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Ihr Vater hatte in Halle medizinische Vorlesungen gehört, an der Erfurter Universität zum Doktor der Medizin promoviert und praktizierte in dem Harzstädtchen. Seinen vier Kindern ließ er eine gute private Ausbildung zukommen. So erhielt Dorothea, die in ihrer Kindheit oft kränklich war, häuslichen Unterricht durch den Vater. Darüber hinaus durfte sie dem Unterricht ihres jüngeren Bruders beiwohnen. Vor allem der Rektor und Konrektor des Quedlinburger Gymnasiums widmeten sich dem wissbegierigen und fleißigen Mädchen. So interessierte sie sich sehr für Naturwissenschaften und erwarb außergewöhnliche Lateinkenntnisse. Dorothea und ihr Bruder durften den Vater oft bei seinen Krankenbesuchen begleiten und bei den Behandlungen assistieren. Während Dorotheas Bruder nach einigen Umwegen das Medizinstudium aufnehmen konnte, blieb ihr der Besuch der Universität trotz umfangreicher anatomischer und medizinischer Kenntnisse verwehrt. Frauen waren im 18. Jahrhundert nicht zugelassen, und so konnte sie kein medizinisches Examen ablegen. Erbost über ihre Ablehnung legte sie ihre Gedanken über die Frage des Frauenstudiums in der kritischen Schrift »Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten« nieder, die für einige Unruhe in akademischen Kreisen sorgte. Als der feingeistige Friedrich II. nach dem Tod seines Vaters den preußischen Thron bestieg, stellte die 25jährige Dorothea selbstbewusst an den jungen Preußenkönig ein Bittgesuch, in dem sie ihn bat, ihr die Promotion zu ermöglichen. Daraufhin wies im April 1741 Friedrich II. die medizinische Fakultät in Halle/Saale an, ihr bei einer Promotion keine Schwierigkeiten zu bereiten. Aber durch die Heirat 1742 mit dem verwitweten Diakon Johann Christian Erxleben (1697–1759) verzögerte sich das Medizinstudium. Ihr Ehemann brachte fünf Kinder mit in die Ehe, dazu kamen in den folgenden zwölf Jahren noch vier gemeinsame Kinder. Trotz des großen Haushaltes und der Pflege ihres später kranken Mannes übernahm Dorothea 1747 die Praxis ihres Vaters in Quedlinburg. Ihre erfolgreiche Praxistätigkeit erregte aber die Missgunst zahlreicher Kollegen; nach einem Todesfall wurde sie der »medicinischen Pfuscherey« beschuldigt und angezeigt. Jetzt entschloss sie sich endlich, die königliche Sondergenehmigung zu nutzen. Ihre Promotionsarbeit verfasste sie in lateinischer Sprache – hochschwanger mit dem vierten Kind. Am 6. Mai 1754 legte sie ihre Promotionsprüfung ab, die den ungeteilten Beifall der Professoren fand. Der Dekan schrieb später, sie habe über zwei Stunden alle Fragen »mit solcher gründlichen Accuratesse und modesten Beredtsamkeit« beantwortet wie nur wenige andere Kandidaten. Einen Monat später wurde sie feierlich zum »Doktor der Arzeneygelahrtheit« erklärt. Dorothea Erxleben hatte es geschafft, quasi »aus dem Wochen Bette unter den Doctor Huth«. Nun durfte sie ohne Einschränkung praktizieren, und das tat sie bis zu ihrem Tode in Quedlinburg, wo sie hoch angesehen im Alter von 46 Jahren am 13. Juni 1762 an einer Infektion starb. In der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte Dorothea Erxleben etwas erreicht, was noch keine Frau in Deutschland vor ihr gewagt hatte: Sie hatte an einer Universität studiert und promoviert. Wie einzigartig ihre Leistung war, beweist die Tatsache, dass sie für rund 150 Jahre die einzige in Preußen promovierte Medizinerin blieb. Erst im Wintersemester 1908/09 wurden an den preußischen Universitäten Medizinstudentinnen zugelassen. Gut einhundert Jahre später nehmen in Deutschland mehr Frauen als Männer ein Medizinstudium auf: Heute liegt der Frauenanteil bei etwa sechzig Prozent. Dorothea Erxleben als frühe Frauenrechtlerin zu sehen wäre übertrieben, rüttelte sie selbst doch nicht an der bis dahin untergeordneten Rolle der Frau. Trotzdem hat sie Medizin-, Universitäts- und vor allem Geschlechtergeschichte geschrieben und ist damit Vorbild für viele Frauen (aber auch Männer) geworden. Vielleicht war sie ein frühes Beispiel für eine Karrierefrau mit Kindern.
Erschienen in Ossietzky 23/2015 |
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