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Doch der Generalbundesanwalt reagiert nicht. Als hingegen das Bundesamt für Verfassungsschutz gegen die Redaktion netzpolitik.org, die zur Enthüllung von Geheimdienstpraktiken beigetragen hatte, daraufhin Strafanzeige wegen Landesverrats erhob, eröffnete der Generalbundesanwalt eilfertig ein Ermittlungsverfahren. Wo kämen wir dann hin, wenn hierzulande Journalisten staatlichen Rechtsbruch bloßlegen dürften … Die Pressefreiheit (Artikel 5 Grundgesetz) ist eines der Grundrechte, die (laut Artikel 19 GG) »in ihrem Wesensgehalt unantastbar« sind. Man könnte daher vermuten, dass die amtlichen Verfassungsschützer auch ihr und gerade ihr besonderen Schutz angedeihen lassen. Aber diese Idee scheint sie noch nie angefochten zu haben. Im Gegenteil hat sich gezeigt, dass die Grundrechte und namentlich die Pressefreiheit dringend vor dieser Behörde geschützt werden müssen. Einschlägige Erfahrungen von Publizisten wie Günter Wallraff und Rolf Gössner haben das allemal bestätigt. Aber Geheimdienste lassen sich schwerlich kontrollieren und zähmen, eben weil sie sich als Geheimdienste gegenüber der Öffentlichkeit abschotten – sonst wären sie keine Geheimdienste mehr. Vor ihren undemokratischen Machenschaften kann uns nur die Öffentlichkeit schützen, also Aufklärungsarbeit von Journalisten, Wissenschaftlern, Parlamentariern – solange diese Behörden nicht wegen Entbehrlichkeit und Gefährlichkeit abgeschafft werden. Was längst an der Zeit ist. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, aufgebaut von dem ehemaligen Nazi-Staatsanwalt Hubert Schrübbers, und die Landesämter stehen ähnlich wie der Bundesnachrichtendienst und die Kriminalämter des Bundes und der Länder in übler Kontinuität gegen alles Linke. Antifaschismus, unsere beste Tradition, ist für sie ein Schimpfwort. Das Wort Frieden setzen sie gern in Anführungszeichen. Alles Rechte wird verharmlost. Vor fast 30 Jahren haben Ekkehardt Jürgens und ich unter Mitwirkung von Philip Agee, Stefan Aust und Manfred Bissinger ein Buch »Unheimlich zu Diensten – Medienmissbrauch durch Geheimdienste« gemacht. Ich nahm es jetzt aus dem Regal und stellte fest: Im Wesentlichen treffen unsere damaligen Beobachtungen weiterhin zu. Ich befasste mich dort vor allem mit politischer Verleumdung und Einschüchterung, mit denen die Verfassungsschutzämter der freien Meinungsbildung schaden. Diesem Zweck dienen die Jahresberichte, die von den jeweiligen Innenministern präsentiert werden, zwischendurch Monatsberichte und gezielt zugeleitete »Erkenntnisse«. So wurden Gewerkschaften und Kirchen vor angeblich drohendem Einfluss von links gewarnt. Zum Beispiel wurden einzelne Pfarrer wegen Mitwirkung an Protesten gegen die Raketen-Aufrüstung namentlich genannt. Die Aktion Sühnezeichen, die sich gegen eine solche Erwähnung zu wehren versuchte, wurde mit folgenden Sprüchen des zuständigen Innenministers abgefertigt: »Die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde hat im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages die Landesregierung vertraulich über extremistische Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Kirchentag unterrichtet und Einschätzungen möglicher Störungen durch Extremisten vorgenommen. Eine öffentliche Erörterung näherer Einzelheiten dieser vertraulichen Berichterstattung, die auch einem formellen Geheimnisschutz unterliegt, ist nicht möglich.« Derartigem Zynismus bekamen auch Opfer der mit geheimdienstlichen »Erkenntnissen« begründeten Berufsverbote zu lesen, wenn sie sich beschwerten. Dem Bonner Journalisten Karsten Knolle entstanden irreparable persönliche und berufliche Schäden, weil das Verfassungsschutzamt ihn mit falschen Behauptungen angeschwärzt hatte, so dass der Verleger meinte, ihn entlassen zu müssen. Der Journalist Hans G. Faust wurde verdächtigt, dem Spiegel Material für eine Artikelserie über illegale Lauschangriffe gegen den Atomindustrie-Manager Klaus Traube gegeben zu haben. Zweimal fanden bei Faust Hausdurchsuchungen statt, und auch Verwandte und Freunde mussten Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Die Bespitzelung des Journalisten ging so weit, dass in der Gemeinde, in der er wohnte, mehrere öffentliche Telefonzellen verfassungsschutzamtlich überwacht wurden. Auch seine Bankkonten wurden überprüft. Eine Zeitlang wurde Faust in Untersuchungshaft gehalten, davon mehr als drei Wochen in totaler Isolation. Als diese Verfolgung nach mehr als anderthalb Jahren vorüber war, sagte Faust: »Juristisch habe ich gesiegt – wirtschaftlich aber haben sie mich geschafft.« In einem langwierigen Verfahren gelang es ihm immerhin, eine Entschädigung zu erstreiten. Der dänische Journalist Flemming Sörensen saß acht Monate in Untersuchungshaft, nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz im Laufe von zwölf Jahren etliche »Erkenntnisse« über ihn gesammelt hatte. Es verdächtigte ihn einer Agententätigkeit im Dienste der DDR und gab dafür folgende Indizien an: Seine Korrespondententätigkeit für Tageszeitungen und Rundfunk in Dänemark sei von einer »sozialistisch-kommunistischen Grundhaltung« geprägt. Er habe »falsche Meldungen zum Beispiel über die Notstandsgesetze zugunsten des kommunistischen Ostblocks verfasst«, womit wohl gemeint war, seine zutreffenden, nicht beschönigenden Berichte über die Notstandsgesetze hätten das strahlende Bild der BRD im Ausland trüben und insofern – nach schlichtestem Schwarz-Weiß-Denken – den Kommunisten nützen können. Er habe, so wurde ihm weiter vorgeworfen, nach dem Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten die Aufnahme von DDR-Korrespondenten in den Bonner Verein der Auslandspresse bewirkt, dessen Vorsitzender er zeitweilig war. Und: Er habe an Initiativen der Friedensbewegung teilgenommen. Andere Journalisten hingegen, die im Sinne des Geheimdienstes schrieben, durften sich finanzieller Zuwendungen erfreuen – ähnlich wie V-Leute und Agents Provocateurs. Bis heute noch unzureichend aufgeklärt ist die Geschichte des Terrorismus in der Bundesrepublik und der damaligen geheimdienstlichen Irreführung der Öffentlichkeit. Dazu gehören die Umstände des Todes eines Journalisten und eines Studenten bei einer Anti-Springer-Demonstration in München; der tätliche Angriff eines Berliner V-Mannes auf einen Polizeibeamten bei einer Friedensdemonstration in Krefeld; die Aktivitäten von V-Leuten in der Frühphase der Roten Armee Fraktion (RAF) und der Bewegung 2. Juni; die Bemühungen der als Aufklärer firmierenden Dunkelmänner, Rote und Grüne sowie christliche Pazifisten in Verbindung mit Gewalttätigkeit zu bringen; der Bombenanschlag auf das Einwohnermeldeamt Braunschweig kurz vor der umstrittenen Volkszählung und die unkommentierte Verbreitung eines angeblichen Bekennerschreibens: »Wir, die Grünen, bekennen uns zum Anschlag in Braunschweig. Die nächste Bombe geht in Frankfurt hoch, wenn die Zählung stattfindet.« Die Grünen, die sich die Diffamierung nicht gefallen lassen wollten, fragten, warum dieser Passus in den Verfassungsschutzbericht kommentarlos übernommen wurde, obwohl die Sicherheitsbehörden bei der Partei keinerlei Ermittlungen aufgenommen hatten. Der niedersächsische Innenminister antwortete: »Eine Kommentierung – etwa in dem Sinne, dass keine Anhaltspunkte für eine tatsächliche Urheberschaft der ›Grünen‹ am Bekennerschreiben oder am Anschlag vorlagen – hätte den Eindruck erwecken können, es bedürfe einer solchen Kommentierung. Das galt es im Interesse der ›Grünen‹ zu vermeiden.« Nach Anschlägen auf das Landgericht Hannover und das Amtsgericht Hannover zitierte das niedersächsische Landesamt in einem Lagebericht über »Terrorismus von links« ein angebliches Bekennerschreiben, das mit der Parole schloss: »Solidarität mit der RAF, die antimilitaristische Front aufbauen«. Dies lasse »Rückschlüsse auf einen terroristischen Hintergrund« zu, befand das Amt. Der terroristische Hintergrund konnte aber erhellt werden. In einem Prozess gegen eine Neonazi-Gruppe stellte sich heraus, dass die Bombe, die am Amtsgericht Hannover hochgegangen war, sowie weitere Bomben mit Sprengstoff gefüllt gewesen waren, den ein Mitarbeiter des niedersächsischen Verfassungsschutzamtes, der ehemalige NPD-Mann Hans-Dieter L., besorgt hatte. L. hatte auch den Fachmann engagiert, der die Bomben herstellte. In L’s Wohnung wurden die Bomben einzelnen Neonazi-Aktivisten übergeben. Die am hannoverschen Amtsgericht explodierte Bombe war von zwei jungen Mitgliedern der Neonazi-Gruppe gelegt worden, in der L. als »Sicherheitsbeauftragter« fungierte. Das Landesamt hatte ihn ausdrücklich ermächtigt, an Straftaten wie der Einfuhr von faschistischem Propagandamaterial mitzuwirken, das in den USA gedruckt wurde. Von der Bombenproduktion und den Anschlägen will die Behörde jedoch nichts gewusst haben. Tatsächlich hatte sie rechtzeitig vor den Anschlägen eine Warnung des Berliner Amtes erhalten, weil L. einem dortigen V-Mann über seine Pläne berichtet hatte. Auf Antrag des niedersächsischen Innenministers musste L. im Gegensatz zu den anderen angeklagten Gruppenmitgliedern seine Strafe nicht absitzen, der Bundespräsident begnadigte ihn. In einem Prozess gegen eine andere Neonazi-Gruppe bestätigten sich Absichten, Attentate zu verüben, die den Linken in die Schuhe geschoben werden sollten, um ein für die Rechten günstiges Klima zu schaffen. In solche Zusammenhänge gehört auch die nächtliche Sprengung an der Celler Gefängnismauer, eine besonders bösartige Inszenierung der sogenannten Verfassungsschützer, die damit nicht nur Medien und Öffentlichkeit, sondern auch die Polizei täuschten. Übrigens: Eine Trauerfeier für die Opfer des neonazistischen Sprengstoffanschlags auf das Münchner Oktoberfest, des schwersten Terroraktes in der Geschichte der BRD mit 13 Toten und mehr als 200 Verletzten, wurde vom bayerischen Verfassungsschutzamt in seinem nächsten Monatsbericht unter »Linksextreme Aktivitäten und Bestrebungen« verbucht. Das Treiben der Wehrsportgruppe Hoffmann hingegen, der der Oktoberfest-Attentäter Gundolf Köhler angehörte, wurde von der Behörde jahrelang verharmlost. So zeigen sich Kontinuitätslinien, die dicht an das Treiben der neonazistischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und des Thüringer Verfassungsschutzamtes heranführen. Und bis heute widersetzt sich der Generalbundesanwalt dem Antrag, das schaurige Landesverratsurteil des Reichsgerichts gegen Carl von Ossietzky aufzuheben, den Redakteur der Weltbühne, der einen Artikel über geheime, völkerrechts- und verfassungswidrige Aufrüstung gebracht hatte. Ja, wo kämen wir denn hin, wenn Journalisten hierzulande staatlichen Rechtsbruch bloßlegen dürften. Vielleicht wird das Urteil noch gegen heutige und künftige Whistleblower gebraucht – wenn es ihnen zum Beispiel gelänge, das Treiben des Kommandos Spezialkräfte (KSK) aufzuklären, von dem die Öffentlichkeit nichts erfährt, auch der Bundestag nicht, nicht einmal der Verteidigungsausschuss des Bundestags.
Erschienen in Ossietzky 16/2015 |
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