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Die Brisanz dieser Region, die wegen des schwelenden Palästina-Israel-Konflikts ohnehin schon zu den größten Gefahrenherden internationaler Sicherheit zählt, hat sich noch um ein Vielfaches erhöht. Wofür die gegenwärtigen Flüchtlingsströme nach Europa möglicherweise nur Vorboten sind. Warum gerade Syrien? Weder ist dies ein Zufall, noch ist es eine völlig neue Erscheinung. Wiederholt in seiner langen Geschichte hat dieses Land im Fokus ausländischer Interessen gestanden, hat seine zentrale geostrategische Lage innerhalb der Nahostregion die Vormachtbestrebungen verschiedenster äußerer Mächte geweckt. Wie auch schon ein Jahrhundert zuvor, als England und Frankreich – gemäß einem zwischen ihnen ausgehandelten Deal – der Region jene nachosmanische und aktuell zur Disposition stehende Ordnung aufgezwungen haben. Nach Divide-et-impera!-Manier hatte die für Syrien zuständige französische Kolonialmacht die Abspaltung Libanons als selbständiger Staat vom syrischen Kerngebiet »Asch-Scham« verfügt. Was nun der »Islamische Staat« (IS) mit seinem erklärten Anspruch auf eben dieses »Asch-Scham« ohne Rücksicht auf die heutige syrische territoriale Integrität gewaltsam zu korrigieren trachtet. Ebenso wenig ist es ein Zufall, dass nun das in Damaskus seit 1963 herrschende Baath-Regime den Dreh- und Angelpunkt der sich neu in der Region ausprägenden Ordnung bildet. Personifiziert in dem seit Sommer 2000 als Staatspräsident amtierenden Baschar al-Assad. In der Haltung zu ihm kanalisieren sich die auf syrischem Boden zusammenstoßenden globalen wie regionalen Widerspruchslagen. Aktuell hauptsächlich widergespiegelt in zwei miteinander konkurrierenden Kräftekonstellationen. Während, ungeachtet aller Unterschiedlichkeit in den jeweiligen Motiven, die eine Seite (USA, Türkei, Saudi-Arabien) dessen Sturz anstrebt, sucht die andere (Russland, Iran) genau dies zu verhindern. Woraus sich dann vor allem auch das schnelle Umschlagen des aus dem »Arabischen Frühling« entstandenen syrischen Bürgerkrieges in quasi gleich mehrere Stellvertreter-Kriege erklärt. Global gesehen kann von einer Neuauflage der schon während des Kalten Krieges bestehenden Rivalitäten gesprochen werden. Bei den sich heute hier vor allem zwischen den USA und Russland kollidierenden Interessengegensätzen geht es im Kern um die Verfasstheit unserer künftigen Weltordnung: ob unter US-Hegemonie beziehungsweise westlicher Dominanz, wie von den USA angestrebt, oder als ein eher multilaterales Beziehungsgefüge, worauf Russland optiert. Geleitet von dem Anspruch auf alleinige Hegemonie in der Welt nach dem Untergang des Realsozialismus wollen die USA erklärtermaßen einen Neuen Nahen Osten entstehen lassen. Basierend in erster Linie auf der Beseitigung der von ihnen als missliebig, sprich antiwestlich eingestuften Regime. Laut Pentagon-Plänen aus dem Jahr 2001 waren dafür Kriege gegen gleich mehrere nah- und mittelöstliche Staaten vorgesehen, darunter auch Syrien – also noch weit vor Bürgerkriegsausbruch – und Iran. Gegen Irak und Libyen wurden solche Regime-Change-Kriege bekanntlich bereits geführt: der auf Lügen gebaute Krieg gegen Irak 2003 gänzlich ohne UN-Mandat und der gegen Libyen 2011 unter gezieltem Missbrauch einer UN-Sicherheitsresolution. Mit all den verheerenden Folgewirkungen sowohl für die beiden Länder selbst als auch für die Region insgesamt. Nun will die Obama-Administration zwar keine eigenen Bodentruppen mehr in den Krieg schicken, das heißt jedoch nicht, dass damit auch der US-Regime-Change-Strategie Valet gesagt worden wäre. Wie sich in Syrien zeigt, soll deren Umsetzung fürderhin in erster Linie einheimischen Kräften obliegen. Bei allerdings entsprechender Bereitstellung finanzieller und anderer materieller Mittel, reichlich Kriegsgerät inklusive. Russland sieht sich direkt herausgefordert, nicht zuletzt unter dem Blickwinkel von ihm angestrebter Multilateralität in der Welt. Es lehnt von außen beförderte Regimewechsel nicht nur prinzipiell ab, in Syrien würden damit vielmehr zugleich ureigene russische Interessen tangiert. Immerhin bestehen zwischen Moskau und Damaskus vielfältige über reichlich fünf Jahrzehnte gewachsene Beziehungen, die 1980 sogar in einem bis heute nicht aufgekündigten Freundschaftsvertrag festgeschrieben worden sind. Deshalb also auch von Anfang an die weit reichende Unterstützung für das Baath-Regime, bei der Personalfragen allerdings eher zweitrangig scheinen. Russland ist daran gelegen, in Syrien weiterhin präsent zu bleiben, seine Rolle als ein Hauptakteur in der Region wie in der Welt zu behaupten. Wer hätte schon vor Ausbruch des »Arabischen Frühlings« voraussagen wollen, dass gleich mehrere Regionalmächte bei diesem global angelegten Konflikt Für oder Wider einen Regime Change in Syrien aktiv mitzumischen suchen? Alles Streben gilt jeweils einer regional-hegemonialen Vormachtstellung. Während Iran als langjähriger politischer Verbündeter des Baath-Regimes bis heute uneingeschränkt an dessen Seite steht, wollen es die Türkei und Saudi-Arabien – wenn auch unterschiedlich motiviert – unbedingt beseitigt wissen, um dortige Machtverhältnisse in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ihnen geht es angeblich um die Achtung der Menschenrechte – zynischerweise postuliert von Staaten, die selbst nicht gerade als deren Hüter bekannt sind. Wodurch jedoch die Auseinandersetzungen auf syrischem Boden auf religiös motivierte Gräben verlagert worden sind. Und zwar hauptsächlich entlang sunnitisch-schiitischer Trennlinien. Das Baath-Regime unter Assad wird nicht zuletzt deshalb geschmäht, weil es wegen seiner alawitisch-schiitischen Zuordnung als Ausdruck einer Minderheitenherrschaft über die sunnitische Mehrheit gilt. Zusätzlich verteufelt wird es wegen seiner als schiitischer Achse interpretierten politischen Allianz mit Iran. Das einst innerhalb der arabischen Welt als eher säkular geltende Syrien wird so regelrecht re-islamisiert. Sunnitische extremistische Islamisten – darunter IS und Al-Nusra-Front – entpuppten sich als besondere Nutznießer dieser Entwicklung, weil eben als Kriterium für die Vergabe der umtriebigen Unterstützungsleistungen in Form von Geld, Logistik oder Waffen aus Saudi-Arabien, der Türkei und anderswo in erster Linie die sunnitische Zuordnung gilt. Baath-Regime – notwendiger Teil der Lösung? Ob es einem nun passt oder nicht: Russland hat mit seinem direkten militärischen Eingreifen Ende September 2015 in den vom Westen bereits seit August 2014 geführten Anti-IS-Luftkrieg die Syrien-Krise wieder auf die internationale politisch-diplomatische Agenda gesetzt. Und mithin den Nachweis erbracht, dass kein von welcher Seite auch immer angestrebter Regime Change in Damaskus als Hauptkettenglied bei der Neuordnung in der Region in der Sackgasse gelandet ist. Weder ist eine Neuordnung auf militärischem Wege zu erreichen, noch führt sowohl im Kampf gegen IS als auch bei der Suche nach einer politischen Lösung ein Weg am Baath-Regime vorbei. Zumal es offensichtlich nach wie vor auch noch über beträchtlichen Rückhalt im Land verfügt – nicht nur bei den zahlreich existierenden religiösen wie ethnischen Minderheiten, sondern ebenso unter bestimmten sunnitischen Bevölkerungsteilen. Auch kann nicht länger ignoriert werden, dass die von den USA und anderen westlichen Staaten sowie von der Türkei, Saudi-Arabien und Katar mit allen Mitteln unterstützte Opposition den Nachweis, eine tragfähige Alternative zum Baath-Regime zu sein, bislang schuldig geblieben ist. Sie gibt stattdessen, bis auf die plakative Forderung »Assad muss weg!«, ein zerstrittenes Bild ab. Auch kann kaum noch von einer nennenswerten moderaten bewaffneten Opposition die Rede sein. Wird doch mindestens seit 2013 das syrische Schlachtfeld von verschiedensten extrem-islamistischen Gruppierungen dominiert. Auch die auf Initiative von Türkei, Saudi-Arabien und Katar vor kurzem formierte »Fatih (Eroberungs)-Armee« ist von Vertretern dieser Gruppen durchsetzt. Bei aller berechtigten Kritik am Baath-Regime müssen jedoch ebenso alle anderen staatlichen und nichtstaatlichen Akteure Rechenschaft darüber ablegen, inwieweit sie zur heutigen Misere beigetragen haben. Auch westliche Politik muss sich fragen lassen, warum sie – statt die mit dem »Genfer Kommuniqué« (30. Juni 2012) gebotene Chance für eine politische Lösungssuche zu ergreifen – weiterhin auf einen Regime Change gesetzt hat. Seither haben zu den damals 30.000 Toten weitere 220.000 Menschen ihr Leben lassen müssen. Was vielleicht zu verhindern gewesen wäre; wie ebenso auch die Europa nun selbst bis ins Mark erschütternden Flüchtlingsfolgen. Das Gebot der Stunde kann deshalb nur sein, mit aller Entschlossenheit diesen Krieg zu beenden und die einschlägigen Akteure am Verhandlungstisch zu versammeln. Jedoch ohne ein der Ära des Kalten Krieges entlehntes Gut-Böse-Schema, welches weder der komplexen Konfliktlage auf syrischem Boden gerecht wird noch die Grundlage einer tragfähigen Regionalordnung im 21. Jahrhundert bilden kann. Prof. Dr. sc. phil. Karin Kulow, Studium der Arabistik und Islamwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Langjährige Forschungs- und Lehrtätigkeit zur Entwicklung politischer Systeme in arabischen Nahostländern an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften in Berlin (Ost). Vielfältige ehrenamtliche Tätigkeit, darunter als Mitglied im »Gesprächskreis Frieden« der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Erschienen in Ossietzky 22/2015 |
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