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Aber die Stadt-Parteienvertreter-Kulturbanausen-Clique schämte sich nicht, ihren Intendanten coram publico zunächst hinters Licht zu führen (bei Antritt: Zusicherung des Vierspartentheaters), dann zu reizen (ständige Kürzungsdrohungen statt Ermutigung und Lob), schließlich im Frühjahr den lästerlichen Kritiker abzuservieren. Doch die Rostocker wehrten sich, unterstützt von Künstlern und Politikern aus allen Teilen Deutschlands. Die Proteste machten Schlagzeilen und zeigten Wirkung; auf einer Sondersitzung der Bürgerschaft wurde die Entlassung des Intendanten Sewan Latchinian zurückgenommen. Wer in Rostock bisher gefunden hat, daß das Theater tot sei, der wurde in diesem Frühjahr eines Besseren belehrt. Ein Sieg für die Protestierer, den Intendanten, das Theater und die Solidarität. Ein Gefühl, das laut Jean Ziegler dem Menschen innewohnend ist, aber im Globalzeitalter des Weltmachtkapitalismus (»kein Kaiserreich, kein Königreich, kein römisches Reich hatte je soviel Macht«, J. Ziegler) den Menschen systematisch abtrainiert wurde. Ich möchte aus Rostock beispielhaft das kleine Kammerspiel »Glückskind« und die große Weill-Brecht-Oper: »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« empfehlen: Das Stück »Glückskind« (nach einem Roman von Steven Uhly) handelt von einem Kind, das von einer jungen Mutter in eine Mülltonne geworfen wird. Dort findet es, noch lebend, der im Alkohol versunkende »Hartz VI«-Bezieher Hans. Er nimmt es an sich, nachdem er es einmal angeschaut hat. Das wird berührend gestaltet: Erst läßt er den Deckel des Mülleimers wieder zufallen, geht weg, erstarrt, geht wieder zurück und rollt die Mülltonne hin und her wie eine Wiege. Dabei versinkt er in einem seltsamen Zustand von Lethargie. Das schreiende Babys, wie beruhigt man es? Dann entschließt er sich, in einer einzigen Bewegung das Bündel (einen alten Pullover) aus der Tonne und an sich zu nehmen. Hans nennt das Kind Felicia: die Glückliche. Auf seinem Gesicht sieht man, daß Felicia zuallererst ihn glücklich gemacht hat, denn sie hat sich von ihm – der bisher nichts war und nichts galt – trösten lassen. Sein Weg von einem, der sich der Hoffnungslosigkeit hingegeben hatte, zu einem Menschen, der Verantwortung für ein hilfloses Geschöpf übernimmt, wird minutiös gezeichnet. Langsam wird Hans wieder Teil der Welt, die ihn umgibt. Mehrsträngig werden hochaktuelle soziale Schicksale skizziert. Das hat fast dokumentarischen Charakter, verliert sich aber nie darin, bleibt spannendes Spiel. Dabei werden die Motive aller vorkommenden Personen mit großem sozialpsychologischen Geschick entfaltet, die Dialoge sind treffend, und in allen Figuren gelingt der Regisseurin allgemein Typisches, ohne zu vergröbern. Eine wunderbar ausgestaltete Tragikomödie mit gut verdichteter Dramaturgie und reduziertem Bühnenbild, das sich aufs Wesentliche konzentriert. Das Stück wird von zwei Personen gespielt, einer Frau (großartig: Sabrina Frank) und Hans (Alexander Wulke). Während er der Ziehvater des Müllkindes bleibt, der sich mit der Aufgabe entwickelt, wechselt die Frau die Rollen: ist mal eine Ärztin, die die Untersuchung des gefundenen Kindchens deckt, mal der Kioskbesitzer an der Ecke, der eine neue Art Solidarität wiederentdeckt, dann Frau Karsi, eine Ausländerin, die den Vater in die Kinderbetreuung einweist, Eva, seine frühere Frau, voller Vorwürfe gegen ihn, die allesamt nachvollziehbar und berechtigt erscheinen, ein Kommissar, der der Sache auf den Grund gehen will und Veronika Kelber, die Mutter des weggeworfenen Kindes. Sabrina Franks Wechselspiele reizen zum Lachen und sind doch auch ernst und virtuos. Die Regisseurin Nicole Oder ist auch für das kabarettistische Lustspiel »Arabqueen – oder das andere Leben« im Neuköllner Heimathafen verantwortlich, die einmalige Sozialkomödie läuft dort seit Jahren vor ausverkauftem Haus. Nicole Oder trifft die soziale Wirklichkeit punktgenau und verbindet Ernst und Komik erkenntniserhellend. Beide Stücke sind absolut sehenswert. * »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« paßt perfekt zur aktuellen Situation in Rostock: Geld »reguliert« alle menschlichen Beziehungen, selbst die Rechtsprechung. Parallelen zu heute sind nicht zufällig. Mahagonny wird von Kleinkriminellen im Goldrush in einer Wüste gegründet. Dort soll den Jungs das Gold aus der Tasche gezogen werden, das sie zuvor mühsam aus dem Fluß gewaschen haben. Eine Stadt, in der jedem die Todesstrafe droht, der kein Geld hat, in der man aber sonst alles dürfen darf. Sämtliche Verbrechen, die Geld einbringen, sind erlaubt. Mahagonny ist Brechts und Weills Gegenstück zur Dreigroschenoper, vom Text ebenso kapitalismuskritisch, von der Musik her aber statt Chansons, anspruchsvolle neue Musik mit Jazz-Elementen, modern, getragen, aufrüttelnd. Die Regisseurin ist Johanna Schall. Sie steht für wundervoll typische Brecht-Inszenierungen und kehrte für diese Inszenierung an die Bühne zurück, an der sie bis 2007 fünf Jahre lang Schauspieldirektorin war. Ein schwarzer Bühnenhintergrund betont gekonnt die Farbigkeit der Figuren, auf ihn werden Zwischentexte aus dem Libretto und Videos projiziert. Hier hätten eventuell auch Übertitel durchlaufen können, denn die Sänger waren manchmal über den Orchestergraben hinweg etwas schwer zu verstehen. Wunderbar die Kostüme und das Gehabe der Frauen aus Mahagonny. Sie müssen Liebe für Geld liefern, und das tun sie. Dafür kostümieren sie sich, denn sie wollen nicht sich selbst hergeben. Sie maskieren sich gegen den Ekel. Sie laufen und flanieren, und dabei geben sie sich in Gestik und Mimik stolz, wütend, haßerfüllt auf ihre Benutzer und Kunden. Einmal mehr begreift man, was Liebe zu kaufen für Haß gebiert. Themen des Stückes sind: Geld-, Liebes-, Freß-, Haß- und Kampfgier. Zusammen bringt das die Leute um. Der Goldgräber aus Alaska Jakob (Daniel Philipp Witte) frißt sich an zwei Kälbern zu Tode, Sparbüchsenheinrich (Maciej Idziorek) wird im Ring zu Tode geprügelt, Paul Ackermann (Daniel Ohlmann) erliegt seinen eigenen Gesetzen und wird auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet, als er eines Tages kein Geld mehr hat. Die Mahagonny-Inszenierung ist das beste Beispiel für die Notwendigkeit eines Vierspartenhauses: Der Opernchor (Einstudierung: Stefan Bilz) ist dauerhaft auf der Bühne präsent, kommt stimmlich und tänzerisch stark heraus, ebenso ist das Tanztheater (Choreografie: Katja Taranu) immer dabei. Hier wird Solidarität praktisch gelebt.
Erschienen in Ossietzky 14/2015 |
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