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Seit 25 Jahren haben sie uns darauf vorbereitet, dass wir Deutschen »Verantwortung übernehmen müssen« (noch schlimmer: »wieder Verantwortung übernehmen müssen« oder »wieder normal werden müssen«), mit Waffengewalt, weltweit. Müssen ist das Lieblingswort der Bellizisten, es gemahnt an eine höhere Macht, der sie allerlei Namen geben: unsere westlichen Werte, unsere Ordnung, unsere Freiheit, das Bündnis, die uneingeschränkte Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie wollen, dass wir uns an den Kriegen der USA beteiligen. Das Völkerrecht verbietet es. Darum klagen die Kriegspropagandisten über Menschenrechtsverletzungen, denen wir nicht untätig zusehen dürften. Menschenrecht contra Völkerrecht – eine alte Masche. Schon 1939 vor dem Überfall auf Polen machte Joseph Goebbels polnische Menschenrechtsverletzungen geltend, um die Deutschen in den Weltkrieg zu hetzen. Nach dem Weltkrieg hätte ein Friedensvertrag geschlossen werden müssen (wie mit Österreich). Darin wäre zu regeln gewesen, ob beziehungsweise in welchem Maße das besiegte Land wieder Truppen hätte aufstellen dürfen und zu welchen Zwecken sie hätten eingesetzt werden dürfen. Adenauer-Globke-Deutschland mit seinen US-amerikanischen Komplizen verhinderte es. Immerhin kam 1975 in Helsinki der Vertrag über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE-Schlussakte) zustande. Auf der Grundlage von nationaler Souveränität, territorialer Integrität und Verbot der Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten einigte man sich auch über menschenrechtliche Prinzipien. Für jedes europäische Land sollten gleiche Rechte und Pflichten gelten. Ich empfand diesen Vertragsschluss (ein damals immer wieder veröffentlichtes Foto zeigte US-Präsident Gerald Ford mit Helmut Schmidt und Erich Honecker) als große Erleichterung, zumal Franz Josef Strauß dagegen ähnlich stänkerte wie gegen den Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. Der Kalte Krieg ging freilich weiter (s. 1973 in Chile und 1980 in Polen). Nachdem 1989/90 die DDR in der BRD beerdigt worden war, ergriff ich gemeinsam mit zwei befreundeten sozialdemokratischen Abgeordneten, Lenelotte von Bothmer und Werner Holtfort, die Initiative zu einer Unterschriftensammlung. In dem »Hannoverschen Appell« argumentierten wir unter anderem: Die Sowjetunion unter Präsident Michail Gorbatschow habe sich längst »von der Blockkonfrontation in Europa verabschiedet. Noch nie in über tausendjähriger Geschichte war unsere äußere Sicherheit so wenig von Feinden bedroht wie jetzt.« Wer wie Bundeskanzler Helmut Kohl »neues ›Bedrohungsbewusstsein‹ erzeugen will, muss aber zunächst erklären, warum der Westen die potentiellen Feinde, zum Beispiel im vorderen Orient und in Afrika, immer noch mit modernsten Waffen aufrüstet und dadurch Verschuldung und Verarmung dieser Länder verursacht. Entwurzelte Menschenmassen aus der Dritten Welt sind auf der Flucht vor Hunger, Folter, Massensterben. Braucht man Panzer und Raketen, um sie aufzuhalten?« Unter dem Text, den ich nach einem Vierteljahrhundert nicht umformulieren müsste, versammelten sich als Erstunterzeichner Christoph Butterwegge, Bernt Engelmann, Helmut Gollwitzer, Heinrich Hannover, Heidrun Hegewald, Stephan Hermlin, Martin Hirsch, Walter Jens, Dietrich Kittner, Monika und Otto Köhler, Dietrich Lattmann, Luise Rinser, Klaus Staeck, Gerhard Steidl, Jürgen Trittin, Günter Wallraff und andere. Aus der SPD kam nur wenig Echo, aus der CDU wurden wir mit Beschimpfungen beehrt, die meiste Zustimmung erhielten wir damals aus der Partei der Grünen; die Rüstungsausgaben und die Waffenexporte in Spannungsgebiete wurden weiter erhöht, die Vorbedingungen für Auslandseinsätze herabgesetzt: Zeitweilig hieß es, die Bundeswehr dürfe nur mit Blauhelmen ausrücken, dann: niemals ohne Genehmigung der UNO, und dann: sie dürfe nicht in Gebiete einrücken in denen die Nazi-Wehrmacht gewütet hatte. Kaum waren solche Vorbedingungen formuliert, entschwanden sie. Enge politische, geheimdienstliche oder militärische Beziehungen bestanden zu alten faschistischen Regimen wie in Spanien und Portugal oder entwickelten sich mit Regimen, wie sie in der Türkei, Saudi-Arabien, Marokko oder Katar, Kroatien oder Kosovo entstanden, oder auch mit lateinamerikanischen Diktaturen, dienten dem Geschäft und auch US-amerikanischen Strategien. Seit dem NATO-Bombenkrieg gegen Jugoslawien 1999 steht die Bundeswehr in Kosovo, wo unter ihrer Aufsicht alte serbische Siedlungsgebiete »serbenfrei« gemacht wurden. Im Jahre 2015 verbreiterte sich der Flüchtlingsstrom aus Kosovo. Dass sich in solchen Mini-Staaten wie Kosovo oder gar Montenegro die Lebensbedingungen verschlechtern würden, war von vornherein abzusehen gewesen. Aber die Bundesregierung in Berlin bezeichnet Kosovo wie den ganzen westlichen Balkan als sicheres Herkunftsgebiet – so sicher, dass die Bundeswehr dort stationiert bleiben muss. In anderen, weitaus größeren Nahost-Ländern haben die US- und NATO-Krieger mit deutscher Unterstützung immenses Elend angerichtet. Viele Millionen Menschen sind auf der Flucht. US-Präsident George Bush der Ältere nannte die USA und Deutschland »partners in leadership«. Führerschaft – mit solchen Wörtern war man in der Bundesrepublik bis 1989 behutsam umgegangen. Aber als Deutschland Exportweltmeister geworden war – der Titel ist inzwischen nach China gewandert – wuchs im Führungspersonal der Übermut. So wie sich Außenminister Hans-Dietrich Genscher bei der Abtrennung Sloweniens und Kroatiens von Jugoslawien über Warnungen der UNO hinwegsetzte, so missachtete 1999 die rot-grüne Bundesregierung die präzisen Berichte ihres Vertreters bei der OSZE und verbreitete stattdessen die scheußlichsten Lügen, um die Bombardierung Serbiens zu rechtfertigen. Für den Syrien-Krieg, an dem sich Deutschland nun beteiligt, gibt es kein UN-Mandat. Auch liegt keine Bitte der Regierung in Damaskus um militärischen Beistand Deutschlands vor. Wenn die zuständige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen Zusammenarbeit mit der rechtmäßigen syrischen Regierung ausschließt, dann ist der Einsatz der Bundeswehr in syrischem Hoheitsgebiet eine Aggression. Völkerrechtswidrig. Während Russland, das seit langem Stützpunkte in Syrien unterhält, der Bitte von Präsident Assad um Beistand gegen den »Islamischen Staat« folgt, strebt Washington den Sturz Assads an – krass gegen das Einmischungsverbot der KSZE-Schlussakte – und kann schwerlich erwarten, dass Assad dem Mordkommando den Zugang öffnet.
Erschienen in Ossietzky 25/2015 |
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