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In einer sogenannten Handlungsempfehlung mit dem Titel »Fachkräftemangel bekämpfen – Wettbewerbsfähigkeit sichern« rät und fordert der Bundesverband der Arbeitgeber (BDA), das Arbeitszeitgesetz zu revidieren. Statt des geltenden 8-Stunden-Tages sei eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festzulegen – nach geltendem Gesetz könnten das 60 Stunden sein. Ähnlich äußert sich der Verband in einem kurz zuvor veröffentlichten Positionspapier »Chancen der Digitalisierung nutzen«. Angesichts überlanger Arbeitszeiten, ausufernder Samstags- und Sonntagsarbeit und zunehmender Nachtarbeit ist die Forderung der Arbeitgeber »absurd, dumm und töricht« (Helmut Kohl zur 35-Stunden-Woche). Eine Verlängerung der Arbeitszeit würde dem Abbau der Erwerbslosigkeit massiv entgegenwirken. Die gesundheitlichen Belastungen durch überlange Arbeit haben bereits heute nachweislich negative Folgen. Arbeitszeiten schon über sechs Stunden senken die Stunden-Produktivität und führen zu mehr Unfällen. Schwere Arbeit, wie sie zum Beispiel in der Pflege geleistet werden muss, zehrt am Körper – und zwar täglich! Die Einbeziehung weiterer Bevölkerungsgruppen in die Vollerwerbsarbeit erfordert eine gerechte Umverteilung der Arbeit. Nur so lässt sich auch das Problem mangelnder Fachkräfte lösen, weil Fach-Frauen weniger als Fach-Männer bereit sind, der Langzeit-Arbeits-Kultur zu frönen. »Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens zur weiteren Verkürzung und zur fairen Verteilung der Arbeitszeit. Dem wollen die Arbeitgeber und ihre Lobby offensichtlich entgegenwirken, indem sie zum Sturm auf die … sozialpolitische, ökonomische und kulturelle Errungenschaft des 8-Stunden-Tages in Deutschland blasen«, stellt die Attac-AG ArbeitFairTeilen treffend fest. Es gibt einige wichtige Initiativen zur Verkürzung der Arbeitszeit: Ver.di beschloss beim Gewerkschaftstag im September, die »kurze Vollzeit mit vollem Lohn- und Personalausgleich« auf die gesellschaftliche Tagesordnung zu setzen. Die Initiative der Bundesfamilienministerin zur 32-Stunden-Woche für junge Eltern und die Beschlusslagen von SPD, Die Linke und Grünen sind weitere wichtige Punkte. Konkrete Beispiele der Arbeitszeitverkürzung in Frankreich und Schweden könnten dafür inspirierend sein, wenn sie denn wahrgenommen würden. Jeden Tag zwei Stunden mehr Freizeit – in einigen Unternehmen in Skandinavien wird das bereits praktiziert. Die Zufriedenheit von Beschäftigten und Kunden hat sich wie in Frankreich messbar erhöht. Inspirierend sind auch die Veröffentlichungen von Mohssen Massarrat und Heinz-J. Bontrup zur 30-Stunden-Woche (siehe Ossietzky-Sonderdruck »Manifest zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit«), der Entwurf eines »Gesetzes zur Beschäftigungsförderung durch Arbeitsumverteilung« des Bremer Forums für Arbeit und die deutliche Position der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger: Sie fordert eine 32-Stunden-Woche für alle. Mit ihr hätten Männer und Frauen nicht nur mehr Zeit für Familie und Privatleben, es würde auch der Teilzeitnachteil vieler Frauen eingeebnet. Die Zuwanderung in Deutschland soll missbraucht werden für die Absenkung sozialer Standards. Viele der Menschen, die jetzt nach Deutschland fliehen, sind gut ausgebildet und werden bleiben. Sie werden hier wohnen, lernen und arbeiten. Das ist gut für diese Menschen, gut für die hier schon länger lebende Bevölkerung, es ist gut für dieses Land. Arbeitgeber jedoch sehen sie nur als zusätzliche Arbeitskräfte, die die Konkurrenz auf dem »Arbeitsmarkt« für die Lohnabhängigen verschärfen. Ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verwerfungen werden Arme gegen Arme instrumentalisiert und ausgespielt. Wenn die sprachlichen Barrieren abgebaut sind, beginnt die schwierige Integration in den Arbeitsmarkt. Vorurteile und Vorrangprüfung von Deutschen und EU-Bürgern müssen überstanden werden. Arbeitgeber und Politiker der Regierungskoalition fordern bereits, den Mindestlohn für Flüchtlinge zu senken. Auf diese Weise werden die Neubürgerinnen und Neubürger direkt in Konkurrenz zu Erwerbslosen und geringfügig Beschäftigten gesetzt. Das Ziel ist offensichtlich, eine größere Reservearmee von Arbeitskräften aufzubauen, um damit soziale Standards allgemein zu senken. Selbstverständlich haben die Asylsuchenden das Recht zu arbeiten – und zwar vom ersten Tag an! Der Arbeitsmarktzugang könnte problemlos durch Integrationsmaßnahmen und Gesetzesänderungen verbessert werden. Dazu gehört zum Beispiel, die gesetzliche Arbeitszeit dem tatsächlichen Angebot an Arbeitskräften und der Produktivitätsentwicklung anzupassen: Nicht mehr als 30 Stunden pro Woche als neuer Standard – die kurze Vollzeit! Einhergehen sollte dieses mit einer Beschränkung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit auf 40 Stunden pro Woche und der Definition verbindlicher Ausgleichszeiten gegenüber der tariflichen Arbeitszeit. Der gesetzliche Mindestlohn ist für alle Beschäftigten einzuhalten; deshalb heißt er ja Mindestlohn. Damit es zum Leben halbwegs reicht, muss er jetzt auf 10 Euro pro Stunde erhöht werden. Beide Maßnahmen zusammen bilden die Voraussetzung dafür, Erwerbslosigkeit und Unterbeschäftigung zu überwinden. Nur so können die neuen Einwohnerinnen und Einwohner in unserem Land integriert werden. Wir müssen die Etablierung eines neuen Niedriglohnsektors entschieden ablehnen, nicht nur weil er sich insgesamt negativ auf die Lohnentwicklung auswirken würde. Höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten helfen sowohl den Menschen als auch der Volkswirtschaft, weil die Binnennachfrage erhöht wird. Wichtiger aber sind die gleichen Rechte aller Lohnabhängigen, unabhängig ihrer Herkunft! Es gibt kein fremdes Leid – wozu heute Flüchtlinge missbraucht werden sollen, wird morgen allen anderen Menschen widerfahren! Viele gute und wichtige Ideen, um dem Rollback-Absichten der Arbeitgeber und konservativer Politiker entgegenzutreten. Allerdings müssen die Ideen jetzt auch Beine bekommen, zur »materiellen Gewalt« werden. Dazu müssen sie durch die Köpfe vieler Menschen hindurch. Eine große und zugleich schöne Aufgabe.
Erschienen in Ossietzky 23/2015 |
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