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Die kämpfende Truppe bestand zu rund 90 Prozent aus sunnitischen Muslimen. Diese Truppe brachte es nie zu einem geeinten und effizienten Oberkommando, auch kämpften in ihrem Rahmen viele kleine Milizen, deren Ziel hauptsächlich die Verteidigung ihrer Heimatorte war. Schon ab dem Frühjahr 2011 erhielt die bewaffnete Opposition in Syrien massive finanzielle Unterstützung aus Katar, Saudi-Arabien und anderen Staaten des Golfkooperationsrats, aber auch Waffen. Kampferprobte Dschihadisten vor allem aus dem Irak und Libyen zogen nach Syrien, um dort gegen das »gottlose« Regime Assads zu kämpfen. So wurde der Krieg gegen Assad schnell Teil der konterrevolutionären Strategie der Golfdespotien, die vor allem den Sturz der säkularen Regime der Region zum Ziel haben, was ihnen ja auch in Libyen und Jemen gelang, in Tunesien lange Zeit aussichtsreich erschien. Mit brutaler Waffengewalt vor allem von Seiten der Saudis wurde gleichzeitig das reaktionäre Herrscherhaus in Bahrain gestützt. Militärisch wichtiger als die FSA wurden in Syrien dank dieser Unterstützung die dschihadistischen Banden wie die mit Al Kaida verbundene Nusra-Front und die 2013 aus ihr hervorgegangene Truppe ISIS (Islamischer Staat in Irak und Sham, der syrischen Provinz des ehemaligen Osmanischen Reichs), die sich heute kurz IS (Islamischer Staat) nennt. Syrien aber hat strategische Bedeutung nicht nur für die innerarabische Rivalität, sondern auch für die Großmächte, verfügt dort doch Rußland über den einzigen Kriegshafen außerhalb seines Hoheitsgebiets. Mehr noch gilt Assad als Herzstück einer »schiitischen« Achse, die sich von Iran über Syrien und mit der libanesischen Hisbollah bis ans Mittelmeer zieht. Der Sturz Assads, der wesentlich zur Destabilisierung Teherans beitragen sollte, wurde so zum Kriegsziel der reaktionären Golfmonarchien, Israels und des Westens – ausgetragen auf dem Rücken der syrischen Bevölkerung. Die USA selbst scheinen nach zwei verlorenen Kriegen in Afghanistan und Irak und angesichts der Kriegsmüdigkeit ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht mehr willens, sich massiv mit Bodentruppen zu engagieren. Also brauchte man für diesen Krieg wieder einmal Stellvertreter. Für deren Auswahl besann man sich des ebenso alten wie stupiden Grundsatzes: »Der Feind meines Feindes ist mein Freund.« Die Unterstützung der Dschihadisten sollte mit dem Sturz Assads die Tür zu einer Neuordnung der Region öffnen, in der der Iran allenfalls noch eine Randfigur sein sollte. Überlegungen in diese Richtung wurden bereits im Sommer 2012 bekannt. So empfahl der Council on Foreign Relations (CFR), einer der wichtigsten außenpolitischen Think-Tanks der USA schon am 6. August 2012: »Die syrischen Rebellen wären heute ohne Al Kaida in ihren Reihen unermeßlich schwächer. Die Einheiten der Freien Syrischen Armee sind weitgehend erschöpft, zerstritten, chaotisch und ineffektiv … Al Kaidas Kämpfer können jedoch helfen, die [Kampf-] Moral zu steigern. Der Zustrom der Dschihadisten bringt Disziplin, religiöse Leidenschaft, Kampferfahrung aus dem Irak, Finanzmittel von sunnitischen Sympathisanten aus den Golfstaaten, und am wichtigsten, tödliche Resultate, mit sich. Kurz gesagt, die FSA braucht Al Kaida – jetzt.« (www.cfr.org, Übersetzung: W. R.) Die konservative US-amerikanische Organisation Judicial Watch erreichte vor wenigen Wochen die Freigabe eines bis dahin geheimen Papiers des US-Verteidigungsministeriums vom 12. August 2012. Darin sind zwar viele Passagen geschwärzt, dennoch offenbart das Papier auf den ersten Blick anscheinend Ungeheuerliches: Die Schaffung eines Islamischen »Fürstentums« als sunnitisches Gegengewicht gegen den schiitischen Iran: »… es besteht die Möglichkeit der Bildung eines erklärten oder unerklärten salafistischen Fürstentums (principality) in Ostsyrien (Hasaka und Deir es-Sor), und dies ist genau das, was die die Opposition unterstützenden Mächte wollen, um das syrische Regime zu isolieren, das als die strategische Drehscheibe der schiitischen Expansion (Irak und Iran) gilt.« Und weiter: Ein solches Fürstentum »wäre ein neuer Impuls im Blick auf die Vereinigung des Dschihad in den sunnitischen Teilen des Irak und Syriens und dem Rest der Sunniten in der arabischen Welt gegen diejenigen, die sie als den gemeinsamen Feind, die Abweichler, betrachten. Durch die Vereinigung mit anderen terroristischen Organisationen im Irak und in Syrien könnte ISI [»Islamischer Staat Irak«] auch einen [größeren] Islamischen Staat ausrufen, was eine schwerwiegende Gefahr im Hinblick auf die Einheit des Irak und den Schutz seines Territoriums darstellt.« (https://medium.com, Übersetzung: W. R.) Die Errichtung eines solchen Staates durch Vereinigung der Terrorgruppen erscheint also durchaus als Option, auch wenn erkannt wird, daß dies den territorialen Bestand des derzeitigen Irak gefährden könnte. Eine solche Entwicklung erscheint den Autoren offensichtlich als hinnehmbarer Kollateralschaden. Zumindest wurde offenbar bereits im Sommer 2012 ernsthaft über die Unterstützung von (damals) al-Nusra und ISIL nachgedacht. Das heißt, man entschloß sich, den Irak unter schiitischer Herrschaft mit US-Hilfe zu unterstützen und gleichzeitig den IS als entscheidende Kraft im Krieg gegen Assad zu fördern in der Hoffnung, das Chaos unter Kontrolle zu halten. Die Kriegsführung mit Hilfe von Stellvertretern erscheint widersprüchlich und ist verwirrend: Grundsätzlich setzten die USA (vor allem in Ägypten und Tunesien) nach der »Arabellion« auf die islamistischen Muslimbrüder. Daneben förderten sie wegen deren militärischer Effizienz gemeinsam mit Saudi-Arabien salafistische Dschihadisten in Syrien – mit entsprechenden Rückwirkungen auf den Irak. Zusätzlich versuchen die USA seit Jahren, »gemäßigte« Milizen aufzubauen, die in Jordanien, Saudi-Arabien, Katar und der Türkei ausgebildet werden. Diese sollen die Freie Syrische Armee unterstützen. Über ihren Verbleib ist allerdings nie etwas bekannt geworden, so daß anzunehmen ist, daß diese Gruppen nach professioneller Ausbildung mitsamt ihren Waffen mit oder ohne Wissen ihrer Finanziers und Ausbilder zu den dschihadistischen Banden wechseln. Nun handelt es sich bei dem oben zitierten Papier noch lange nicht um eine Direktive der US-Regierung. Die beiden hier zitierten Quellen belegen jedoch, daß im Sicherheitsestablishment der USA spätestens ab Sommer 2012 sehr ernsthaft über die gezielte Unterstützung von Al Kaida und dem aus ihr hervorgegangenen Islamischem Staat nachgedacht wurde. Als sicher darf auch angenommen werden, daß jene Kreise, die solche Politik-Empfehlungen produzieren, ihrerseits nah an den operativen Schaltstellen sitzen, die derartige hypothetischen Planspiele in die Tat umsetzen, so daß die Produktion solcher Papiere auch als Rechtfertigung für verdeckte Operationen verstanden werden kann. Und angesichts der Deutlichkeit der Sprache der Dokumente bleibt die Frage, was denn in den noch immer geschwärzten Stellen des nun öffentlich zugänglichen Geheimpapiers stehen könnte und welche weiteren Denkübungen (und Handlungen) in diese Richtung durchgeführt wurden. Jenseits des völkerrechtlichen Skandals, daß hier offen zur (auch militärischen) Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten aufgerufen wird, stellt sich dem erstaunten Leser die Frage nach dem politischen Horizont der Verfasser: Hatten die USA nicht schon einmal mit der Unterstützung jener »Freiheitskämpfer«, die in Afghanistan mit saudischem Geld und militärischem Know-how der CIA gegen die »gottlose« Sowjetunion den Guerillakrieg führten, ihre späteren Erfahrungen gemacht? Muß die Produktion eines Osama bin Laden durch den Aufbau eines »Kalifen Abu-Bakr al-Bagdadi« an der Spitze des IS noch einmal wiederholt werden? Das einzig Neue an der so produzierten terroristischen Gefahr ist, daß der »Islamische Staat« inzwischen über ein inter- und transnationales Netzwerk verfügt, von dem bin Laden nur träumen konnte. Die Fortsetzung des »Krieges gegen den Terror« dürfte für die nächsten Jahrzehnte gesichert sein!
Erschienen in Ossietzky 14/2015 |
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