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Lesenswerte "Geschichte der Krisenrevolten"

Thesen, zentrale Fragen und ein ironisches Augenzwinkern

von Gregor Kritidis (sopos)

Rezension: Findus/Torsten Bewernitz, Kleine Geschichte der Krisenrevolten. Ein schwarz-roter Leitfaden. Unrast-Verlag 2014

Buch-Cover

Virtuelle Zeitreise durch die Geschichte der Krisen und Revolten von heute bis in die frühe Neuzeit

Können linke Positionen in Deutschland populär werden? Kann eine "linke" Kultur erfolgreich oder gar hegemonial werden? Und: Soll sie das überhaupt? Oder ist sie dann nicht mehr links im Sinne von gesellschaftskritisch und den Traditionen der Aufklärung verpflichtet?

Die erste Frage ist vergleichbar einfach zu beantworten, wobei man nicht einmal historische Beispiele der 1920er oder 1960er Jahre heranziehen muß: Marc-Uwe Klings kommunistisches Känguru ist bis weit in den mainstream hinein populär und ohne weiteres im Bahnhofsbuchhandel zu erstehen. Die zweite Frage ist traditionell heftig umstritten, gelten doch Formen der Popularisierung insbesondere in der akademischen Linken als Verflachung und Simplifizierung, die tendenziell Ressentiments Tür und Tor öffnet. In der Tat besteht diese Gefahr. Daraus kann jedoch nicht die Konsequenz gezogen werden, dass populärkulturelle Formen der Vermittlung per se abzulehnen wären. Sie müssen sich vielmehr daran messen, ob sie geeignet sind, den Anstoß für kritische Reflexionsprozesse zu geben.

Der Sozialwissenschaftler Torsten Bewernitz hat mit dem Zeichner Findus den Versuch unternommen, eine Einführung in die Geschichte der Krisenrevolten als Sach-Comic zu geben. Das Vorhaben ist ambitioniert, setzt es doch zwangsläufig eine Vorstellung zentraler Krisentheorien voraus. Und so begegnen dem Leser bei der Lektüre eine Reihe von bekannten und weniger bekannten Denkerinnen und Denkern wie John Meynard Keynes, Karl Marx, Rosa Luxemburg, Nikolaj Kondratjef, Paul Mattick, Berverly Silver oder Michel Foucault in Wort und Bild. Da die theoretischen Ansätze dem Verständnis von Krisen und sozialen Revolten dienen sollen, ist die Lücke und das Fragmentarische unvermeidlich, zumal die großen sozialen Aufstände von den Bauernkriegen bis zu den Revolten in China nachgezeichnet werden. So wird dieser Parforceritt durch die Theorie und Geschichte der sozialen Aufstände nur durch die profunde Kenntnis des Autors zusammen- und von Abwegen abgehalten.

Den durchaus programmatisch gemeinten Ausgangspunkt bildet eine Diskussion eines Jobbers und einer Studentin in einem Callcenter über ihre prekären Arbeitsbedingungen. Deren Durchsetzung im Zuge der Umsetzung der neoliberalen Agenda und ihrer Elemente wird vorwiegend am deutschen Beispiel illustriert und in den Kontext der kapitalistischen Krisendynamik gestellt, die dann quasi wie ein Film rückwärts abgespult wird: Der Neoliberalismus, so die zutreffende These, sei eine Antwort auf die Krise des sozialstaatlich regulierten Kapitalismus der Nachkriegszeit gewesen, dieser wiederum eine Antwort auf den Zweiten Weltkrieg und der diesem zugrunde liegenden Krise der frühen 1930er Jahre. Danach geht es in Sprüngen zurück zum Ersten Weltkrieg, zur Gründerkrise und zur Krise von 1857, stets verbunden mit einer Vorstellung der theoretischen Verarbeitung dieser Krisen.

Dieser Darstellung liegt die These zugrunde, die schon Marx im kommunistischen Manifest formuliert hat: Die Krisen der kapitalistischen Gesellschaft werden gelöst, indem die Grundlage für immer größere und umfangreiche Krisen gelegt wird, die Krisendynamik sich also im historischen Verlauf in großen Zyklen zuspitzt. Die Lohnabhängigen als „subjektiver Faktor“ sind dabei ein eigenständiger Teil dieser Dynamik, keinesfalls eine abhängige Variable. Gleiches gilt für die herrschenden Klassen, die ihrerseits nicht einfach der ökonomischen Dynamik unterworfen sind, sondern selbst – etwa durch die Intervention des Staates – diese Dynamik nachhaltig beeinflussen und ihr einen neuen Charakter geben, ohne sie jedoch dauerhaft einhegen oder aufheben zu können.

Es ist eine Stärke dieser Darstellung, das Krisengeschehen nicht zu seiner subjektiven oder obejektiven Seite zu Verabsolutieren, sondern beide Seiten mit soziologischem Zugriff zu vermitteln. So wird mit Rückgriff auf den Politökonom Ernesto Screpanti hervorgehoben, dass die großen Streikwellen 1869 bis 1875, von 1910 bis 1920 und von 1968 bis 1974 nicht während der Krisen, sondern am Ende langer Wachstumsphasen standen. Dennoch waren weder diese Prozesse noch ihre Resultate zwingend: Es hätte auch anders kommen können, wobei die bahnbrechende Wirkung dieser zugespitzten Kampfphasen unbestritten sein dürfte.

Bewernitz' Buch steckt voller Ideen und Thesen, zahlreiche zentrale Fragen, etwa zum Geschlechterverhältnis oder zur Biopolitik, werden angerissen, ohne dass eine Vertiefung möglich wäre. In dieser Fülle liegt auch die Schwäche der Darstellung: Das Thema ist zu groß und der Autor will zu viel – weniger wäre mitunter mehr gewesen. Dennoch: Der Band lädt ein zum Weiterlesen, und die vorgestellten Theorien und die angehängten Literaturempfehlungen können durchaus die Grundlage für eine Seminarreihe zum Thema bilden.

Die Illustrationen von Findus geben der Sache Esprit und stehen im erfrischenden Gegensatz zu den sonst üblichen Bleiwüsten. Der Zeichner, der bereits mehrere Bücher im Unrast-Verlag gestaltet hat, knüpft dabei an die besten Traditionen linker Ikonographie an, immer jedoch mit einem ironischen Augenzwinkern, wenn etwa ein Marx streng und mit erhobenem Zeigefinger zum geneigten Leser spricht. Eine Linke, die nicht auch eine eigene Symbolik und Ikonographie auf der Höhe der Zeit entwickelt wird kaum ein breiteres Publikum erreichen. Insofern stellt das Buch auch ästhetisch einen Schritt in die richtige Richtung dar. Es ist zu wünschen, das dieses Buch ein breiteres Publikum findet und der Verlag den Mut zu publizistischen Experimenten nicht verliert.

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sopos 11/2015