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Tonangebende Medien, brave Wissenschaftler und Theologen, gelegentlich auch eine Dichterin helfen ihnen, diesen Glauben zu verbreiten und zu festigen. Am 26. August (eben wurde wieder über Brandanschläge auf Flüchtlingsheime berichtet) erfahre ich in den Acht-Uhr-Nachrichten von Radio Berlin-Brandenburg (RBB), dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein Wohnungsbauprogramm für Flüchtlinge angekündigt hat. Dafür sollen Bauvorschriften gelockert werden. Als Beispiel nennt der Minister die Vorschriften für den Brandschutz. So gewinnt man Glaubwürdigkeit. Die berühmte Dichterin Herta Müller verkündet, wer an Ausländerfeindlichkeit im Osten schuld ist: selbstverständlich der Kommunismus, der hier bis vor 26 Jahren geherrscht hat. Solche Glaubenssätze bedürfen stetiger Wiederholung, dann werden sie zu Wahrheiten. Und das Wort der Dichterin ist allemal von tiefer, dunkelster Wahrheit erfüllt. In der Hauptstadt Berlin, zwischen den Stadtteilen Mitte und Wedding, nähert sich die 1,4 Kilometer lange Gedenkstätte Berliner Mauer ihrer Fertigstellung. Schon jetzt lernen hier täglich Tausende Besucher, darunter viele Schulklassen, sich zu empören: über das drei Meter hohe Schandmal, das Monstrum, die Ungeheuerlichkeit, über die weit mehr als 100 Mauertoten in den Jahren 1961 bis 1989 und die ganze kommunistische Gewaltherrschaft. Man darf nur nicht die Gedanken abirren lassen: zu der neun Meter hohen israelischen Mauer auf palästinensischem Boden, den Grenzsperren im Norden Marokkos oder im Süden Ungarns oder zwischen den USA und Mexiko, zu den vielen Tausenden Toten im Mittelmeer. Überlieferte Freund- und Feindbilder bleiben glaubwürdig, solange wir keine Vergleiche ziehen, keine Zusammenhänge erkennen. Laut Grundgesetz ist die Bundesrepublik Deutschland ein Sozialstaat; die Minister sind darauf vereidigt. Aber immer mehr Menschen werden arm, und die Armen versinken immer tiefer in Armut, während die Reichen immer reicher werden. Über solche Widersprüche sollen wir gar nicht erst nachdenken, dann bleiben die Minister glaubwürdig. Dank Forschung und Technik können Waren mit immer geringerem Arbeitsaufwand hergestellt werden. Die Arbeitslosigkeit könnte längst überwunden sein – ganz einfach durch Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit auf sieben Stunden pro Tag, vier Tage in der Woche. Aber die organisierte Unternehmerschaft will sich das Herrschaftsinstrument Arbeitslosigkeit nicht aus der Hand nehmen lassen. Führende Politiker vermeiden jede Diskussion darüber, und auch bange Gewerkschafter hüten sich, es zum Thema zu machen. Seit Jahrzehnten steht in Partei- und Wahlprogrammen, zur Schonung der Umwelt wolle man möglichst viel Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern. Das Gegenteil geschieht. Aber an der Glaubwürdigkeit der verantwortlichen Politiker und der tonangebenden Publizisten soll nicht gezweifelt werden. Wer wird sich denn mit der Automobilindustrie anlegen? Ein Öko-Bauer in Brandenburg stellt fest, dass seine Äcker mit Herbiziden vergiftet sind, obwohl er selber nie gespritzt hat. So kommt heraus, dass das Gift von anderen, kilometerweit entfernten Höfen herübergeweht worden ist. Wie reagiert die Europäische Union? Sie hebt (laut Frankfurter Rundschau vom 26. August) die Grenzwerte für Pendimethalin an: in Knollensellerie aufs Doppelte, in Karotten und Meerrettich aufs Dreifache, in Kohlrüben aufs Achtfache. Glaubwürdiger Schutz für Landwirte und Verbraucher? Nein. Aber glaubwürdige Interessenvertretung für Chemiekonzerne. Die BRD ist laut Grundgesetz ein demokratischer Rechtsstaat, und wir haben sogar ein Grundrecht auf »informationelle Selbstbestimmung«. Aber dass ein US-amerikanischer Geheimdienst die Deutschen bis hin zur Bundeskanzlerin ausspioniert, dass ihm der Bundesnachrichtendienst behilflich ist, dass er die Rechenzentren der Deutschen Telekom anzapft, E-Mails und Bewegungsdaten an die USA weiterleitet und die Abgeordneten täuscht, die ihn kontrollieren sollen, all das scheint die regierenden Politiker hierzulande kaum zu interessieren. Jedenfalls darf es uns nicht aus der Ruhe bringen. Wir sollen ihnen glauben, dass sie es sind, die uns regieren, und dass sie alles fest im Griff haben. Unsere Abgeordneten werden auch nicht über die TTIP-Verhandlungen informiert. Aber die Regierenden, die Medien, die Dichterin und auch manche braven Oppositionsabgeordneten schweigen dazu – wir sollen doch den Glauben an die parlamentarische Demokratie nicht verlieren. Stillschweigen herrscht auch über das Kommando Spezialkräfte, den Geheimverband der Bundeswehr, über dessen Aktivitäten zum Beispiel in Afghanistan die Bundesregierung den Bundestag nicht informiert, nicht einmal den Verteidigungsausschuss. Nachdem Untersuchungsausschüsse herausgefunden haben, dass Verfassungsschutzämter tief in den »Nationalsozialistischen Untergrund« verwickelt waren und polizeiliche Ermittlungen hintertrieben haben, bereitet die Bundesregierung jetzt ein Gesetz vor, das die Kompetenzen des Bundesamts ausweitet: Es ermöglicht den Einsatz einschlägig vorbestrafter V-Leute und garantiert auch verdeckten Ermittlern Straffreiheit für Körperverletzung, Nötigung, Sachbeschädigung und andere Straftaten. So hat alles seine Ordnung. Weltweit. Die Regierenden in Japan genehmigen 70 Jahre nach Hiroshima, bald fünf Jahre nach Fukushima konsequent die Wiederaufnahme der Atomstromerzeugung und die Rückkehr zu militärischer Machtentfaltung. Und die NATO sorgt mit wirtschaftlichen Sanktionen, Waffenlieferungen, Militärberatern und geheimdienstlichen Methoden für glaubwürdige Abschreckung in Nah- und Mittelost. Millionenstädte wie Damaskus und Aleppo liegen schon in Trümmern. Wer seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren will, muss immer mehr Länder in Trümmer legen, immer mehr Völker in die Flucht treiben.
Erschienen in Ossietzky 18/2015 |
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