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Ohne große Recherchen, doch mit Blicken in einige Schauspielführer und Theaterlexika fallen mir deutschsprachig auf: Gertrud Kolmar (ohne Bühnenerfolg, auch die nach ihrer Ermordung 1943 spät erfolgte Edition von 2005 änderte nichts), Else Lasker-Schüler (ebenfalls mit geringem Bühnenerfolg), Hedda Zinner (dasselbe); Marieluise Fleißer (nach ihrer Verfolgung in der Zeit des Faschismus gab es im Nachkriegsdeutschland einige Inszenierungen mit bescheidener Wirkungsgeschichte); neuerdings Elfriede Jelinek, die freilich fast alle Genres bedient und bei den Autorentheatertagen 2015 durch ein Wiener Burgtheater-Gastspiel mit »Die Schutzbefohlenen« einen Erfolg verbuchen konnte); und außerhalb: im Polnischen Gabriela Zapolska, im Englischen Shelagh Delanay, auch von einer bislang wenig bekannten Lesja Ukrajinka habe ich etwas vernommen – und schon verließen sie mich. Auffällig macht seit einiger Zeit Dea Loher von sich reden – ich denke an Stücke wie »Land ohne Worte« und »Das letzte Feuer« – und im Januar 2015 gab es eine Uraufführung von »Gaunerstück« in den Kammerspielen, inszeniert von Alize Zandwijk, Dramaturgie John von Düffel, eine Koproduktion mit dem Ro Theater Rotterdam, eine eher sorgfältige Arbeit: ein Stück mit einer Fabel in einer Mischung von anrüchigem Milieu und biblischer Sphäre. So heißen die stücktragenden Zwillinge von freilich verwahrlosten Eltern Jesus und Jesus Maria. Ihre Nachbarn sind unter anderem eine Transsexuelle, die sich als Wahrsagerin ausgibt und ausgerechnet noch Bonafide heißt; und ein Porno-Otto, der von Sexfilmchen lebt. Und was machen die beiden nachbiblischen Schelme – nur vom Wunder träumen? Sie stellen über dieses Stück die ewige Frage nach dem Glück. Und sie brauchen ein Wunder, und es kommt, wie im Märchen – der Wundermann heißt wirklich Wunder. Das Stück scheint es auch zu sein – da ist viel Kunst drin, Genrekenntnis, eine dramaturgisch überzeugende Fabel – da können sich die Schauspieler, etwa Miquel de Jong und Elias Arens wohlfühlen. Regisseurin Alize Zandwijk hat gute ganze Arbeit geleistet. Die Autorentheatertage 2015 waren nur äußerst begrenzt wahrzunehmen, aus »Erschöpfung« nach einer langen Spielzeit. Und daher war mir der Titel eines Stücks von Sascha Hargesheimer von Beginn an sympathisch: »Archiv der Erschöpfung«. Ist er doch eine Metapher für den Zustand der Gesellschaft. Gespiegelt am Zustand einer Stadt, sogar einer kleinen, in der alles mehr oder weniger zerbröselt. Es riecht, schmeckt, hört sich an nach »Kaputtalismus«. Die handelnden Personen sind alle ziemlich angeschlagen, auch der zurückkehrende Autor namens Anders (Selbstbild von H.?) wirkt zunächst hilflos, doch auch aufmerksam. Er nimmt die Ortschaft wahr, zerschunden vom Erdgas-Bohren und von aufgegebenen Fabriken, denen sich die herumlungernden und saufenden Bewohner angepasst haben – oder war es umgekehrt? Und Anders selbst kommt mit seinem umfangreichen Material auch nicht mehr zurecht. Wie inszeniert man das? Ich denke, mit einem klugen realistischen Blick, genau und sorgsam, Personen nicht denunzierend, eher subtil ironisierend so wie das einst Wolfgang Heinz oder Adolf Dresen gemacht haben. Friederike Hellers schrille Art, hastiges Tempo, clowneske Personenformung taten dem Stück Abbruch – ein anderes Spiel hätte vor allem den Schauspielern Lisa Hrdina und Almut Zilcher oder Felix Goeser und Daniel Hoevels besser getan – und dies wiederum dem Stück und seinem tiefdeutigen Anliegen. Eine andere Uraufführung aus demselben Anlass galt dem Stück »Der neue Himmel« von Jakob Nolte und Michel Decar, die Nolte Decar genannt sein wollen. Vom Inhalt genau entgegengesetzt: Dort war die kleine Stadt das Modell für Welt beziehungsweise Erde. Das suggeriert freilich eher die Aufführung als das Stück selbst, genauer: Der Szenograf Matthias Nebel ließ eine Wand hinstellen, die unseren Erdball von der Antarktis über Flächen Lateinamerikas, Kaschmirs, Afrika bis Alaska kennzeichnet oder wenigstens skizziert. Also unsere »Welt« – geografisch – zunächst. Dann wird die von einem Wesen dieser gigantisch-militärischen Zwergenwelt – einer »Alberich-Welt« eben – verwaltet, und das Zentrum ist ein »Medium«, doch dieses heißt Drohne. Da wollte einer mit Gewalt einen Stoff-Klumpen heben, der noch völlig unbearbeitet, weil so neu ist – und hat sich verhoben. Zwar hatten es die Autoren und mit ihnen der Regisseur Sebastian Kreyer (neben Nebel, s.o.) mit allen möglichen, gerade so gängigen Kunstmitteln versucht, Kriminaltechniken, Action- oder Gangsterfilm-Art, doch passte nichts zusammen – da kann man gleich bei RTL einschlafen, wobei man des Lärms wegen Ohrstöpsel oder Tabletten benötigt. Das nun ausgerechnet vom Schauspielhaus Zürich, was eine so große Theatergeschichte hatte. Im Oktober erschien von Jochanan Trilse-Finkelstein das Buch »Ich hoff, die Menschheit schafft es. Peter Hacks – Leben und Werk«, Araki Verlag, 652 Seiten, 48 €.
Erschienen in Ossietzky 23/2015 |
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