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Das tff, das Rudolstadt-Festival für Weltmusik und Tanz, ist ein Kuddelmuddel eigener Art: Es gibt das, was man Cross-over nennt: Jazz mischt sich mit klassischer Sinfonik, Volkstanz mit Techno – und es gibt Darbietungen, die für ursprüngliche Kultur stehen: aus dem Innern Asiens oder Afrikas, diesmal besonders aus dem Hohen Norden, aus Norwegen, dem Gastland für 2015. Eine Einheimische, zum Fest befragt: »Ein Glück, das man jeder Stadt nur wünschen kann. Denn wer die Möglichkeit hat, sich zu verändern, bekommt eine Idee von der eigenen Weite. Ich freue mich über die Fremden, über den Rhythmus der Stadt, darüber, dass das seit so vielen Jahren möglich ist und zeigt, was eine kleine Stadt in der Provinz vermag. Ich freue mich auch darüber, dass es ums Tanzen und nicht nur ums Hören geht und dass es ein Fest für alle Altersklassen und die verschiedensten Musikvorlieben ist, ein Volksfest im allerbesten Wortsinn.« So spricht die Dichterin Daniela Danz, die im hauptamtlichen Nebenberuf das Schillerhaus leitet, in dem sich einst ein auswärtiger Schwabe mit einem schon thüringisch gewordenen Hessen traf. Der Berliner und seit sieben Jahren einheimische Theaterintendant Steffen Mensching, ebenfalls Dichter, formuliert drastischer: »Das tff ist für Rudolstadt eine jährliche Frischzellenkur, ein kalkulierter Welt-Schock, eine dosierte Droge, ein Tritt in den Arsch (der Spaß macht), ein Flirt mit der Bohème, ein Treffen mit Freunden und Bekannten und eine Rechnung mit vielen Unbekannten.« Nun ist der Anlass dieser jährlichen Rechnung, das »Danzfäsd«, älter als ein Vierteljahrhundert. 1955 wurde das »Fest des deutschen Volkstanzes« erstmals gefeiert. Grund: Die Stadt lag in der Mitte zwischen München und Berlin, im »Grünen Herzen Deutschlands«. 35 Jahre zuvor hatte sich aus ähnlichen Gründen der Verlag der Wandervogelbewegung, der Greifenverlag, hier angesiedelt. Auch der wollte »die Einheit des deutschen Volkes befördern«. Derlei Zuschreibung war in den Sechzigern nicht mehr opportun – man feierte jetzt das »Tanzfest der DDR«. Das aber wurde seit den Achtzigern von Folkies, widerspenstigen Liedermachern, »Kunden« gar, wie sich DDR-Tippelbrüder nannten, unterwandert. Auf der oberen, der staatlichen Seite, die zelebrierten Volkstänze aus Ruhla, der Volksrepublik Polen oder der autonomen kabardinobalkarischen Sowjetrepublik – seltsam mag uns das heute erscheinen. Auf den etwas löchrigen Straßen hingegen erste Ansätze von Straßenmusik, sehr ungelitten. 1990 kam die neue und junge Kulturdezernentin der Stadt, Petra Rottschalk, mit den Leipziger »Folkländern«, Menschen geringer Staatsfrömmigkeit, dienstlich zusammen, besonders mit Uli Doberenz, heute Festivaldirektor, und Jürgen B. Wolff, seit der Zeit Chefgrafiker, der die meisten der rumpelnden, pumpelnden, schuh- und maulsperrenden Leinwandfiguren hinter und vor den Bühnen zusammenbastelt. Man holte sich den rheinischen »FolkMichel«-Geist Bernhard Hanneken als künstlerischen Leiter – und kann ganz plötzlich schon Silberhochzeit feiern. Eine junge Truppe ist in die Jahre gekommen, hat verbessert, verfeinert, reorganisiert, neue Leute gewonnen und das Terrain der Tanzstadt längs der Saale vergrößert. Vier Tage lang verdoppelt sich die Einwohnerzahl, man haust in wenigen krachvollen Hotels, in Zelten, im Wohnmobil, unter freiem Himmel, sehr oft bei Freunden in der Stadt. Und wenn an einem Haus der Spruch steht »Willkommen im Haus der einzelnen Sandale«, so kann man nachfragen und wird sich vor Anekdoten nicht retten können. Vom »Folk in den Höfen« wird man hören und natürlich auch von einzelnen griesgrämigen Stadt-Exemplaren, die all das gar nicht mögen, die dahergelaufenen Rasenlatscher, lockeren Bändermädels, dreisten Gitarrenbubis, Krawallmacher, grünen Kommunisten, Linkschaoten … Das Fest polarisiert, gerade weil es wohl das friedlichste derartige Massenunternehmen ist. Kollektive Begeisterung und Individualismus schreiten Seit an Seit und singen alte und neue Lieder. Nein, diese Hupfdohlen mag der eine gar nicht und schon gar nicht rhythmisches Klatschen, die Vorstufe zum marschierenden Gleichschritt, doch Toleranz gehört zu dieser deutsch organisierten Stil-Revolution. Und so sind die alten und jungen Barden des Aufruhrs und der Welt-Zerklärung immer mal dabei, von Hannes Wader und Gerhard Polt über Wenzel bis zu Olaf Schubert, Anna Mateur und Rainald Grebe. Das größer gewordene Fest stolpert gelegentlich in Sicherheitsfallen, die seit Duisburg überall lauern. Die spontane Straßenmusik nimmt überhand, heißt es, in einem ohnehin Grenzen sprengenden Fest. Auftretende vermiesen Handelsmännern ungewollt Geschäfte, aber gerade das Fiedeln und Flöten, Hüpfen und Wummern an allen Straßenecken ist der Markenkern, wie das betriebswirtschaftlich heißen würde. Wurde früher Eintritt und Einlass von Schülern und Studenten geregelt, machen das jetzt Sicherheitsfirmen. Deren Diener sind Fußballschlachten und Rock-Arenen gewohnt und folglich verblüfft, dass auf ihre professionelle Bärbeißigkeit lächelnd reagiert wird. Denn Wiedererkennen ist hier mit Lächeln verknüpft. Der erfahrene tff-Gänger baut sich sein eigenes Fest und seine eigene Erinnerung zusammen. Er kann von der lauten zur leisen Bühne wechseln, ganz plötzlich oder seit Stunden geplant, und manchmal bekommt er genau dazwischen von beidem etwas mit. Cross-over als individuelle Entscheidung. In geöffneten Höfen beim original-originellen Kräutertee, in der Kirche bei der Pause zwischen zwei Auftritten, notfalls in der flachen, erfrischend kühlen Saale kann man seinen Raum der Stille finden; die Welt draußen tobt, lästert und schunkelt, im Kopf bleibt der leise Ton von vorhin. Ein Resümee? Noch einmal der hiesige Theatermann: »Für viele hier bedeutet das Festival inzwischen eine klarere Zäsur im Jahreslauf als das Weihnachtsfest – ein lässiges Festival, entspannt, stressfrei, freundlich.« Und die zu Untertreibung neigenden Norweger urteilen: »Das beste Publikum der Welt!«
Erschienen in Ossietzky 15/2015 |
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