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Der Prozess der Heiligsprechung kann Jahre, ja Jahrzehnte dauern, bisweilen aber läuft er ab wie am Fließband, so zur Zeit des polnischen Papstes Johannes Paul II. Er schaffte es, während seines Pontifikats (1978 bis 2005) 1338 Personen selig und 482 heilig zu sprechen, an manchen Tagen über 100 auf einen Streich. Heilige sollen vorbildliche Menschen gewesen sein, die ein Wunder bewirkten oder als Märtyrer starben. Wenn sie einmal heiliggesprochen sind, kann ihnen ihre Heiligkeit nicht mehr genommen werden, selbst dann nicht, wenn schlimme Verfehlungen aus ihren Erdentagen bekannt werden – die himmlische Gesellschaft wird sie dennoch für Zeit und Ewigkeit ertragen müssen. Seit dem 23. September gibt es einen neuen Heiligen: Junípero Serra. Seine Seligsprechung hatte noch Papst Johannes Paul II. 1988 vorgenommen, nachdem verbreitet wurde, dass der 1784 Gestorbene ein angebliches Heilungswunder aus dem Jenseits bewirkt habe. Seine Heiligsprechung durch Papst Franziskus, der sich zuvor zu ausführlichen Gesprächen mit dem US-Präsidenten Barack Obama getroffen hatte, geschah in der Basilika der Unbefleckten Empfängnis in Washington, dem Nationalheiligtum der USA, das »Maria, der Patronin der USA« gewidmet ist. Ganz in der Nähe, in der Ehrenhalle des Capitols, in der jeder Bundesstaat der USA mit zwei Statuen vertreten ist, steht ohnehin schon seit langem – für den Staat Kalifornien – eine Statue mit der Büste des Franziskanerpaters Serra. Wer hier geehrt wird, gilt als ein »Held der amerikanischen Nation«. Serra habe, so heißt es, mit großer christlicher Freude und unermüdlichem Eifer aus dem Evangelium die Christianisierung des Westens durchgeführt und sei dabei zum Gründer der Städte San Diego, San Francisco und Los Angeles geworden. Seit seiner Seligsprechung 1988 ist allerdings noch einiges mehr über ihn öffentlich bekannt geworden: 1713 in der kleinen Stadt Petra auf Mallorca geboren, wo nun viele Häuser mit seinem Bildnis geschmückt sind, schloss Serra sich 1730 dem Franziskanerorden an. 1769 ging er in die »neue Welt«, um »Amerika zu missionieren«, zunächst nach Mexiko, wo er als Kommissar der Inquisition für Hexenprozesse zuständig war, dann in das Gebiet des heutigen Kaliforniens mit dem Auftrag, hier die Indianer zu christianisieren, und das hieß, die Ureinwohner von ihrem Grund und Boden zu vertreiben, ihre »heidnische Kultur« zu vernichten und jenes Gebiet dem mexikanischen »Vizekönigreich Neuspanien« einzuverleiben. Dazu entwickelte Serra ein Konzept, wonach »Missionsstationen« errichtet wurden, in denen die Ureinwohner nach ihrer Zwangstaufe gefangen gehalten und zur Sklavenarbeit gezwungen wurden. Wer die »Station« verließ, wurde von Soldaten, die die Missionare begleiteten, mit Gewalt zurückgebracht und brutal bestraft, zum Beispiel ausgepeitscht. Während 1769 in Kalifornien 300.000 Ureinwohner lebten, waren es 100 Jahre später mit Hilfe jenes Missionsplanes, den Serra entwickelt hatte, und durch die Seuchen, die die Eindringlinge eingeschleppt hatten, nur noch 50.000. Das alles wurde seit 2013 in mehreren Briefen dem Papst von den Stammesältesten der überlebenden Ureinwohner mitgeteilt und durch einen Artikel in der New York Times vom 21. Januar 2015 USA-weit bekannt gemacht. Es schien nun, als wolle Papst Franziskus endgültig zu seinem Vorgänger, Papst Benedikt XVI., auf Abstand gehen, der 2007 die Weltöffentlichkeit pastoralfrech angelogen hatte, indem er laut Pressebericht behauptete, das Christentum sei den Urvölkern Lateinamerikas nicht auferlegt worden. Vielmehr sei Christus der Retter gewesen, den sich die Indianer im Stillen herbeigewünscht hätten (Hamburger Abendblatt, 16.5.2007). Im Juli 2015 bat der neue Papst »demütig um Vergebung, nicht nur für die Vergehen der Kirche an sich, sondern auch für Straftaten, die gegen die einheimischen Völker während der sogenannten Eroberung von Amerika verübt wurden« (zit. nach NZZ, 10.7.2015). Dann allerdings, an jenem dunklen 23. September 2015, fand der neue Papst zu seinem Vorgänger zurück. In seiner Predigt zur Heiligsprechung jenes Mannes, der des Völkermordes hätte angeklagt werden müssen, heißt es: »Heute gedenken wir eines dieser Zeugen, der in diesem Land die Freude des Evangeliums bekundet hat, Bruder Junípero Serra. Er verkörpert die ›Kirche im Aufbruch‹, diese Kirche, die herauszugehen und die Wege zu beschreiten weiß, um die versöhnliche Zärtlichkeit Gottes allen mitzuteilen ... Junípero suchte die Würde der Gemeinschaft der Ureinwohner zu verteidigen ... Das war die Form, die Junípero fand, um die Freude des Evangeliums zu leben ...« (www.w2.vatican.va) Junípero, so möchte ich die Papstrede ergänzen, ist nun in das Heer der Heiligen aufgenommen. Da trifft er mit vielen, vielen anderen »Heiligen« seiner Art zusammen, etwa mit dem Heiligen Robert Bellarmin, der als Großinquisitor im Jahre 1600 den Prozess gegen Giordano Bruno führte und als vorbildlicher Kirchenlehrer der Nachwelt zeigte, wie man Menschen verbrennt, die nicht mehr daran glauben wollen, dass die Welt eine Scheibe ist. Und er trifft sicherlich auch gern mit dem Gründer des Opus Dei zusammen, mit Josemaría Escrivá, der die Diktatoren Franco und Pinochet geschätzt zu haben scheint und entsprechend auch den Sturz von Salvador Allende als »nötiges Blutvergießen« bezeichnete (zit. nach Wikipedia). Der kritische Zeitgenosse auf Erden kann nach der Heiligsprechung Serras dem Wort etwas abgewinnen, das der französische Aufklärungsphilosoph Claude Adrien Helvétius (1715–1771), ein Zeitgenosse Serras, in Bezug auf das Heer der Heiligen gesprochen hatte: »Wenn man ihre Heiligenlegende liest, findet man die Namen von tausend heilig gesprochenen Verbrechern.«
Erschienen in Ossietzky 24/2015 |
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