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Oktober, erinnerte ebenfalls auf Kampnagel ein eintägiger Kongress – »70 Jahre Kriegsende, 20 Jahre Wehrmachtsausstellung« – an das Schicksal, das diesem Aufklärungswerk von seinen Feinden, aber mehr noch von seinem Eigentümer Jan Philipp Reemtsma, dem Chef des Hamburger Instituts für Sozialforschung, bereitet wurde. Hannes Heer und andere hatten für das Institut die Ausstellung erarbeitet. Die wissenschaftlichen Forschungen über die Verbrechen der Wehrmacht lagen vor. Doch die breite Öffentlichkeit war bis dahin durch Generalsmemoiren und Landsergeschichten davon unterrichtet, dass die Wehrmacht sauber geblieben sei und allein die SS alle Verbrechen begangen habe. Hannes Heer aber setzte die Ergebnisse der nicht zur Kenntnis genommenen historischen Wissenschaft ins Bild. Wut erregte vor allem das mächtige Eiserne Kreuz, auf dem eine Fülle von Fotos angebracht waren, die deutsche Soldaten gemacht und beschriftet hatten, etwa: »Gehst mit Juden erschießen«. Dazu einschlägige Dokumente, etwa der Bericht des Oberleutnants Hans-Dietrich Walther, später Major der Bundeswehr, vom 1. November 1941 über die Erschießung von Juden und Roma aus Belgrad mit der Feststellung: »Das Erschießen der Juden ist einfacher als das der Zigeuner.« Es gab einen Sturm der Entrüstung gegen die Ausstellung, die in 34 Städten der Bundesrepublik gezeigt wurde und 900.000 Besucher erreichte, mehr als jede andere historische Schau in der Bundesrepublik. In Saarbrücken kam es zu einem bis heute unaufgeklärten Sprengstoffanschlag. In München rief der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler zur bis dahin größten Demonstration auf, an der sich vor allem Neonazis beteiligten. Eine »neue Harzburger Front aus Union und NPD«, wie jetzt auf dem Kampnagel-Kongress der Historiker Wolfgang Wippermann feststellte. Der CSU-Bayernkurier tobte, es gehe den Veranstaltern der Wehrmachtsausstellung darum, »Millionen von Deutschen die Ehre abzusprechen«. Munition lieferte das Münchner Institut für Zeitgeschichte unter seinem Leiter Horst Möller – der vorher, als Redenschreiber des Bundespräsidenten Walter Scheel (NSDAP/FDP), als Historiker hervorgetreten war – mit einem eilends in die offiziellen Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte gehobenen Aufsatz eines polnischen Historikers mit nunmehr deutscher Staatsangehörigkeit: Bogdan Musiał, damals ein polnischer Hiwi am Deutschen Historischen Institut in Warschau, heute Professor an der 1999 gegründeten Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität Warschau – er war auch mit gemäßigt antisemitischen Veröffentlichungen hervorgetreten –, kritisierte in diesem Aufsatz, viele der gezeigten Fotografien seien falsch zugeordnet. So würden »Opfer der Sowjets zu Opfern der Wehrmacht« gemacht. Jetzt beim Kongress auf Kampnagel konnte Historiker Wippermann immer noch nicht begreifen«, wie Reemtsma vor diesem »grottenschlechten Aufsatz in die Knie gehen« konnte. In ebendieselben ging der Institutschef kurz bevor die Ausstellung auch in den USA gezeigt werden sollte. Reemtsma ordnete am 15. November 1999 ein Moratorium an. In dieser Zeit sollte eine ausgewählte Historikerkommission Musiałs Vorwürfe untersuchen. Die kam ein Jahr später zu dem Ergebnis, dass die Ausstellung »keine Fälschungen« enthalte. Von den 1433 Fotos gehörten weniger als 20 Fotos nicht in eine Ausstellung über die Wehrmacht. Nur bei zwei von zehn der von Musiał beanstandeten Bildunterschriften seien falsche Beschriftungen der Archive ungeprüft übernommen worden. Im Vergleich zu anderen historischen Fotoausstellungen seien diese Fehler gering. Reemtsma aber wollte eine andere, eine bessere Ausstellung ohne ihren Macher Hannes Heer. Und vor allem ohne überflüssige Bezüge auf ein Land, das inzwischen in den Mittelpunkt deutscher Aufmerksamkeit geraten war. Aber auch jetzt auf Kampnagel blieb das unerwähnt: Die Ausstellung mit ihrer besonderen Berücksichtigung des Vernichtungskrieges gegen Jugoslawien stand dem neuen großen Geschehen im Wege, das alsbald zum Gründungsmythos der Berliner Republik wurde. Im März 1999 setzte Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Bombardierung Belgrads ohne Kriegserklärung den Krieg fort, den sein Vorgänger Adolf Hitler 1941 auf gleiche Weise eröffnet hatte. Für die Bundeswehr stellte der erneuerte Krieg gegen Jugoslawien den ersten Kampfeinsatz seit ihrer offiziellen Gründung im Jahr 1955 dar. Daraus entstanden auch für die Wehrmachtsausstellung, die die Verbrechen im vorherigen Krieg gegen die Serben ausführlich würdigte, ganz eigene Probleme. Bei der Eröffnung in Köln warnte die Bürgermeisterin Renate Canisius (SPD) am elften Tag dieses neuen Krieges dringlich: Es sei »hier nicht der Ort, die in den Auseinandersetzungen im Kosovo gefällten Entscheidungen erneut zu erörtern«. Sie begründete vielmehr, warum sich die Bundeswehr am Krieg gegen Jugoslawien beteilige und warum »wir alle Vertrauen in den Geist unserer Bundeswehr« haben sollten: »Erstmals« sei auch »unsere Bundeswehr« an dem Versuch beteiligt, »mit Waffengewalt eine Schneise zum Frieden zu schlagen«. Und sie verlangte von ihren Zuhörern, von denen nur wenige protestierten: »Lassen Sie uns auch in diesem Geiste des Schutzes der Menschenwürde die heute zu eröffnende Ausstellung betrachten.« Ihr Parteifreund Verteidigungsminister Rudolf Scharping, zugleich zuständig für Volksaufklärung und Propaganda, gab zur gleichen Zeit willig und in liebevoller Detailbesessenheit Auskunft über Föten aus aufgeschnittenen Kosovarinnenbäuchen, die vom Serben gegrillt und wieder in die Bäuche der Mütter zurückgelegt worden seien. Da war schon, um die Flagge der Humanitas hochzuhalten, kaum Platz mehr für eine Ausstellung, die angebliche Verbrechen deutscher Soldaten an Serben anklagt. Als nun die darum von Reemtsma selbst konzipierte, sorgfältig bearbeitete, nur noch mit wenig selbstanklagenden Fotos deutscher Soldaten ausgestattete zweite Ausstellung im November 2001 aufmachte, konnte die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland beruhigt titeln: »Die Wehrmacht war keine Mörderbande.« Aber was nun? Das Deutsche Historische Museum steht nur einen guten Steinwurf weit von Wilhelm Zwos wiederentstehendem Schloss, es ist der versteinerte Ausdruck des geschichtlichen Denkens seines Gründers Helmut Kohl. Öffentlich hält es Killertrophäen aus dem deutschen Schlachten feil – in den Ausstellungen zum neunzigsten und zum hundertsten Geburtstag des Ersten Weltkriegs wurde stolz der zerschossene Helm des britischen Offiziers präsentiert, den Ernst Jünger mit einem Schuss erlegt hatte. In den Verließen dieses Mordsmuseums verrotten beide Wehrmachtsausstellungen, eingemottet vom Privateigentümer Jan Philipp Reemtsma. Sie müssen wieder ans Licht, beide, damit sichtbar wird, wie sich im Zeichen des neuen erfolgreichen deutschen Vernichtungskrieges gegen Jugoslawien auch der Blick auf die deutsche Geschichte verändert hat. Als Dauerausstellung solange diese Berliner Republik besteht. Kein Ort ist dazu besser geeignet als – wie vorgeschlagen (Ossietzky 15/2015) – das in zwei Jahren völlig wiedererrichtete Berliner Schloss, von dem zunächst 1848 der Krieg gegen das eigene Volk und schließlich 1914 gegen fast die ganze Welt ausging.
Erschienen in Ossietzky 21/2015 |
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