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Ab 2019 soll die Regierung Jahr für Jahr einen Haushaltsüberschuss hinkriegen – es sei denn, die Wirtschaft steckt in der Rezession. Eben deshalb will der Schatzkanzler bis 2019 »hart sparen« – 37 Milliarden Pfund (knapp 52 Milliarden Euro) sollen weniger ausgegeben werden. Zudem will er zusätzliche Einnahmen generieren, sprich vom Staat noch kontrollierte Unternehmungen und Dienste so radikal privatisieren »wie seit 1987 nicht mehr«. Kurz: Die regierenden Tories »wollen weg von einem Land mit hohen Sozialausgaben und hohen Steuern hin zu einem Land mit niedrigen Sozialausgaben und niedrigen Steuern«. Für das »big business« eine gute Nachricht. Die Gewerbesteuer wird von derzeit 20 auf 18 Prozent gekürzt und die steuerliche Abzugsfähigkeit von Investitionen deutlich erhöht. Vor allem aber hat George Osborne die Banker an Europas wichtigstem Finanzplatz, der City of London (s. Ossietzky 9/2013), erhört. Sie hatten im Wahlkampf damit gedroht, wegen der nach der Finanzkrise eingeführten hohen Sondersteuer (»bank levy«) ihren Sitz aus London nach Asien zu verlegen, und darüber hinaus die von der Bankenaufsicht geforderten grundlegenden Reformen – etwa die konsequente Trennung der Kundeneinlagen von den krisentreibenden Investmentbanking-Aktivitäten – als übertrieben hart beklagt. Inzwischen ist die Sondersteuer Geschichte und der durchsetzungsmächtige Chef der Finanzaufsicht aus dem Verkehr gezogen. Die Bankenlobby, so viel steht fest, hat fortan einen wahren Schatz an der Seite – Schatzkanzler Osborne. Für den Großteil der britischen Bevölkerung sowie die noch rund fünfeinhalb Millionen Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung sind die neuen Pläne der Regierung unter Premier Cameron hingegen keine gute Nachricht. Das »harte Sparen« geht auf ihre Kosten. So wird die Obergrenze der Sozialhilfe, die eine Familie pro Jahr erhalten kann, von derzeit 26.000 auf 23.000 Pfund in London und 20.000 Pfund in anderen Landesteilen gesenkt. Das Kindergeld wird nur noch für zwei Kinder gewährt, weitere gehen fortan leer aus. 18- bis 21jährige erhalten künftig keine Wohnbeihilfen mehr. Studenten aus ärmeren Haushalten, die bislang einen Unterhaltszuschuss von rund 3.400 Pfund im Jahr erhielten, bekommen ihn nur mehr in Form eines rückzahlungspflichtigen Darlehens. Die Angehörigen des Öffentlichen Dienstes, deren Gehalts- und Lohnzuwächse auf ein Prozent eingefroren worden sind, sollen in Zukunft höhere Sozialversicherungsbeiträge leisten (sprich Pensionskürzungen hinnehmen). Von den sich stetig verschlechternden Arbeitsbedingungen ganz zu schweigen. Nun verkündete George Osborne bei der Präsentation des Haushalts: »Dies ist ein Budget für die arbeitende Bevölkerung!« Und er betonte, Arbeit müsse sich wieder »mehr lohnen«. Eben deshalb soll der unter Tony Blair eingeführte gesetzliche Mindestlohn (»Minimum Wage«) bis 2020 schrittweise auf neun Pfund (12,50 Euro) die Stunde erhöht werden. Allerdings wird er in der vertrauten Form ab April 2016 entfallen. Ab dann soll der von Osborne gepriesene, obligatorische »National Living Wage« gelten – wohlgemerkt ausschließlich für über 25jährige Arbeitnehmer und zunächst in Höhe von 7,20 Pfund. Für die 18- bis 20jährigen sollen dann 5,30, für die 16- bis 17jährigen 3,87 und für die Auszubildenden 3,30 Pfund pro Stunde gelten – so das Regierungsversprechen. Besonders junge Familien, die sich mit prekären Jobs bisher gerade noch über Wasser halten, werden vom »National Living Wage« und den gleichzeitig durchgezogenen Streichungen von Sozialgeldern hart getroffen, prognostiziert das Institute for Fiscal Studies. Rund drei Millionen Familien werden zukünftig mindestens 1000 Pfund im Jahr weniger in der Haushaltskasse haben, und gut dreizehn Millionen Familien werden aufgrund der gekürzten Alterszuschläge, Steuerermäßigungen und Wohnbeihilfen durchschnittlich 260 Pfund im Jahr einbüßen. Abwarten und Tee trinken? Anfang des 20. Jahrhunderts sorgte eine Intellektuelle in London für Aufsehen: Beatrice Webb (1858–1943). Die überzeugte Sozialistin hatte in den Sweat Shops der damaligen Zeit gearbeitet und wurde schließlich Mitglied einer königlichen Kommission zur Armutsbekämpfung. Ihre Meinung und Erfahrungen deckten sich nicht mit denen der Mehrheit in der Kommission – eben deshalb verfasste sie einen Aufsehen erregenden Minderheitenbericht, in dem sie die um 1900 übliche Traktierung der Armen mit Arbeitshauspflichten und kümmerlichen Almosen scharf kritisierte. Beatrice Webb plädierte für die Errichtung eines Wohlfahrtsstaates. Sie forderte Gesundheitsversorgung für alle, ausreichend Nahrung und Bildung für die Jugend, ein sicheres Einkommen für Alte und Behinderte. Und sie stellte klar: Den Armen helfen am besten durchsetzungsstarke Gewerkschaften. Ich habe diesen Bericht »Volle Kraft zurück« betitelt. Wie es scheint, verfolgt die Tory-Regierung unter Premier Cameron mit allen Kräften das Ziel, die Bevölkerung wieder in den Zustand zu katapultieren, als es den 1942 von William Beveridge auf der Basis von Webbs Forderungen maßgeblich mitentwickelten britischen Wohlfahrtsstaat noch nicht gab. Schlimmer noch: Die Gesellschaft soll in eine Zeit rückversetzt werden, in der es noch keine kampf- und streikbereite Gewerkschaftsbewegung gab. Kaum zufällig legte Wirtschaftsminister Sajid Javid am 16. Juli einen Entwurf für ein neues »Gewerkschaftsgesetz« vor. Und was für einen – immerhin den härtesten Schleifversuch von Gewerkschaftsrechten seit 30 Jahren, sprich seit den von Margaret Thatcher durchgesetzten ersten Gesetzesänderungen zur Schwächung der Gewerkschaften. Die Tories wollen das neue Gesetz, präziser: diesen das Streikrecht massiv aushebelnden Generalstabsplan im Herbst ins Parlament einbringen. Bis dahin halte ich den Ball noch flach und erspare mir die haarsträubenden Einzelheiten. Ich mag mir nicht im Traum vorstellen, was aus Großbritannien wird, sollte das geplante Gesetz tatsächlich in Kraft treten.
Erschienen in Ossietzky 16/2015 |
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