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Zugespitzt formuliert heißt das: Wer berufliche Alternativen hat, geht nicht zur Bundeswehr« – das sagen zum Beispiel die Militärsoziologen Nina Leonhard und Heiko Biehl (Militärsoziologie: Eine Einführung, 2. Auflage Wiesbaden 2012), die beide bei der Bundeswehr arbeiten (Leonhard in der Führungsakademie, Biehl am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften). Wesentlich unfreundlicher und erheblich elitärer drückt das der ebenfalls bundeswehraffine Michael Wolffsohn aus, wenn er die Bundeswehr auf dem Weg zur »Unterschichten«-Armee sieht (Welt, 21.8.2009). Nun mag zum Stiefelputzen noch jeder Proletarier taugen, aber die immer komplexer werdende Waffentechnik und auch die Logistik der Auslandseinsätze verlangen geistige und körperliche Fähigkeiten, denen ein Großteil der heutigen Bewerber nicht gerecht wird. Um dieser Entwicklung, die letztlich die Kriegführungsfähigkeit der Bundeswehr bedroht, gegenzusteuern, setzt die Bundeswehr auf Werbung. Standen für den Posten Nachwuchswerbung im Haushaltsplan des Jahres 2011 noch 16 Millionen Euro zur Verfügung, sind es für dieses Jahr schon über 35 Millionen. Von so einer Budgetverdoppelung kann die Friedensbewegung nur träumen. Über die Hälfte der Gelder geht für klassische Anzeigen drauf: 21 Millionen Euro wurden 2014 in Printmedien, Radio, TV, Internet und so weiter gesteckt. Der größte Zuwachs wurde bei der sogenannten Out-of-home-Werbung verzeichnet, einfacher gesagt: Reklame auf Plakatwänden und ähnlichem in der Öffentlichkeit. Dieser Posten stieg von 1,2 auf 5,3 Millionen Euro. Bevorzugte Aussage solcher Werbung ist die Darstellung der Bundeswehr als »attraktiver Arbeitgeber«: »Karriere mit Zukunft« lautet das Motto. Einen wichtigen Stellenwert nimmt hier auch die Werbung im Sportbereich ein. Für Bandenwerbung, Trikotaufdrucke und Videospots auf Leinwänden zahlte die Bundeswehr im Jahr 2013 rund 450.000 Euro, fast doppelt so viel wie noch im Jahr 2012. Da kann für vergleichsweise wenig Geld ein großes Publikum erreicht werden. Ist solche Werbung häufig zielgruppenübergreifend – auch Eltern müssen davon überzeugt werden, ihren Nachwuchs in den Krieg zu schicken –, richten sich andere Werbekampagnen speziell an Jugendliche, die bald ins einberufungsfähige Alter kommen. Einer der Haupt-Tatorte der Bundeswehr-Reklame: Schulen. Dort treten zum einen sogenannte Karriereberater auf, die Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten schildern. Deren Aktivität hat im Jahr 2014 deutlich zugenommen: Sie waren an rund 1000 Schulen im Rahmen von Projekt- oder Berufsbildungstagen vertreten, das sind 400 mehr als ein Jahr zuvor. Die Zahl der dabei erreichten Schüler verdoppelte sich auf 185.000. Auch Vortragsveranstaltungen im Klassenrahmen bieten diese Rekrutierungsoffiziere an, hierbei ist das Interesse allerdings rückläufig, es wurden mit 139.000 Schülern 50.000 weniger als im Jahr davor erreicht. Weitgehend konstant blieben die Einsatzzahlen der Jugendoffiziere, der zweiten Säule der Militärwerbung an Schulen. Sie sind dafür zuständig, den Schülern die politische Legitimation der Bundeswehr und ihrer Einsätze zu vermitteln, wobei sie strikt an die offiziellen Vorgaben aus dem Verteidigungsministerium gebunden sind. Diesen Job erfüllten sie im Vorjahr gegenüber 119.000 Schülern, ein Plus von 2000 – was angesichts rückläufiger Gesamtschülerzahlen davon zeugt, welch hohen Stellenwert die Bundeswehr der Werbung an der Schulfront einräumt. Zu den Arbeitsmethoden gehören auch hier neben Frontalvorträgen vor allem Seminare und Einladungen zu Truppenbesuchen. Fast 37.000 Schüler folgten den Einladungen von Jugendoffizieren und Karriereberatern zu solchen Kasernen-Stippvisiten. Aber nicht nur Schüler, sondern auch das Lehrpersonal gehört zur Zielgruppe der Bundeswehr-Propaganda: 11.855 Lehrern und Referendaren (100 mehr als 2013) wurden allein durch die Jugendoffiziere die offizielle Sicherheitspolitik erläutert, sowohl durch Vorträge als auch im Rahmen teilweise mehrtägiger Seminare. Dort lernen Pädagogen, was sie später den Schülern als vermeintlich objektives Wissen vermitteln sollen. Auch das verstärkte Interesse an den Karriereberatern auf Schulhöfen geht, so die Bundeswehr, auf verstärkte Nachfrage von Seiten der Bildungseinrichtungen zurück. Hier bleibt noch viel zu tun für die GEW, die sich auf Bundesebene schon lange dagegen ausspricht, die Bundeswehr an Schulen werben zu lassen. Zugelegt hat auch die Reichweite der Nachwuchswerber außerhalb von Schulen. Ein Segment des Personalmarketings der Bundeswehr trägt die Eigenbezeichnung »Jugendmarketing«. Dessen Auftrag formulierte das (inzwischen umbenannte) Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr schon im Jahr 2007 mit den Worten, »für die jugendlichen Freunde und Partner wären jugendgerecht gestaltete Internetseiten und Veranstaltungen mit einem höheren Unterhaltungswert zu empfehlen«. Dazu gehören häufig sportorientierte Veranstaltungen des Formats »Bw-Adventure Camps«, »Bw-Olympix«, »Bw-Beachen« und so weiter. Den auserwählten, sportlichen Jugendlichen (nur deutsche Staatsbürger sind zugelassen) werden etwa »krasse Wasserwettkämpfe« und dergleichen versprochen, es winken unter anderem Reisen auf Luftwaffenstützpunkte im Ausland. Etwas über eine halbe Million Euro kostete dieser »Spaß« im vergangenen Jahr. Die unmittelbare Teilnehmerzahl ist mit nur wenig über 1000 Jugendlichen gering, aber: Die Bewerbung allein von Bw-Olympix erreichte über facebook mehr als 350.000 Kontakte, durch Anzeigenschaltung im Printmedienbereich (Bravo und ähnliche) wurden, nach offiziellen Angaben, über vier Millionen Personen erreicht. Die bundeswehreigenen »Karriereseiten« im Internet verzeichneten voriges Jahr einen rasanten Zuwachs von 3,6 Millionen auf 5,5 Millionen Klicks. Speziell auf Arbeitslose getrimmt sind »Informationsveranstaltungen«, die mittlerweile landauf, landab in Jobcentern stattfinden. Dort absolvierten die Werbesoldaten mit 1000 Vorträgen fast doppelt so viele Einsätze wie im Vorjahr. Erreichte Personen: 20.000. Schließlich setzt die Bundeswehr zunehmend auf Werbestände im Rahmen ziviler Freizeit- und (Aus-)Bildungsmessen. Ohne ihr Budget wesentlich zu erhöhen, hat sie ihre Präsenz im vergangenen Jahr um 300 auf insgesamt 1800 solcher Ausstellungen erhöht. Die Zahl der dabei erreichten Personen stieg – nach Angaben der zivilen Messeveranstalter – von 15 auf 19 Millionen. Diese Strategie wird in der kritischen Militärsoziologie als »banaler Militarismus« bezeichnet: Sich unters Volk mischen, um die scheinbare Normalität des Militärischen zu demonstrieren – auch das ist eine Form der (schleichenden) Militarisierung der Gesellschaft. Das Konzept geht allerdings längst nicht immer auf: Geht die Bundeswehr in die Öffentlichkeit, droht ihr dort auch öffentlicher Protest. Häufig genügt schon eine kleine Anzahl von DemonstrantInnen, um aufzuzeigen, dass das Militärische eben nichts »Normales« ist. Wenn FriedensaktivistInnen visuell – als Straßentheater oder auf Plakatwänden – in Erinnerung rufen, dass Krieg nun mal Blut, Tod und Verletzung bedeutet, ist es mit der »Normalität« schnell vorbei. Frank Brendle ist Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Berlin-Brandenburg. Die verwendeten Zahlen stammen aus Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke).
Erschienen in Ossietzky 17/2015 |
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