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Dass der hessische Generalstaatsanwalt Ermittlungsverfahren gegen Richter und Staatsanwälte eingestellt hat, die während der NS-Zeit an Todesurteilen beteiligt waren, ist kein Geheimnis. Er selbst hat auch nie eins daraus gemacht. Alle seine Amtskollegen verfuhren damals so. Eingedenk der höchstrichterlichen Rechtsprechung hatten sie die Wahl zwischen zwei Übeln: entweder Einstellung der Ermittlungsverfahren gegen belastete Juristen oder den Dingen ihren Lauf lassen und dann vor dem Bundesgerichtshof scheitern. Kein einziger NS-Richter oder Staatsanwalt wurde jemals rechtskräftig verurteilt. Wie konnte es dazu kommen? Ausgerechnet 1956, in jenem Jahr also, da tausende Opfer der Nazijustiz durch das KPD-Verbot in der Bundesrepublik neuer Verfolgung ausgesetzt wurden, machte der Bundesgerichtshof der strafrechtlichen Verfolgung belasteter Nazirichter endgültig den Garaus. Der Bundesgerichtshof entschied am 7. Dezember 1956, dass ein Richter oder Staatsanwalt wegen Mordes oder Freiheitsberaubung nur verurteilt werden kann, wenn eine Rechtsbeugung nachgewiesen ist. Rechtsbeugung erfordere bestimmten, nicht nur bedingten Vorsatz (1 StR 56/56, BGHSt 10, 294; NJW 1957, 1158). Das bedeutete, dass ein Richter nur belangt werden konnte, wenn er gestand, gegen seine bessere Überzeugung vorsätzlich das Recht zum Nach- oder Vorteil einer Person gebeugt zu haben. Um straffrei zu bleiben, brauchte er nur zu beteuern, sich stets an Recht und Gesetz gehalten zu haben. Und das klappte. Als nach der Angliederung der DDR an die Bundesrepublik die Richter und Staatsanwälte der DDR belangt werden sollten, hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung geändert und neue Kriterien geschaffen, nach denen die Kollegen von der ungeliebten anderen Fraktion bestraft werden konnten. Dabei gingen eine Reihe rechtsstaatlicher Prinzipien über Bord. Ein justizpolitischer Skandal ohnegleichen, der bis heute nicht aufgearbeitet worden ist. Im Urteil gegen den ehemaligen Richter am Obersten Gericht der DDR, Hans Reinwarth, gab sich der Bundesgerichtshof zerknirscht: »Dass ihm eine grundlegend veränderte Haltung der Rechtsprechung, ohne die seine Verurteilung nicht möglich wäre, kaum als gerecht zu vermitteln sein dürfte, liegt nicht fern …« In der Periode des Kalten Krieges habe man »auf beiden Seiten eine ›politische Justiz‹ mit einer aus heutiger Sicht nicht immer nachvollziehbaren Intensität betrieben«. Das Scheitern der Verfolgung von NS-Richtern sei vornehmlich durch eine zu weitgehende Einschränkung bei der Auslegung der subjektiven Voraussetzungen des Rechtsbeugungstatbestandes bedingt gewesen. (Urteil vom 16. November 1995 AZ5 StR 74/94) Als Fritz Bauer 1964 die erwähnten Einstellungsverfügungen unterschrieb, erklärte er gegenüber seinem Dienstvorgesetzten, dem hessischen Justizminister, es sei nicht damit zu rechnen, dass das zuständige Gericht den Prozess weiterführen werde. 50 Jahre später meint nun der ehemalige Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht in Frankfurt, Georg D. Falk, die wiederholt geäußerte Auffassung, der hessische Generalstaatsanwalt habe »nicht anders gekonnt«, halte einer kritischen Prüfung nicht stand. Vielmehr wäre ein Antrag auf Eröffnung einer gerichtlichen Voruntersuchung »zwingend« gewesen. Vorsätzliche Rechtsbeugung hätte sich unter anderem auf der Grundlage eines Urteils gegen einen früheren Richter der DDR begründen lassen, der nach Westberlin geflüchtet und 1960 vom Bundesgerichtshof tatsächlich für schuldig befunden worden war – aus unverkennbar politischen Gründen, weshalb der Fall auch nicht Schule machte. Insofern gehen die Vermutungen von Georg Falk ins Leere. Er selbst scheint sich bei seiner Kritik an Fritz Bauer in seiner Haut nicht ganz wohl zu fühlen. Jedenfalls singt er am Schluss ein Loblied auf Fritz Bauer und rühmt dessen Verdienste um die Demokratisierung, Liberalisierung und Humanisierung der bundesdeutschen Rechtsordnung über den grünen Klee. Das ist schwer nachzuvollziehen, noch dazu wenn man weiß, dass die »heiklen« Aktenfunde ausgerechnet im Organ des Fritz-Bauer-Instituts Einsicht publik gemacht wurden. Laut Satzung des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. soll die wissenschaftliche Einrichtung die Erinnerung an Leben und Wirken des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer im öffentlichen Bewusstsein wach halten und fördern. Damit reimt sich die Attacke auf Fritz Bauer nicht zusammen.
Erschienen in Ossietzky 23/2015 |
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