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Im Bericht des Jahres 2000 hieß es hoffnungsvoll: »Vor zehn Jahren wurde die staatliche Einheit vollzogen … Vieles wurde erreicht … Gleichwohl ist der Weg der wirtschaftlichen und sozialen Angleichung zwischen Ost und West noch nicht abgeschlossen.« Fünf Jahre später wurde verhalten gejubelt: »Der Aufschwung kommt voran. Bei der Angleichung der Lebensverhältnisse wurden große Fortschritte gemacht.« 2010 glaubte die Regierung, frohlocken zu können: »Der Prozess der wirtschaftlichen Angleichung zwischen Ost und West ist weit vorangeschritten. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung seit dem Jahr 2000 zeigt, … dass gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland erreicht werden können.« Im zurückliegenden Jahr, 2014, schließlich freuten sich Berichtsverfasser und die schwarz-rote Regierung wie Schneekönige: »Es ist auch [dem] Reindustrialisierungsprozess zu verdanken, dass der wirtschaftliche Abstand zu Westdeutschland verringert und damit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West entscheidend vorangebracht werden konnte.« So ging es Jahr für Jahr. Die »Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer«, kurz »Ostbeauftragte« genannt, lieferten den Berichtsentwurf, der die im Anschlussgebiet, also in den immer noch »neuen Bundesländern«, erreichten nahezu sensationellen Fortschritte auflistete, und das Kabinett segnete ihn ab. The same procedure as every year! Doch 2015, ausgerechnet vor dem 25. Einheitsjubiläum, war irgendwie Sand in die Berichtsmaschinerie geraten. Die Jubelschreie blieben aus. Was war geschehen? Vier Tage vor dem Kabinettsbeschluss war der Berichtsentwurf auf wundersame Weise in die Redaktionsstuben der Sächsischen Zeitung und der Schweriner Volkszeitung gelangt. Das Dresdner Blatt titelte: »Der Osten holt einfach nicht auf«, und das Schweriner hob fett gedruckt hervor: »25 Jahre nach der Wiedervereinigung holt Ostdeutschland nach Einschätzung der Bundesregierung den noch bestehenden Abstand zur Wirtschaftskraft im Westen kaum mehr auf.« Wie gesagt, die ostdeutschen Blätter informierten über den Entwurf. In dem vom Kabinett verabschiedeten Text taucht diese Einschätzung nicht auf. Offenbar wurde sie gestrichen, weil sie beim besten Willen nicht in die »Aufbau Ost«-Propaganda und schon gar nicht zum 25. Jubelfest passt. Stattdessen wird getrickst. Zum einem wird behauptet, dass sich die Wirtschaftskraft in Ostdeutschland seit 1991 mehr als verdoppelt habe, und zum anderen wird die »Kleinteiligkeit« der ostdeutschen Wirtschaft als eine »zentrale Ursache« für den »verhaltenen Angleichungsprozess« genannt. Es ist der seit Jahrzehnten praktizierte Hokuspokus der Einheitssieger, bei den Angaben über die rasante Wirtschaftsentwicklung im Osten stets 1991 zum Ausgangspunkt aller Vergleiche zu nehmen, also das Jahr, in dem die Industrieproduktion infolge der Währungsunion und des Wirkens der Treuhand auf ein Drittel des Standes vor der Friedlichen Revolution abstürzte. Dieses Drittel lässt sich in 24 Jahren relativ leicht verdoppeln. Und die »kleinteilige« Wirtschaft in Ostdeutschland entstand, wie gut bekannt, durch die Zerschlagung der Großbetriebe in Gestalt der 167 zentralgeleiteten DDR-Kombinate. Der katastrophale Absturz der Industrieproduktion und die Liquidierung der Industriekombinate waren das Werk der Einrichtung mit dem betrügerischen Namen »Treuhand«. Im »Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit« von 2015, in dem angeblich ein Resümee der Entwicklung Ostdeutschlands seit dem Anschluss an die Bundesrepublik gezogen wird, findet das Wirken dieses Instrumentes der entschädigungslosen Enteignung der Bürgerinnen und Bürger der DDR, der gigantischen Eigentumsumschichtung von Ost nach West sowie einer weltweit bis dahin nicht registrierten Vernichtung von Industriebetrieben und Arbeitsplätzen keinerlei Erwähnung. Nach Informationen der Sächsischen Zeitung wurden Passagen zur Treuhand auf massive Intervention des Bundesfinanzministeriums aus dem Entwurf der Ostbeauftragten Iris Gleicke gestrichen. Ist das denn die Möglichkeit? Ausgerechnet das Finanzministerium, dem die Treuhandanstalt unterstand, widersetzte sich ihrer verdienten Würdigung? Das darf eigentlich nicht wahr sein. War es doch der für ihre Kontrolle verantwortliche Finanzminister, Theodor Waigel (CSU), der der Anstalt in der Debatte des Bundestages zum Bericht des Treuhand-Untersuchungsausschusses den Dank des Vaterlandes aussprach: »Die Treuhandanstalt hatte im Auftrag der Bundesregierung den größten und wahrscheinlich schwierigsten Teil der Aufgabe zu übernehmen, nämlich die gescheiterte Planwirtschaft der DDR in die Soziale Marktwirtschaft zu transformieren. Es galt vor allem, das staatliche Eigentum an Produktionsmitteln in privates, unternehmerisches Eigentum zu überführen ... Wir danken allen, die innerhalb und außerhalb der Treuhandanstalt ihre Pflicht und noch viel mehr getan haben. Das war und ist Einsatz für Deutschland und Hingabe an unser Vaterland, das wir wiedergewonnen haben.« Diese Herz und Unverstand gleichermaßen ansprechende Würdigung sollte künftig in jeden Bericht zum Stand der deutschen Einheit aufgenommen werden – every year!
Erschienen in Ossietzky 20/2015 |
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