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Nicht gedacht wird auf den Kundgebungen und in den Medien in der Regel der Millionen Chinesen, Koreaner, Filipinos, Malaien, Vietnamesen, Kambodschaner und Birmanen, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Opfer der japanischen Kolonialherrschaft in Südostasien wurden. Verschwiegen werden regelmäßig die zahllosen japanischen Kriegsverbrechen, die im Laufe von rund 50 Jahren den US-amerikanischen Atomschlägen vorausgingen. Für die Korrespondentin Angela Köhler verbrannte »im atomaren Schmelztiegel für sehr viele Japaner die Schuld des eigenen Aggressionskrieges« (Badische Zeitung, 6.8.2015). Im Angesicht eigenen Elends stahlen sich viele aus der Verantwortung und glaubten, die erlittene Hölle auf Erden könne eigenes Unrecht auslöschen. An diese Verantwortung muss jedoch erinnert werden, da sonst Geschichte verfälscht sowie weiter an der Legende gestrickt wird, wonach die Atombomben Japans Schuld gegenüber seinen Nachbarn ausgelöscht hätten. 1876 besetzt Japan die chinesischen Bonin- und Riukiuinseln und setzt damit erste Zeichen, nach dem »Vorbild« westlicher Länder ein Kolonialreich zu gründen und nicht selbst trostlose Kolonie einer dieser Staaten zu werden. Bis zur Kapitulation am 2. September 1945 soll nun Asien am japanischen Wesen genesen. Gemäß der Losung »Asien den Asiaten« dreht das Kaiserreich das Vorurteil von der »Gelben Gefahr« um und warnt seinerseits nicht nur die asiatischen Völker vor der »weißen Gefahr«, sondern bietet ihnen sogar an, sie von der jeweiligen Kolonialmacht zu befreien. Die eigene Eroberungspolitik wird gerechtfertigt mit der Überlegenheit, Einzigartigkeit sowie Reinheit der japanischen »Yamato-Rasse«, die berufen sei, die anderen »Rassen« zu führen – seien es Chinesen, Korea-ner, Mongolen oder Mandschu. Ab September 1940 ist Japan durch den Dreimächtepakt militärisch verbündet mit Italien und Deutschland. Bereits 1936/37 haben die Schurkenstaaten den Antikominternpakt geschlossen. 1942 ist Japan Weltmacht, erreicht seine größte Ausdehnung und herrscht über Taiwan und die Pescadores-Inseln (ab 1895), Süd-Sachalin (1905), Korea (1910), die im Pazifik gelegenen, für eine kurze Zeit »deutsch« gewesenen Palau-, Marshall-, Karolinen- und nördlichen Marianeninseln (1919), die Mandschurei im Nordosten Chinas (1931), die gesamte chinesische Küste (1937/38), Vietnam, Laos, Kambodscha, Malaysia (1940/41), Hongkong und Singapur (1941/42), Burma, die Philippinen, Indonesien, Timor und die Sundainseln (1942). Japan hat für eine kurze Zeit ein Hauptziel seiner Expansion erreicht: den Inselstaat mit dringend benötigten Bodenschätzen und Rohstoffen für die heimische Industrie zu versorgen. Es beherrscht ein Kolonialreich mit rund 450 Millionen Einwohnern und verfügt über 95 Prozent der Weltproduktion an Gummi, 90 Prozent an Chinin und 70 Prozent an Zinn; es hat genügend Erdöl und Kohle sowie wichtige Erze wie Bauxit und Chromerz. Den Preis für diese am Größenwahn westlicher Staaten orientierte Politik zahlen – wie immer – Mensch, Tier und Natur in den betroffenen Gebieten. Das Ausmaß der Gräueltaten japanischer Soldaten kann hier nur beispielhaft angedeutet werden. Zusammengefasst geht es um Massenmord, die Bombardierung von Städten, eine Strategie der verbrannten Erde, den Einsatz biologischer und chemischer Kampfstoffe, Menschenversuche, die Misshandlung von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeit, Massenvergewaltigungen und das System der Zwangsprostitution, Plünderungen sowie Hungerkatastrophen in besetzten Ländern. Das erste bekannte Massaker ist das von Pingdingshan, einem Dorf in der Mandschurei, im September 1932: Japanische Soldaten treiben rund 3000 Einwohner des Dorfes zusammen, in dem sie Widerstand vermuten, töten sie, verbrennen ihre Leichen und fackeln das ganze Dorf ab. Bereits im Januar 1932 bombardieren japanische Flugzeuge Shanghai – 18.000 Zivilisten sterben. Im Dezember 1937 kommt es zum sechs Wochen andauernden Massaker von Nanking, der damaligen chinesischen Hauptstadt. Zivilisten und Kriegsgefangene werden zu Tausenden mit dem Bajonett erstochen, erschossen, geköpft, ertränkt und lebendig begraben. Insgesamt 200.000 bis 300.000 Menschen. Nach der Einnahme Singapurs 1942 werden auf der Malaiischen Halbinsel etwa 90.000 ethnische Chinesen an den Stränden massakriert, bei den Kämpfen um die philippinische Hauptstadt Manila kommen 1945 rund 100.000 Menschen ums Leben. Durch die Bombardierung chinesischer Städte wie zum Beispiel Shanghai, Nanking sowie Chongqing sterben zwischen 1931 und 1945 etwa 350.000 Personen. Ab 1932 entwickelt und erprobt die japanische Armee in der Mandschurei biologische und chemische Kampfstoffe. Zu diesem Zweck führt sie Experimente durch an über 3000 Chinesen, Koreanern, Mongolen und Russen. Es gibt keine Überlebenden. Seit Oktober 1938 setzt die japanische Armee in China Giftgas ein, ab 1940 bakteriologische Waffen wie Pest-, Typhus- und Choleraerreger. Der Einsatz dieser Waffen kostet etwa 187.000 Menschen das Leben. In japanischen Lagern verhungern tagtäglich Kriegsgefangene oder werden gefoltert und getötet. Hunderttausende von ihnen sowie Millionen Zivilisten aus den besetzten Gebieten werden zur Zwangsarbeit eingesetzt, etwa in Japans Kohlebergwerken und der Schwerindustrie. Oder beim Bau der Eisenbahnlinie Thailand-Burma; hierbei gehen ab Mai 1942 über 100.000 Menschen zu Grunde. Vor allem in China, Vietnam und Indonesien verhungern mehrere Millionen Menschen, da die japanischen Truppen rücksichtslos Lebensmittel beschlagnahmen. In allen besetzten Gebieten werden Militärbordelle eingerichtet, in denen schätzungsweise bis zu 300.000 Mädchen und Frauen vergewaltigt und – besonders gegen Ende des Krieges – zu Tausenden getötet werden. Nach amtlichen Schätzungen sterben insgesamt 20 Millionen Ost- und Südostasiaten infolge der japanischen Kriegs- und Besatzungspolitik. Der US-amerikanische Politologe Chalmers Johnson geht von bis zu 30 Millionen Toten aus. Zwischen 50 und 100 Millionen Menschen sollen geflohen sein. Im Frieden von San Francisco (1951) verliert Japan alle zuvor eroberten Gebiete. Der westliche, angelsächsische Kapitalismus, den Japan in extrem kurzer Zeit kopiert hat, löst nicht die Probleme eines Landes, schon gar nicht die weltweiten, sondern er verschärft sie und endet zwangsläufig immer wieder in der Katastrophe. Er produziert nach innen wie nach außen Ausbeutung und Unterdrückung. Mehr oder weniger zwangsläufig benötigt er ausländische Märkte als billige Rohstofflieferanten, für den Absatz überschüssiger Produkte sowie zur Anlage überschüssigen Kapitals. Und den Krieg trägt der Kapitalismus in sich »wie die Wolke den Regen« (Jean Jaurės). Deshalb wäre heute eine neue Form der Wirtschaft dringend nötig, die den Menschen ein Leben frei von Armut und Hunger, von Krieg und Vertreibung gewährleistet. Wird sie kommen? Oder wird eines nicht mehr fernen Tages ein zunächst lokal geführter Krieg erneut in einem Höllenbrand enden? Diesmal im Namen von westlicher »Freiheit«, »Demokratie« und »Menschenrechten«. Im Vergleich dazu dürfte die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki mehr und mehr verblassen. Hauptquellen: Tino Schölz (Hg.): »Kriegsverbrechen und Öffentlichkeit in Japan«, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2009; Japanische Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg: https://de.wikipedia.org/wiki/Japanische_Kriegsverbrechen_im_Zweiten_Weltkrieg
Erschienen in Ossietzky 18/2015 |
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