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Dabei war mir die wichtige Inszenierung von Claus Peymann 1979 in Stuttgart mit dem köstlichen Branko Samarovski als Mephisto entgangen, die später noch in Hamburg gezeigt worden war. Sie sei hier noch ausdrücklich genannt. Vom Berliner Ensemble nun zum mindestens genauso berühmten, doch älteren Deutschen Theater in der Schumannstraße. Ein ideal gelegener Platz – mitten im Großstadtgetriebe und doch wie eine Insel –, ein Platz zum Ausruhen, bevor man von der City-Spannung in die der Kunst gelangt. Vor den Eingängen vier Skulpturen, Köpfe auf säulenartigen Pfeilern: die Köpfe der vier Theaterleiter, die dem einstigen Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater als Deutschem zum Ruhm verhalfen: Otto Brahm, Max Reinhardt, Heinz Hilpert und Wolfgang Langhoff. Gehörten da nicht inzwischen auch die Büsten von Wolfgang Heinz und Benno Besson (zwar nicht Intendant, aber der größte Theatermacher jener Zeit) hin? Glücklich eine Stadt, die gleich zwei erste Häuser dieses Ranges hat – das BE und das DT und so nahe benachbart! Das BE (oder Theater am Schiffbauerdamm, wie es vorher hieß und auch heute im Untertitel bezeichnet wird) als Theater eines unerhörten Umbruchs, das sich thematisch wie ästhetisch solchem gestellt hat, mit neuen Methoden und ebenfalls großen Schauspielern, um nur Helene Weigel, Angelica Hurwicz und Ernst Busch zu nennen; dessen langjähriger künstlerischer Leiter Bertolt Brecht hieß und etlichen seiner Schüler die Leitung übergeben hatte, bis es in die Hände anderer Großer wie Claus Peymann gekommen war, der sich Teilen dieser Tradition durchaus verpflichtet fühlt. Und das DT? Schon seit seinem Antritt Stätte hoher und höchster Schauspielkunst, mögen ihre Träger Durieux, Eysoldt, Heims, Sorma, Thimig oder Bassermann, Moissi, Schildkraut, Steinrück, etwas später Wegener, Kleinau, in den fünfziger und siebziger Jahren Bienert, Böwe, Düren, Franke, Grashof, Holtz, Ludwig, Lang, Mann, Piontek, Solter oder Danegger, Grube-Deister, Keller, Pelikowski, Paryla, Ritter, Wachowiak geheißen haben, der große Busch spielte auch im DT zuhause. Dazu Intendanten und Regisseure von Format: Wolfgang Heinz in Personalunion als Leiter, Regisseur und Schauspieler; sein Wallenstein und sein Nathan blieben unvergesslich: Im »Wallenstein« strahlten die Sterne wirklich bei Nacht, und der Jude Nathan vom Juden Hirsch wusste, was Jüdisch-Sein bedeutet, vor allem wenn Nathan nach der Shoah gespielt wird. Das Stück war von Wegener über Winterstein bis Otto Mellies eine langjährige Säule des Spielplans. Man darf gespannt sein auf den von Andreas Kriegenburg inszenierten Nathan, der am 30. August seine Premiere hat. Wolfgang Langhoff leitete vor Wolfgang Heinz – nach dem kurzen Zwischenspiel Gustav von Wangenheims – von 1946 bis 1963 das Haus und führte es in schwieriger Zeit zu neuer Blüte. Neben überragenden Neudeutungen klassischer Dramen förderte er junge, vor allem sozialistische Dramatiker wie Peter Hacks, dessen »Sorgen und die Macht« nach der relativ problemlosen Uraufführung 1960 in Senftenberg in Langhoffs DT-Inszenierung einen nach heutigem Verständnis unerklärlichen politischen Skandal ausgelöst hatte, in deren Folge Langhoff als Intendant abgelöst worden war. Eine neue Aufführung des – bearbeiteten und etwas aktualisierten – Stückes vor einigen Jahren durch Tom Kühnel und Jürgen Kuttner hat die Fragwürdigkeit jener Vorgänge spielend bewiesen. Unter den beiden genannten Bühnenleitern konnten sich auch Regisseure von Rang profilieren, so der genannte Besson vor allem mit »Der Frieden« (Aristophanes/Hacks), Molière »Der Tartüff« (mit Düren), Meilhac/Halévy/Offenbach/Hacks »Die schöne Helena«, Jewgenij Schwarz »Der Drache« (mit Esche, Ludwig, Drinda), Sophokles/Hölderlin/Müller »Ödipus Tyrann«, Hacks »Moritz Tassow« und zahlreichen Brecht-Inszenierungen an verschiedenen Bühnen. Nicht vergessen werden darf Adolf Dresen, dessen Shakespeare-Arbeiten wie »Maß für Maß« unvergessen bleiben, ebenso seine O´Casey-Arbeiten sowie die mit Lasker-Schüler und Barlach; leider konnte er den geplanten »Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil« nicht vollenden – es war kulturpolitische Kurzsichtigkeit zum Spiel. Kurz: Welcher Glanz in dieser Hütte. Können sich das heutige Ensemble, die Schauspieler, die Spielleiter mit ihren Stücken beziehungsweise Inszenierungen des Hauses Ulrich Khuon behaupten? Zunächst: Das DT mit seinen drei Spielplätzen – dem großen Haus, der Kammer, Box und Bar – hat ein kaum noch übersehbares Repertoire: Ich zählte circa 50 Produktionen bereits älteren Datums sowie ständig neue, wie es sein muss bei lebendigem Bühnenleben; sechs wurden mit Ende der Spielzeit abgesetzt, darunter »Tabula rasa: Gruppentanz und Klassenkampf« nach Sternheim und Schillers »Verbrecher aus verlorener Ehre«. Hinzu kommen noch etwa ein Dutzend Vorträge beziehungsweise Lesungen; außerdem die Gysi-Interviews. Das ist auch für den Beschreiber kaum zu bewältigen. Beginnen möchte ich mit etwas selten gewordenem Heiterem, ja Schönem: »Die Schönheit von Ost-Berlin« mit dem Untertitel »Eine Ronald-M.-Schernikau-Collage« in einer Inszenierung von Bastian Kraft in den Kammerspielen. Das freut mich nicht nur wegen dieses leider fast vergessenen oder besser gesagt: gar nicht erst richtig bekannt gewordenen und früh verstorbenen Schriftstellers. Er war ein von Peter Hacks geförderter Autor und mit diesem geradezu befreundet. Es klingt fast wie eine kleine Wiedergutmachung an dem großen Dramatiker Hacks, der, einst viel gespielt an diesem Haus, seit längerem daraus vertrieben ist, es sei denn, Simone von Zglinicki oder Corinna Harfouch lesen »Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe« oder aus Werken der Else Lasker-Schüler. Wo bleibt das eigen- wie wertsinnige Spätwerk dessen, der sich selbst als Klassiker bezeichnet hatte? Zu Schernikau, über den es jetzt auch eine Biografie gibt, spazierte ich gern. Da ist ein Stück guter Text zu gutem Spiel geworden. Man geht sonst nur selten noch so vergnügt von der Schumannstraße weg. In der Menge bringt das DT auf seinen drei Spielstätten ja viel zwischen Antike und Gegenwart, zwischen Shakespeare, Molière und Schiller, Büchner und Ibsen, Schnitzler und Frisch, Sartre und Handke, Dea Loher, Eugen Ruge und dem bis dato wenig bekannten Russen Iwan Wyrypajew. Sogar Filme wie »Herbstsonate« von Ingmar Bergman hat man vertheatert (Jan Bosse als Regisseur), ja wozu: um Gattungsgesetze zu verletzen? Das hat wohl kaum gelohnt. Aufmerksamkeit verdienen freilich die zahlreichen Vorträge und Gespräche, etwa Gregor Gysi trifft Ulrich Matthes, trifft Günther Jauch … Sogar witzig ist man, so, wenn ich die smarte Umschreibung der noch immer bestehenden Gesellschafts-Unordnung »Kaputtalismus« lese (Vortrag von Robert Misik, den ich leider nicht wahrnehmen konnte – schade!). Nun vom weiteren Spaziergang und unserm heitern »Ostberliner« Auftakt zur grimmen Tragödie: »Ödipus Stadt«, einer Mischung Sophokles, Euripides, Aischylos, eine Mischung, die mir nun gar nicht gefällt. Inszeniert hat Stephan Kimmig. Hat denn keiner aus Dramaturgie, Regieteam oder von den Schauspielern gemerkt, welche außerordentlichen Stile und Sprachrhythmen (selbst in den Übersetzungen) zusammenprallen? Herausgekommen ist da auch von der Idee her kaum Bemerkenswertes. Ein wenig Show auf den Brettern, die Welt bedeuten sollen? Ich hab mich viel mit Antike beschäftigt und darüber Etliches veröffentlicht; im Ursprungsland Etliches gesehen und vom griechischen Meisterregisseur Karolus Koun einiges gelernt, so etwas wäre dem nie eingefallen, und weder in Athen noch in Epidauros hab ich so etwas wahrgenommen. Da ist zu viel Regie-Effekthascherei im Spiel.
Erschienen in Ossietzky 16/2015 |
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