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Auch die leitenden Kader, welche man, da alle im gleichen Mao-Look gekleidet waren, nur an der Zahl ihrer Kugelschreiber in der Brusttasche erkennen konnte, schienen verunsichert. Dass China kein reiches Land war, konnte man überall sehen. Äußere Zeichen von Reichtum waren nicht zu erkennen, Autos hatten nur Funktionäre, das Haupttransportmittel war das Fahrrad, davon gab es unzählige. In ganz Peking waren nur drei Hochhäuser auszumachen. 38 Jahre später nach neun Stunden Flug Landung in Chengdu. (Die letzte Reise von Berlin nach Peking mit dem Zug hatte acht Tage gedauert.) Die Stadt im Südwesten ist mit 14 Millionen Einwohnern die viertgrößte Metropole der Volksrepublik. Im Ausland ist sie vor allem durch ihren Panda-Park bekannt, wo man sich um den Erhalt dieser vom Aussterben bedrohten Bärenart kümmert. Aber Chengdu ist auch eine jener Städte, die durch ein Regierungsprogramm viele westliche Firmen angelockt haben. Alle Weltkonzerne sind hier mit imposanten Gebäuden vertreten, aber auch chinesische Spitzenindustrie ist hier angesiedelt. Der kapitalistische Wachstumswahn, der hier zurzeit bei »nur« sieben Prozent liegt, manifestiert sich in einer ungebremsten Bauwut, in unzähligen Hochhäusern mit 40 Stockwerken und mehr, in umfangreichen Infrastrukturprojekten. Sinnbild des in Beton gegossenen Größenwahns ist das New Century Global Center. Das größte Gebäude der Welt beherbergt neben vielen Luxusläden Sportanlagen, Hotels und Restaurants. Meine Gastgeber wohnen in Luxehills. Das ist eines jener abgegrenzten Wohngebiete für wohlhabende Chinesen und Ausländer, eine »gated community«, Wachposten kontrollieren die Zufahrten. Die Siedlung ist im italienischen Stil gebaut mit viel Grün und Golfplätzen. Auch das »Dorfzentrum« scheint eine Kopie aus der Toskana zu sein, selbst eine Art Kirche steht am Dorfplatz, allerdings ohne Inhalt. Viele der Prachtvillen stehen leer, es sind lediglich Spekulationsobjekte, deren Besitzer irgendwo auf der Welt auf einen Preisanstieg warten. Das Auge gewöhnt sich schnell an die vielen Luxuslimousinen. Manchmal werden vor dem Supermarkt neue Modelle präsentiert, auch ein Hubschrauber wurde schon angeboten. Das größte Privileg der hier Wohnenden ist jedoch die Stille. Hinter dem Schlagbaum am Wachhäuschen bleibt der Lärm der Großstadt zurück, nur ein paar Vögel zwitschern zwischen Bambus und Ginkgobäumen. Die Stadt ist laut. Das liegt weniger an den vielen Autos, deren wichtigstes Bauteil die Hupe ist, sondern an der akustischen Produktwerbung, auf welche kein noch so kleines Geschäft verzichten will. Vor vielen Läden stehen Marktschreierinnen, oft mit Mikrophon, um Kunden anzulocken. Noch heftiger geht es in den Kaufhäusern zu. Auf jeder Etage gibt es Hostessen, die zum Kauf der vielen meist ausländischen Edelmarken animieren. Ohrenbetäubend geht es in der Lebensmittelabteilung zu. Hier sind es vor allem die Kunden, die sich bei den Sonderangeboten drängeln und die ständigen Durchsagen übertönen. Angenehm auffallend in all diesem Lärm sind die unzähligen Motorroller und Mopeds auf den Straßen, die fast alle auf Elektroantrieb umgerüstet wurden. Es ist ein bescheidener Beitrag zur Eindämmung der starken Luftverschmutzung, den man sich auch für europäische Metropolen wünscht. Die Stadt ist grün. Es wird offensichtlich viel Geld ausgegeben, um selbst in den Hochhausgebirgen etwas Natur zu implantieren. Der Begriff ist wörtlich zu nehmen, denn fast alle Bäume haben Stahlstützen, da sie im ausgewachsenen Zustand gepflanzt werden und durch den Transport eines Teils ihrer Wurzeln beraubt wurden. Wenn die Pflanze dennoch schwächelt, hängt sie buchstäblich am Tropf, im Ast hängt ein Beutel und die Injektionsnadel steckt in der Rinde. Auf den Mittelstreifen der Straßen sieht man Rasen und Blumenrabatten. Von älteren Brücken hängen wilde efeuartige Gewächse nach unten, der hohen Luftfeuchtigkeit und dem milden Klima geschuldet. Neben dem weitläufigen Panda-Park im Norden gibt es im Zentrum mehrere Parks mit üppiger Vegetation. Am bekanntesten ist der Volkspark, der keinen Eintritt kostet und bei Teetrinkern und Kartenspielern beliebt ist. Die Stadt ist reich. Jedenfalls auf den ersten Blick. Die zum Teil skurrilen, teils kitschigen Hochhäuser in der Innenstadt, meist Firmengebäude, die großzügigen Straßen, die ultramoderne U-Bahn, die vielen Luxusgeschäfte zeigen, dass es an Geld nicht fehlt. In China hat sich offensichtlich neben den Superreichen eine kaufkräftige Mittelschicht entwickelt, die in einen unbändigen Konsumrausch verfallen ist. Dabei ist man vor allem auf Westprodukte fixiert, was so weit geht, dass sich chinesische Firmen deshalb ausländische Namen geben. Auf den riesigen Werbeflächen sind die Protagonisten meist »Langnasen«, vermutlich, weil asiatische Gesichter nicht westliche Lebensart ausstrahlen. Vieles lässt an das Europa der vorletzten Jahrhundertwende denken, an Gründerzeit und Frühkapitalismus. Geld ist der Maßstab aller Dinge, Kaufen und Verkaufen, irgendwie reich werden, die Scheine mit dem Mao-Portrait sind Fetisch und Verheißung zugleich. Auf dem Kofferraum eines nagelneuen Mittelklassewagens hat es jemand auf den Punkt geklebt: »Money, money, come to me!« Das Land, das immer noch von einer kommunistischen Partei regiert wird und das offiziell immer noch den Sozialismus anstrebt, ist eine Klassengesellschaft. Die Armen, einst von Mao zur herrschenden Klasse ernannt, haben nicht mehr viel zu sagen. Wenn man sich nicht von der neofeudalen Pracht blenden lässt, kann man sie bemerken. Bettler sieht man nicht, vielleicht ist das auch verboten, aber in den Restaurants halten manchmal alte Frauen verschämt die Hand auf. Wenn man nah genug an die halbfertigen Wolkenkratzer kommt, sieht man auch jene rechtlosen Wanderarbeiter, die im ganzen Land jene Häuser hochziehen, in denen sie niemals wohnen werden und die das Symbol für Chinas Wirtschaftswunder sind. Die Wanderarbeiter stehen um die dreirädrigen Garküchen, die sie mit billigem Essen versorgen, eine kurze Mittagspause. Man nimmt die vielen Kleinverkäufer wahr, die an Straßenecken und auf Fußgängerbrücken alles anbieten, was verkäuflich ist, von Feigen über billiges Kinderspielzeug bis zum Selfie-Halter für das allgegenwärtige Smartphone. Selbstverständlich gibt es auch die unzähligen dienstbaren Geister: Chauffeure, Türsteher, Wachleute, Putzkräfte und vor allem Straßenfeger. Es scheint, als wolle der Staat mit diesen zahlreichen Niedriglohnjobs das soziale Gefälle etwas mildern. Sie ließen sich leicht, zumal in diesem technikbesessenen Land, durch Automaten oder Maschinen ersetzen. Und Mao Zedong? Die Chinesen lieben ihn, weil sie das Geld lieben: Auf allen Geldscheinen ab 1 Yuan ist sein Konterfei abgebildet. In Chengdu gibt es vor der technischen Universität noch eine Statue des Staatsgründers. Auf dem Antikmarkt findet man zwischen Buddha-Statuen und Nippes manchmal auch eine Mao-Büste. Für Nostalgiker gibt es an einigen Ständen Portraits und Mao-Bibeln. An Orten, die er in Chengdu besucht hat, ist eine Plakette angebracht, ein Fotomotiv für Touristen aus der Provinz. Rote Fahnen? Eine der zahlreichen Supermarktketten (Hongqi) trägt diesen Namen, auch jene Hilfskräfte, die die Fußgängermassen bei grün über die Kreuzung lotsen sollen, haben neben der Trillerpfeife eine rote Fahne in der Hand. Und wenn auf einem unbebauten Grundstück ein Meer von roten Fahnen weht, ist das keine Revolution, sondern eine Verkaufsveranstaltung für Interessenten von Eigentumswohnungen, die hier demnächst hochgezogen werden. Bleibt die Frage, wie lange dieser von Deng Xiaoping initiierte kapitalistische Rausch noch anhält. Der Nachholbedarf ist groß. Aber auch der Unmut derer, die nicht über die Rauschmittel verfügen. In den Akkordhöllen an der Küste gab es schon Streiks, Arbeiter stürzten sich von Hochhäusern. Dazu kommt die allgegenwärtige Korruption, die Rechtlosigkeit. In der Geschichte endeten solche Entwicklungen oft mit Revolution oder Krieg.
Erschienen in Ossietzky 24/2015 |
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