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Diese, als Sparschwein zu verstehenden, Objekte können von Sammlern als Investmentanlage erworben werden. Warum nicht gleich ein menschliches Sparschwein, dachte der Künstler und fand ein Opfer in dem Schweizer Tim Steiner, der sich – als vorerst lebendes Kunstwerk – den Rücken tätowieren ließ. 2008 kaufte ein Hamburger Kunstsammler das Recht, das Werk »Tim« zu verleihen, auch weiterzuverkaufen, es zu vererben und nach dem Tod es konservieren zu dürfen. An zwei Tagen im April und im Juni war es (oder dürfen wir er sagen?) in der Ausstellung zu besichtigen. »Allgegenwärtig« seien Tattoos heute, informiert das 36-seitige kostenlose Booklet (einen Katalog gibt es nicht). Stimmt. Noch nie habe ich so viele tätowierte Menschen erlebt wie in dieser Ausstellung – als Besucher. Die Event-Schau läuft schon fünf Monate und zieht immer noch die tätowierten Massen an. Das Museum setzt eine Ausstellung des Gewerbemuseums Winterthur fort und reichert sie an. Wirkten doch in Hamburg-St. Pauli »bedeutende« Tätowier-Legenden. Das umfangreiche Begleitprogramm: »Besucher werden zum Tattoo-Artist.« Vor allem der »Ferien-Workshop: Pimp Your Wall!« für Kinder und Jugendliche ab zehn Jahren. Sowie eine Führung mit Zeichenworkshop: »Tattoo 4 You« für Schüler ab Klassenstufe 8, die eigene Motive auf Folie übertragen und als »temporäre« Tätowierungen auf die Haut kleben können. Anreiz und Vorbereitung fürs echte Tattoo? Schon im Treppenhaus hängen große Fotos von derart gestylten Jugendlichen. Erschreckend ihre Bekenntnisse. Sylvia bekam das erste Tattoo mit 14, die Mutter war zuerst dagegen. Dann ging es weiter mit einer Marmeladenglas-Abbildung auf dem Arm (als Erinnerung an die Großmutter). »Cool.« Samanta (Piercerin), die »keinen Fleck auf ihrem Körper unverziert lassen möchte«, begann mit 15. Auch Roberto ist auf einen kompletten »Body-Suit« aus. Tim bekennt: Es macht süchtig. Ein neues Tattoo ist für ihn »wie ein Urlaubstag«. Auf diversen Videos setzen sich die Aussagen fort: solch ein Körperbild verleiht »Individualität« oder »Identität«. Einer sagt: »Klar, Maori-Stil gehört irgendwie dazu. Gefällt mir.« An der Wand, Fotos aus Neuseeland mit traditionellen Gesichts-Tattoos der Maori, den »tä moko«. Seit kurzem erleben sie eine Renaissance, heißt es. Sakrale Tätowierungen aus Thailand, die vor Unglück schützen sollen, die »sak yants« sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Hier wird jedoch ein völlig gezeichneter Rücken abgebildet. Nicht öffentlich? Ganz anders die zeitgenössische internationale Szene, sie »transzendiert innovativ« die Sprache der »klassischen« Tätowierung und »erneuert« das Medium (so das Begleitheft). Die »herausragende Qualität« findet Bewunderung. Und Wandtexte verkünden: Schon im 19. Jahrhundert war die Oberschicht Europas tätowiert – auch Angehörige der Fürstenhäuser, bis zum deutschen Kaiserhaus. In den USA um 1807 seien 75 Prozent der Frauen der Oberschicht derart verziert gewesen. Später prangten die Porträts von amerikanischen Präsidenten auf den Brüsten von weiblichen Zirkusattraktionen. Die ununterbrochene Musik – störend im Raum. Kommt man näher, wird dem Besucher das Werbevideo »Go behind the cover« präsentiert – also hinter das Make-up. Auftraggeber »Dermablend Professional«. Ein Glatzköpfiger wischt an seinem Gesicht herum und die Tattoos erscheinen. »Zombie Boy´s« Ganzkörper-Tätowierungen sollen eine verwesende Leiche darstellen, über 100 Knochen-Tattoos, dazu 200 Insekten »zieren« seinen Körper, lese ich. Er arbeitet als Model, nachdem ihm – erfolgreich – ein Gehirntumor entfernt wurde (Anreiz für Schulklassen?). Auch an Kleinkinder ist gedacht. Eine »Amazonas-Barbie« aus der Serie »Dolls oft the World« mit Stammeszeichen auf Armen und Rücken, Playmobil-Rocker und -Piraten wie kleine Soldaten – mit Pistole und Messer. Nicht für Kinder, aber unter Missbrauch von Fotos kleiner Mädchen aus Vogue Angels, einer Kindermode-Zeitschrift, entstehen Tätowierungen auf Kinderhaut – manchmal ist ein Kätzchen dabei. Vorbilder, die Motive der japanischen Mafia Yakuza. Das Infoheft stellt dazu nüchtern fest, die Künstlerin (aus Tokio) »verbindet japanische Mythen mit westlichen Bildmotiven«. Außerdem: Erst dank der Anerkennung durch die US-Szene wurde die japanische Tattoo-Tradition wiederbelebt. Einer der »bemerkenswertesten und radikalsten« deutschen Tattoo-Künstler nennt sich »Little Swastika«. Warum wohl? Sein Werk »The Third Dimension« beinhaltet großflächige Tätowierungen, die sich über zehn Körper erstrecken, die in, ja, 33 Stunden Arbeit miteinander verbunden wurden. Und wer braucht eine Reisetätowiermaschine? Ein Touch-Screen-Gerät stellt Fragen und beantwortet sie: »Warum bleiben Tattoos ein Leben lang?« Aber: »Können Tattoos wieder entfernt werden?« Na ja, man muss es können, mit Laser oder Milchsäure. Aber die beiden Methoden »werden sehr kontrovers diskutiert« – krebserregende Stoffe können freigesetzt werden. Und dann die Frage: »Wie wird man professioneller Tätowierer?« Ob Schüler das anklicken? Und die Frauen? Die Ausstellung stellt »ausgewählte Pionierinnen« vor, die sich »selbstbestimmt« in dem von Männern dominierten Bereich »behaupten«, verrät der Pressetext. Auch unter den Bandenmitgliedern der Mara Salvatrucha in El Salvador gibt es Frauen. Erben von US-amerikanischen Gangs, die von salvadorianischen Bürgerkriegsflüchtlingen in den 1980er Jahren gegründet wurden. (Jedes Jahr sterben über 2000 Menschen dort.) Alle tragen Zeichen auf der Haut: ein M oder MS oder die Zahl 18. Ein Video zeigt die Brutalität: »Wir töten oder wir werden getötet.« (Geeignet für Schulklassen?) Eine lange Tischvitrine durchzieht den Raum: Marterinstrumente zur Hautverschönerung. Und eine Tube Heilsalbe. Sollte ein Tattoo etwa Wunden hinterlassen? Ein Hinweis auf die neuen technischen Möglichkeiten Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts: die Spulenmaschine von Samuel O`Reilly. Der elektrische Antrieb, der eine »regelmäßige Auf- und Abbewegung der Nadel« bewirkt und dadurch ein »ruhiges und kontinuierliches Arbeiten« ermöglicht. Kafkas »In der Strafkolonie« beschreibt das in vergrößertem Maßstab, minutiös. Eine in das Fleisch gegrabene Schrift. »Sei gerecht« – bis zum Tod. Ein Wort oder Buchstaben wurde/n in russischen Gefangenenlagern eingesetzt, um Straftäter zu kennzeichnen. Diebe erhielten die Zeichen »B.O.R.« in die Haut gebrannt. Tätowierungen entwickelten sich zu einem Erkennungszeichen, einem beabsichtigten. Fotografien russischer Strafgefangener aus Arbeitslagern im Ural und in Sibirien mit Erklärungen der Tattoos. Die Madonna mit Kind war beliebt. Der doppelköpfige Adler, das russische Wappentier – während des Kommunismus durch Hammer und Sichel ersetzt. Die hier gezeigte Tätowierung steht »für den Hass auf die UdSSR«, informiert der Wandtext. Da darf die Freiheitsstatue nicht fehlen. Ein komplexes Zeichensystem, die »Ring«-Tätowierungen, lässt sich wie eine Biografie der Träger lesen. Mein Blick in das Infoheft sagt mir: Irgendetwas fehlt in der Ausstellung – der Hinweis auf die NS-Zeit, im Booklet die Nummer 24. Ich frage einen Aufseher, der mich hinter eine Riesenleinwand in ein dunkles schmales Kabuff führt. Da steht ein Videogerät, das den polnischen Auschwitz-Überlebenden Josef Tarnawa zeigt, den der Künstler Arthur Zmijewski aus Warschau in einer elfminütigen Dokumentation zu überreden versucht, sich seine verblasste KZ-Nummer nachstechen zu lassen. »Ich sage Ihnen, sie wird noch authentischer sein« lese ich die deutsche Übersetzung des Polnischen. Die Ziffer 80064. Dazu der 92-jährige Tarnawa verlegen: »Jetzt wird jeder sehen, dass ich das aufgefrischt habe.« Alles kommt zurück, und er wird ein zweites Mal stigmatisiert. Der polnische Künstler will schockieren – für ihn läuft das öffentliche Erinnern heute in sehr geordneten Bahnen. Ein kurzer Hinweis auf die Tätowierungen der Blutgruppe bei den SS-Truppen. Nach dem Krieg ein Identifizierungsmerkmal. Diesen versteckten dunklen Raum – wer findet ihn?
Erschienen in Ossietzky 15/2015 |
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