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Leicht gerät darüber in Vergessenheit, dass die Bundesrepublik bereits zu Lebzeiten der DDR allzeit dem Osten des Vaterlandes hilfreich zur Seite stand. Davon zeugt auch eine weitgehend bekannte Begebenheit, die wie ein Politthriller begann. Am 5. Mai 1983 trifft ein hochaufgeschossener Mann mit einem gepanzerten BMW der bayerischen Staatsregierung auf dem Landsitz des Großschlachters Josef März im oberbayerischen Aschau ein. Wenig später landet ein Helikopter des bundesdeutschen Grenzschutzes. Ihm entsteigt lachend und winkend ein korpulenter Passagier. Nach einer herzlichen Begrüßung ziehen sie sich zu einer vertraulichen Unterredung zurück. Der auf dem Landweg Angekommene ist der Leiter des Bereiches Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im DDR-Außenhandelsministerium, Alexander Schalck-Golodkowski, der auf dem Luftweg Eingetroffene ist der Ministerpräsident des Freistaates Bayern, Franz Josef Strauß. Beide kommen überein, dass die BRD der DDR einen Kredit in Höhe von einer Milliarde DM gewährt. Nach einigen Beratungen auf verschiedenen Ebenen wird vereinbart, dass der Milliardenkredit mit einem Zinssatz von fünf Prozent und einer Laufzeit von fünf Jahren über ein westdeutsches Bankenkonsortium unter Federführung der Bayerischen Landesbank abgewickelt wird. Dieser Kredit wird Jahr für Jahr, besonders aber vor großen Wiedervereinigungsfestivitäten, wie sie jetzt anstehen, in Erinnerung gebracht, gewürdigt und die Mär wiederholt, damit sei die DDR vor dem Staatsbankrott gerettet worden. Mit anderen Worten: Immer wieder wird nicht eine neue, sondern stets die gleiche Sau, und sei sie auch noch so alt, durch die Medienlandschaft getrieben. In der ARD-Reihe »Geschichte im Ersten« erfährt der Wissbegierige, dass »nach wochenlangen Geheimverhandlungen der bayerische Ministerpräsident Strauß und Honeckers Unterhändler Schalck-Golodkowski einen Milliardenkredit vereinbarten, der die überschuldete DDR vor einer drohenden Staatspleite rettete«. Der Bayernkurier behandelt dieses Thema besonders gern. Noch vor der »Wiedervereinigung« schrieb er, dass »durch den Kredit aus dem Westen … ein Staatsbankrott des kommunistischen Nachbarn mit harten Einschnitten für die ostdeutsche Bevölkerung abgewendet werden« sollte. Das MDR-Fernsehen sieht den Vorgang ähnlich: »Der Westen griff der DDR mit einem Milliarden-Kredit unter die Arme … Die DDR-Wirtschaft glich einer ausgepressten Zitrone … Strauß und Honeckers Unterhändler Alexander Schalck-Golodkowski [vereinbarten] einen Milliardenkredit, der die überschuldete DDR vor einer drohenden Staatspleite rettet.« 2008 veröffentlichte der Spiegel unter der Schlagzeile: »Wie Franz Josef Strauß die DDR rettete« einen Beitrag, in dem es selbstredend hieß: »Den SED-Staat rettete die Finanzspritze vor der Pleite.« Als dieses Jahr Schalck-Golodkowski im Juni starb, war es nicht überraschend, dass die bundesdeutschen Medien, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Story vom rettenden Milliardenkredit aufwärmten. Die ARD erinnerte daran, dass der Kredit »die überschuldete DDR vor einer drohenden Staatspleite rettete«. Das Handelsblatt meinte: »Die Geldspritze bewahrte den Honecker-Staat vor dem Ruin.« Diese Weisheit verkündeten wortwörtlich nahezu alle Konzernmedien, darunter, um nur noch wenige Beispiele zu nennen, Springers Morgenpost, der Tagesspiegel, die Sächsische Zeitung und der Berliner Kurier, in ihren In-Memoriam-Beiträgen zum Tod des KoKo-Chefs. Ja, tatsächlich, der Franz Josef hat die DDR gerettet. Und da viele dabei mitgeholfen haben, und selbst Bundeskanzler Kohl mit dem Kredit einverstanden war, kann man mit Fug und Recht feststellen, dass die Bundesrepublik tatkräftig und selbstlos handelte, um den ostdeutschen Brüdern und Schwestern aus der Finanzpatsche zu helfen. Herzlichen Dank dafür! Der Dank allerdings wäre noch größer, wenn die Nachfolger der hochgestellten Helfer parallel zu der Erinnerung an die Rettungstat auch an nebensächliche Kleinigkeiten erinnern würden: Wenn es gilt, den Strauß-Kredit zu rühmen, so war er keinesfalls Hilfe in höchster Not, aber in Zeiten der damaligen zugespitzten Ost-West-Konfrontation und des ökonomischen Druckes auf die Comecon-Staaten, die Staaten des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, war er willkommen, zeugte er doch von der Kreditwürdigkeit der DDR. Aber die 350 Millionen Dollar, die er nach damaligem Kurs ausmachte, waren nicht einmal ein Fünftel des Guthabens, über das die DDR zu diesem Zeitpunkt allein nach den Unterlagen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel verfügte. Wenn es gilt die Milliardenanleihe als Rettung vor der Überschuldungspleite zu lobpreisen, dann lohnt es, an den Bericht »Die Zahlungsbilanz der ehemaligen DDR 1975 bis 1989« zu erinnern, den die Deutsche Bundesbank 1999 veröffentlichte. Danach betrug die Nettoverschuldung der DDR gegenüber westlichen Valutaländern 19,9 Milliarden VM (zum damaligen Kurs rund zwölf Milliarden Dollar). Das war eine schwere Last für die Wirtschaft, aber trotzdem gelang es, stets alle Schulden zu bedienen. An keinem einzigen Tag war die DDR zahlungsunfähig. Doch nicht nur die DDR hatte Schulden. In dieser Hinsicht wurde sie von der BRD zweifellos übertroffen, was ein Schuldenvergleich zum Zeitpunkt der Währungsunion zeigt. Zum 1. Juli 1990 betrugen die internen Schulden des DDR-Staatshaushaltes 28,0 Milliarden DM, die Wohnungsbaukredite – die hier angeführt werden, obwohl es gute Gründe gibt, sie nicht zu den Staatsschulden zu zählen – 38,0 Milliarden DM und die Verschuldung der DDR gegenüber dem Westen 19,9 Milliarden DM. Damit brachte die DDR eine Gesamtschuld von 85,9 Milliarden DM in die staatliche Einheit ein. Die gesamte Schuld der öffentlichen (staatlichen und kommunalen) Haushalte der Bundesrepublik belief sich zu diesem Stichtag auf 924 Milliarden DM, das Elffache der DDR-Schulden. Die Pro-Kopf-Verschuldung betrug zum Zeitpunkt des Anschlusses im Osten 5.298 DM und im Westen 16.586 DM. Danach betrug sie für alle Deutschen vom Rhein bis an die Oder, vom Säugling bis zum Greis 12.841 DM. Statistisch gesehen übernahmen die neuen Bundesbürger pro Kopf 7.543 DM der BRD-Schulden, wofür sich Bonn mit dem Raub des riesigen ostdeutschen Volksvermögens revanchierte. Mittlerweile ist das nahezu vergessene Geschichte. Die Pro-Kopf-Verschuldung im vereinten Deutschland beträgt gegenwärtig 26.522 Euro (51.872,52 DM). Wenn es gilt, immer aufs Neue den bundesdeutschen Rettungskredit zu preisen, wird rein zufällig vergessen, daran zu erinnern, dass die DDR Reparationszahlungen mit einen Gesamtwert von 99,1 Milliarden DM (umgerechnet in Preisen von 1953) leistete, womit 97 Prozent der gesamtdeutschen Reparationen beglichen wurden. Im Vergleich dazu ist der Ein-Milliardenkredit, der zudem pünktlich zurückgezahlt wurde, weniger als Peanuts. Wenn es gilt, den Milliardenkredit richtig zu würdigen, kommt man last but not least nicht umhin, an den seitens der Bundesrepublik geführten permanenten Wirtschaftskrieg gegen die DDR zu erinnern. Das Verbot bereits vereinbarter Lieferungen, wiederholte Kündigung laufender Handelsabkommen, die Erpressung bei der Preisgestaltung im Ex- und Import, Sabotageakte, Abwerbung von Wissenschaftlern, Ärzten und Facharbeitern sowie das Embargo bei Produkten der Hochtechnologie, die auf den Sperrlisten des CoCom (Coordinating Committee for East West Trade Policy) standen, fügten der DDR-Wirtschaft einen Schaden zu, der bereits Anfang 1961 auf etwa 200 Milliarden Mark geschätzt wurde. Krediteinfädler Franz Josef war es zufrieden und stellte fest, dass die stufenweise Anwendung wirtschaftlicher Sanktionen besser sei »als eine Maschinengewehrgarbe«. Wahrlich, wir leben in einem demokratischen, freiheitlichen Rechtsstaat. Die Monopolmedien und ihre Auftraggeber preisen fortwährend den Kredit von einer Milliarde als große Rettungstat und verschweigen die Hunderte von Milliarden, die sie dem dahingegangenen Staat und seinen Bürgern gestohlen haben. Wie schön ist es doch, zu stehlen, zu betrügen, zu verschweigen, wenn man sich als Wohltäter ausgeben kann. Allerdings ist allgemein auch bekannt, dass Wohl- nicht selten Übeltäter sind.
Erschienen in Ossietzky 19/2015 |
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