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Als Sethe diese Zeilen schrieb, waren die Zeitungen und andere Printmedien neben dem Rundfunk von entscheidendem Einfluss auf die politische Meinungsbildung. Das Fernsehen steckte noch in den Kinderschuhen, und das Internet war den Babyschuhen noch nicht entwachsen. Heutzutage sieht es anders aus, worüber Medien- und Meinungsforscher ein wenig gestelzt informieren: So erarbeitete TNS Infratest im Auftrag der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten zu Beginn des Jahres 2015 eine »Gewichtungsstudie zur Relevanz der Medien für die Meinungsbildung in Deutschland«. Danach ist das Fernsehen »nach wie vor das reichweitenstärkste Medium zur Information und Meinungsbildung. Mit einer informierenden Tagesreichweite von knapp 60 Prozent liegt es deutlich vor Radio (51 Prozent) … Das Internet hat zwar deutlich aufgeholt …, liegt aber mit 29 Prozent ›informierender Nutzung‹ immer noch auf Platz 4.« Zugleich ergaben Untersuchungen des »MedienVielfaltsMonitors« der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, dass die privaten Fernsehsender an »Meinungsmacht« verloren haben. Was für ein Glück also, dass es die öffentlich-rechtlichen Sender gibt! Auftrag der ARD ist es nach eigenem Bekunden, die »Meinungsvielfalt« zu sichern, wozu ihre Berichterstattung »ausgewogen, unparteilich und objektiv« sein soll. Das ZDF formuliert seine Grundsätze noch ambitionierter. Seine Programme sind den »publizistischen, ethisch-moralischen und gesellschaftlichen Standards und rechtlichen Vorgaben der Sachlichkeit, Objektivität, Ausgewogenheit, Unabhängigkeit und Fairness verpflichtet«. Noch einmal: Gottlob, dass es ARD und ZDF gibt. Wir, die Konsumenten von »Tagesschau« und »Tagesthemen«, »heute« und »heute journal«, stellen Tag für Tag mit immer wiederkehrender Freude fest, wie ausgewogen, unparteilich, objektiv, sachlich, unabhängig und fair wir über den untergegangenen ostdeutschen Unrechtsstaat, die Annexion der Krim, Putins Macht- und Kriegspolitik, den Ukraine-Konflikt, die Entwicklung in China, Kuba, Bolivien, Venezuela und vieles andere mehr unterrichtet werden. Natürlich – und Irren ist bekanntlich menschlich – unterläuft selbst den besten Redakteuren, Moderatoren und Korrespondenten auch einmal ein Patzer. Geschieht das, dann gibt es wirksame Hebel, um der Wahrheit Bild und Gehör zu verschaffen. Wie die meisten Sender macht auch der WDR, der hier stellvertretend für die anderen Sender genannt sei, großzügig darauf aufmerksam, dass jeder, der Fernseh-, Radio- oder Internetbeiträge des WDR kommentieren möchte, sich jederzeit an den Sender oder den Rundfunkrat wenden kann. Im Internet werden Postanschrift, Telefonnummer und E-Mail-Adresse kostenlos mitgeteilt. Ein besonderes Verfahren gelte, wenn dem Sender vorgeworfen wird, gegen Programmgrundsätze verstoßen zu haben. In diesem Fall handele es sich um eine förmliche Programmbeschwerde, die innerhalb von drei Monaten nach Ausstrahlung der betreffenden Sendung beim WDR einzureichen sei. Der Intendant habe dann einen Monat Zeit, mit einem schriftlichen Bescheid zu antworten. Sehe er ebenfalls einen Rechtsverstoß, könne er – je nach Schwere und Bedeutung des Falls – bestimmen, dass der WDR im Programm darüber informiert. Bei den anderen Sendern gelten analoge Regeln. Soweit, so gut! Immer mehr Fernsehkonsumenten nutzen diese Regelungen und beschweren sich. Zu den aktivsten gehören der langjährige Vorsitzende des ver.di-Betriebsverbandes beim NDR Friedhelm Klinkhammer und der ehemalige ARD-Nachrichtenredakteur Volker Bräutigam (vgl. nachfolgenden Ossietzky-Beitrag). Neuerdings gibt es nicht nur Programmbeschwerden einzelner Fernsehzuschauer. Die Kritik gewinnt an gesellschaftlicher Breite. Im Februar 2014 gründete sich in Leipzig der Verein »Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien«, zu dessen Vorsitzenden die Unternehmensberaterin Maren Müller gewählt wurde. Der Verein beabsichtigt, eine unabhängige, demokratische Kontroll- und Beschwerdeinstanz für die öffentlich-rechtlichen Medien aufzubauen. Mittlerweile ist die Kontrolltätigkeit bereits im Gange. Ende September 2015 versammelten sich rund 1500 Demonstranten vor dem US-Militärstützpunkt Ramstein, um gegen den von dort geführten Drohnenkrieg der USA und die Kriegspolitik des Westens zu demonstrieren. Der SWR sprach in seiner Berichterstattung von »nicht einmal 100 Teilnehmern« und berief sich dabei auf Polizeiangaben. Doch selbst die konservative Schätzung der rheinland-pfälzischen Polizei gab die neunfache Zahl an Demonstranten an. Als Reaktion auf die Zahlenmanipulation hat die »Ständige Publikumskonferenz« eine geharnischte Programmbeschwerde an den Sender gerichtet. Eine solche Beschwerde erhob das Gremium auch gegen den Beitrag »Syrien: Forciert das Assad-Regime den Exodus?« auf Tagesschau.de vom 27. Oktober 2015 wegen fehlender Objektivität, Genauigkeit und der klar erkennbaren propagandistischen Intention. Neben der Frage, was genau den Korrespondenten dazu trieb, derartig sinnfreie Überlegungen anzustellen, dränge sich der Verdacht auf, dass innerhalb der Nachrichtengebung der ARD Stimmung gemacht, Ursachen vernebelt und Wahrheiten verdreht würden. Aus welchem Grund Syriens Präsident Assad die Ausreise seiner Bürger »forcieren« sollte und worin genau dieses Antreiben zur Ausreise bestehen könnte, werde an keiner Stelle des Beitrages deutlich. Neben diesen und anderen förmlichen Beschwerden hat die »Publikumskonferenz« über einen Monat lang auf der Grundlage der Programmrichtlinien des NDR-Staatsvertrages die Russlandberichterstattung der ARD umfassend untersucht und ist zu dem Schluss gekommen, dass einseitige und vielmals tatsachenwidrige Nachrichten mit russophober Gesamtausrichtung die Berichterstattung bestimmen. Eine Einhaltung der staatsvertraglichen Verpflichtung zu Völkerverständigung, Objektivität und Wahrheit sei nicht zu erkennen. In fast allen eingereichten Programmbeschwerden gegenüber der ARD sei festzustellen, dass die Programmverantwortlichen (Rundfunkrat und Intendant) keinen Anlass zur Selbstkritik gesehen hätten. Selbst als der ARD-Programmbeirat Mitte 2014 Mängel und Unzulänglichkeiten der Berichterstattung über Russland und die Ukraine – wegen Voreingenommenheit, unzureichender Differenzierung und antirussischen Tendenzen – scharf kritisierte, seien weder Einsicht noch Änderungen erkennbar gewesen. Beschwerden wegen der tendenziösen und nicht selten verlogenen Berichterstattung gibt es zuhauf. Trotz aller, ach so demokratischen Beteuerungen ändert sich nichts. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten informieren nicht einmal in ihren Sendungen über die Programmbeschwerden, von ihren Antworten an die Beschwerdeführer ganz zu schweigen. Was soll‘s? In all diesen und in nicht wenigen anderen Fällen bei ARD wie gleichermaßen auch bei ZDF handelt es sich doch nur um verzeihliche Ausrutscher und Patzer, kleine Fauxpas und Schönheitsfehler, allzu verständliche Fehlgriffe und Irrtümer. Ansonsten ist die der Meinungsbildung dienende Berichterstattung beider Fernsehanstalten doch tadellos, wie gesagt, »ausgewogen, unparteilich, objektiv, sachlich, unabhängig und fair«. Dafür ein großes Dankeschön, aus tiefstem Herzen!
Erschienen in Ossietzky 25/2015 |
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