurde. Im Festsaal sitzen bereits Studentinnen. Schlanke Frauen mit dunklen Haaren, in schwarzen Lederjacken und schmalen Hosen. Sie wirken neugierig. Kurz darauf betritt Wahram Babajan den Saal. Während eines Stipendienaufenthaltes in der Denkmalschmiede Höfgen bei Leipzig hatten wir uns kennengelernt. Dort begann ich seine Geschichte(n) aufzuschreiben, irgendwann mit dem Gefühl: »Ich muss es aber auch mit eigenen Augen sehen.« Der Flug wurde möglich durch ein Reisestipendium des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland. Für drei Wochen lebte ich dann im Jahr 2000 in der Familie Babajan in Jerewan. Meine Innensicht konnte sich entwickeln. Allmählich füllt sich der getäfelte Festsaal. Auch die »Protagonisten« meines Buches habe ich eingeladen. Letztlich werden nicht alle da sein können. Ter Aspet beispielsweise fehlt, der Priester aus dem Kloster Haghpat, mit dem ich im September 2014 von Kloster zu Kloster getrampt bin. Inzwischen lebt und arbeitet er im armenischen St. Jakobs-Patriarchat in Jerusalem. Dafür hat neben Wahram Hayk Martyrosjan Platz genommen. Der 35jährige schrieb seine Doktorarbeit zu dem Thema: »Der Deutsche Hilfsbund für Armenien und seine Tätigkeit unter den Armeniern des Osmanischen Reiches 1896 – 1919«. »Ob ich den Schmerz der Vorfahren spüren kann?« meinte er einmal auf meine Frage hin, um dann zu ergänzen: »Ich beschäftige mich ja mit dem Thema der Missionare und habe viel über den Genozid gelesen, Erinnerungen … Ehrlich gesagt, ich würde das keinem anderen zu lesen geben. Diese Erinnerungen berichten sehr detailliert darüber, wie man einen oder auch mehrere Menschen getötet hat. Ich habe viel zu viel gelesen. Trotzdem bleiben meine Augen feucht.« Schließlich beginnt die offizielle Präsentation in Armenien, und ich wiederum beginne dieselbe mit einem altarmenischen Sonnengebet. Ich fand es in einem Buch über »Felszeichnungen in Armenien« und schätze es sehr (A. Ohandjanian/ L. Awanessian, Verlag zur Förderung der armenischen Geschichte und Kultur, Wien, 2007): »Der Welt Friede und Wohl/ Den Königen Versöhnung/ Dem Brot einen niedrigen Preis/ Meinen Söhnen viel Sonne/ Meiner Seele Fülle.« »Es gibt bei uns nicht nur Gutes«, meldet sich später eine der Lehrerinnen zu Wort. »Wie sind Sie damit umgegangen, in Ihrem Buch?« »Ich zeige, was ich gesehen habe«, versuche ich es zu erklären. »Und ich erzähle von dem, was ich gehört habe. Mehr nicht. Ein Schriftsteller zeigt mehr, als dass er urteilt. Unser Leben ist komplex.« Vierzig Tage bin ich im Jahr 2014 durch Armenien gereist. Der Zufall bescherte mir diese Zahl, deren Symbolik mit Bezug auf Armenien letztlich noch verstärkt wird durch »Die vierzig Tage des Musa Dagh« von Franz Werfel. Und für jeden dieser 40 Tage gibt es im Buch mindestens eine Episode. Ein Tagebuch aber ist es nicht. Buch wie Präsentation beschließe ich dann mit den Gedanken von Hrair Bagramjan. Denn passender geht es kaum: »Schach war ein Spiel der Könige. Dabei gibt es zwei Dinge zu erkennen: Erstens: Die Bedeutung von Zeit, sowohl im Leben als auch im Schach. Und zweitens: Du kannst erkennen, dass es in der Welt Spieler gibt. – Du kannst immer Opfer von deinem Gegenspieler werden. Du kannst denken, dass du König oder Königin bist. – Aber egal, wie mächtig du bist, ob König, Königin oder auch als Spieler – für uns alle gibt es eine bestimmte Zeit. Wenn diese Zeit aus ist, abgelaufen, vorbei, endet auch das Spiel.« Von Constanze John erschienen zuletzt: »Vierzig Tage Armenien. In einem alten Land im Kaukasus«, DuMont, 250 Seiten, 14,99 €, sowie »Blaue Zimmer. Texte von 1983 – 2014«, freiraum-verlag Greifswald, 160 Seiten, 13,95 €.
Erschienen in Ossietzky 25/2015 |
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